Großbritannien und der Spesenskandal

Swimmingpools, TV-Geräte & Wassergräben: Großbritannien und der Spesenskandal

Swimmingpools, TV- Geräte & Wassergräben

Drucken

Schriftgröße

Von Robert Treichler

Das für den britischen Parlamentarismus bedeutendste Gebäude nach dem Palast von Westminster ist dieser Tage das Entenhaus „Stockholm“. Es handelt sich dabei um ein Holzhäuschen mit mehreren Fenstern, einem Eingang und einem Dach mit einem Türmchen samt Spitze. Das Ganze ruht auf einer schwimmenden Insel, die mit drei Ankern im Wasser befestigt werden kann, vorzugsweise in einem Teich, denn die insgesamt etwa eineinhalb Meter hohe Kons­truktion ist für Enten gedacht. Sie kostet rund 1800 Euro.

Im Geschäftsjahr 2006/07 erwarb der britische Unterhausabgeordnete Sir Peter Viggers ein solches Entenhaus und reichte die Rechnung dafür, neben vielen anderen Belegen, beim Büro für Spesenersatz des Parlaments ein. Die Gesamtsumme betrug rund 50.000 Euro, etwa 33.000 Euro bekam er tatsächlich rückerstattet. Ob Sir Peter seine Auslagen für das Entenhaus ersetzt bekam, ist unklar. Allein die Tatsache, dass er dies versuchte, wird den Konservativen spätestens bei der nächsten Wahl seinen Job kosten. Parteichef David Cameron will hart durchgreifen.

Sir Peter Viggers, ehemaliger Industrieminister unter Premierministerin Margaret Thatcher und Mitglied des Finanzausschusses des Unterhauses, ist kein Einzelfall. Quer durch alle Parteien haben Abgeordnete die Spesenregelung für Zweitwohnsitze ins Absurde verdreht. Wenn ein Abgeordneter neben dem Hauptwohnsitz in seinem Wahlkreis einen Zweitwohnsitz in London benötigt – oder umgekehrt –, so werden ihm die Kosten für den Zweitwohnsitz teilweise aus Steuergeldern ersetzt. So war es gedacht.

Wohnsituation. Seit die britische Tageszeitung „Daily Telegraph“ vor zwei Wochen damit begonnen hat, nach und nach Details aus den Spesenabrechnungen der Abgeordneten zu veröffentlichen, erfahren die Bürger, was ihre gewählten Vertreter unter einem Zweitwohnsitz verstehen; wie viel ein Fernseher kosten kann und dass man Glühbirnen nicht selbst wechseln muss.

Der Abgeordnete Fabian Hamilton ­(Labour) gab an, hauptsächlich bei seiner Mutter in London zu wohnen, um die ­Hypothekenrückzahlungen für das Haus ­seiner Familie in Leeds als Kosten für einen Zweitwohnsitz einreichen zu können. Chris Grayling (Konservativer) wiederum ließ sich eine Zweitwohnung finanzieren, obwohl sein Hauptwohnsitz nur 25 Kilometer von Westminster entfernt lag. Das Abgeordneten-Paar Julie Kirkbride und Andrew Mackay (Konservative) nutzte die Zweisamkeit: Jeder gab eines der beiden gemeinsamen Heime als Zweitwohnsitz an, sodass sie plötzlich ohne Hauptwohnsitz lebten und für beide Wohnungen Geld kassierten. Typisch englisch löste John Maples (Konservativer) das Problem, wie er sein teures Haus in Oxfordshire als Zweitwohnsitz deklarieren könnte, obwohl er eine Zeit lang über keinen Hauptwohnsitz verfügte: Er gab vor­übergehend den Königlichen Automobilklub als Wohnadresse an.
Die fünf Abgeordneten der nordirischen Partei Sinn Fein könnten eigentlich auf einen Zweitwohnsitz in London gut verzichten. Schließlich weigern sie sich, ihre Sitze im britischen Unterhaus ­einzunehmen, weil sie für die Loslösung Nordirlands vom Vereinigten Königreich kämpfen. Die Aufwandsentschädigung für Zweitwohnsitze scheint dem irisch-republikanischen Gedanken jedoch nicht zu widersprechen. Zusammen forderten die Sinn-Fein-Abgeordneten in den vergangenen fünf Jahren rund 570.000 Euro.

Was braucht ein Abgeordneter an seinem Zweitwohnsitz? Einen Swimmingpool. Der muss durch kundiges Personal gereinigt werden (James Arbuthnot, Konservativer), und gelegentlich streikt die Warmwasseranlage (Michael Ancram, Konservativer). Auch Gärten erfreuen sich großer Beliebtheit. John Gummer (Konservativer) ließ seinen Rasen um rund 10.000 Euro pflegen, darunter fiel auch die Beseitigung von Maulwürfen.
Rund um einen Zweitwohnsitz verläuft im Idealfall ein Wassergraben. So ist das jedenfalls bei Douglas Hogg (Konservativer), der 2500 Euro als Ausgabe für die Reinigung seines Grabens einreichte.

Weitere Dinge, Annehmlichkeiten und Dienstleistungen, ohne die britische Volksvertreter an ihrem Zweitwohnsitz nicht auskommen wollen und deren Kosten die Steuerzahler begleichen sollten: Christbaumschmuck (Vera Baird, Labour); Hängekörbe und Topfpflanzen (Margaret Beckett, Labour, Ministerin für Wohnbau und Planung); Bücherregale um 20.000 Euro (Tam Dalyell, Labour); einen Wachdienst (Barbara Follett, Labour, Tourismus-Ministerin); Hundefutter (Cheryl Gillan, Konservativer); einen TV-Apparat um 10.000 Euro (Gerald Kaufman, Labour); einen bezahlten Helfer, um Glühbirnen zu wechseln (David Willetts, Konservativer).

Die Heiligen. Die politische Klasse Großbritanniens ist desavouiert. Eine Hand voll Abgeordneter ist bereits zurückgetreten, bis zu 50 wackeln. Der erzwungene Abgang des Sprechers des Unterhauses (vergleichbar unserem Parlamentspräsidenten), Michael Martin, und die rasch angekündigten neuen Regeln für Zweitwohnsitzspesen können die Öffentlichkeit nicht besänftigen.

Der „Daily Telegraph“ ist bei der Recherche auch auf Abgeordnete gestoßen, die überhaupt keine Spesen für Zweitwohnsitze verrechnen, nicht für Swimmingpools, nicht für Topfpflanzen, nicht einmal für Lebensmittel oder Parken. Manche pendeln tatsächlich mit dem Zug. Die Fotogalerie dieser Leute auf der „Telegraph“-Website trägt den Titel: „The Saints“ – die Heiligen.