Golan: Warum die Österreicher bleiben
Wenn sie dieses Mal aufbrechen, ist alles anders, zum ersten Mal seit fast 40 Jahren. Kommende Woche beginnt für 187 Bundesheer-Soldaten eine Reise ins Ungewisse: auf den Golan, wo sie die Hälfte des rund 380 Mann starken österreichischen Blauhelm-Kontingents ablösen sollen. Jahrzehntelang war die so genannte Rotation ebenso reine Routine wie der gesamte Einsatz. Drei Stunden Flug nach Damaskus, knapp 70 Kilometer Fahrt über gut ausgebaute Straßen zum Hauptquartier der Undof (United Nations Disengagement Observer Force), anschließend sechs Monate Langeweile bei der Überwachung der UN-Pufferzone zwischen Syrien und Israel.
Jetzt geht es zuerst nach Tel Aviv und dann durch halb Israel zu einem nur in Ausnahmefällen benutzten Grenzübergang nach Syrien wenn die Sicherheitskräfte von Diktator Bashar al-Assad diese Hintertür tatsächlich öffnen.
Währenddessen wird die Ausrüstung aus der anderen Richtung angeliefert: über Beirut, die libanesische Bekaa-Ebene und die Vororte von Damaskus wenn sie überhaupt durchkommt. Denn die Route führt durch umkämpftes Gebiet.
Und noch bevor sich die Blauhelme auf den Weg in ihr Einsatzgebiet machen, werden im Verteidigungsministerium bereits Abzugspläne für sie gewälzt.
+++ Wir rennen nicht davon - Interview mit Generalstabschef Othmar Commenda +++
Der Papierform nach dürften sie eigentlich gar nicht mehr abmarschieren. Noch vor wenigen Tagen hat Österreich lautstark gedroht, seine UN-Truppen vom Golan abzuziehen, sollte das von der EU über Syrien verhängte Waffenembargo fallen. Nun ist de facto genau das passiert und die Regierung schickt neue Soldaten hin, statt alle heimzuholen, die dort stationiert sind der eigenen Nervosität und den vehementen Forderungen der Opposition im Vorwahlkampf zum Trotz. Tatsächlich spricht alles dafür, dass der Einsatz auf unabsehbare Zeit weitergeführt wird. Koste es, was es wolle.
Der Golan, wo österreichische Soldaten seit 1974 im Auftrag der UN Dienst tun, hat im Syrien-Konflikt einerseits zentrale und gleichzeitig nur untergeordnete Bedeutung. Im Kampf zwischen den Anhängern des Assad-Regimes und den Aufständischen ist der Landstrich eine Nebenfront, aus Sicht der internationalen Gemeinschaft aber eine Grenze, an der sich mitentscheidet, ob der Krieg auf Israel übergreift.
Das eigentliche Mandat der Blauhelme den Waffenstillstand zwischen Syrien und Israel zu überwachen ist in den Hintergrund getreten und auch nur mehr ansatzweise zu erfüllen. Absurderweise spielen sie seither aber eine wichtigere und konkretere Rolle als in den Jahrzehnten zuvor. Zudem sind mit den UN-Soldaten nirgends unabhängige Beobachter so nahe am verlustreichsten Bürgerkrieg dran wie auf dem Golan und nirgends so exponiert.
Mehr als 80.000 Todesopfer dürften die Auseinandersetzungen in Syrien, die auf beiden Seiten mit äußerster Brutalität geführt werden, bereits gefordert haben. Gleichzeitig werden dort auch mehrere Stellvertreterkriege geführt: religiös motiviert zwischen Schiiten und Sunniten, repräsentiert durch die auch regionalpolitisch verfeindeten Kontrahenten Iran auf der einen und Saudi-Arabien, Katar sowie die Türkei auf der anderen Seite; strategisch zwischen Iran und der Achse USA/Israel; letztlich auch ideologisch zwischen den Westmächten und ihren Gegnern.
Seit zwei Jahren schafft es in dieser Gemengelage keine Seite, eine Entscheidung herbeizuführen. Momentan scheint das Assad-Regime wieder auf dem Vormarsch zu sein. Die politische Opposition ist zerstritten und schwach, unter den militanten Aufständischen wiederum tut sich eine tiefe Kluft zwischen säkularen und islamistischen Fraktionen auf.
Die Frage, wie dem Gemetzel Einhalt zu gebieten ist, spaltet nicht nur die internationale Gemeinschaft, sondern auch Europa. Eine Antwort darauf lautet: das EU-Waffenembargo gegen Syrien aufheben und ausgesuchte Rebellen mit Waffen beliefern, um das Gleichgewicht zu deren Gunsten zu verschieben. Für diese Variante macht vor allem Großbritannien bereits seit Monaten mobil mit dem Argument, dass man ein zusätzliches Druckmittel gegen Assad brauche und auch nicht einfach zusehen könne, wie innerhalb der Aufständischen die Islamisten die Oberhand gewinnen. Das könnte nämlich dazu führen, dass nach einem allfälligen Sturz von Assad eine Fraktion aus dem Dunstkreis der Al-Kaida die Macht in Syrien übernimmt, wie schon jetzt in Teilen der Stadt Aleppo.
Die Gegenargumente sind ebenso wenig von der Hand zu weisen: Noch mehr Waffen würden den Konflikt nur weiter anheizen, und zwar ohne realistische Aussicht, ihn durch Eskalation zu beenden.
Besonders vehement sprach sich Österreich gegen eine Aufhebung des Embargos aus unter anderem mit dem Hinweis, dass damit auch die Glaubwürdigkeit Europas gegenüber China beim Thema Proliferation verloren wäre, hauptsächlich aber wegen der auf dem Golan stationierten Soldaten: Sie würden durch Rüstungslieferungen der EU ihren neutralen Status einbüßen, fürchtet die Regierung in Wien.
Am Ende kam bei Verhandlungen in Brüssel am Montag vergangener Woche ein fauler Kompromiss heraus, der beide Seiten irgendwie das Gesicht wahren lässt: Das Embargo wurde nicht verlängert. Die EU erlaubt militärische Hilfe für die syrischen Rebellen damit zwar nicht offiziell, weil weiterhin der gemeinsame Standpunkt 2008/944 gilt, der Rüstungsexporte streng reglementiert. Gleichzeitig dürften Mitgliedstaaten in nationaler Verantwortung Waffen an die Aufständischen liefern, wobei festgehalten wurde, dass dies im Augenblick nicht geplant sei.
Gefahr im Verzug
In Österreich ist die Aufregung trotzdem groß und von der Regierung durch ihre dramatische Pose bei den Verhandlungen in Brüssel selbst heraufbeschworen. Die Opposition ruft bereits schrill nach einem Abzug vom Golan. Es ist Gefahr im Verzug, jedes weitere Zuwarten gefährdet das Leben und die Gesundheit unserer Soldaten, erklärt FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im Gleichklang mit den Grünen, dem BZÖ und dem Team Stronach.
Tatsächlich hat sich die Situation der Blauhelme in den vergangenen Monaten ständig verschärft: Zwar sind die Kampfhandlungen auf dem Golan im Vergleich mit anderen Teilen Syriens kaum der Rede wert, dennoch gerieten Beobachtungsposten und Stützpunkte immer wieder zwischen die Fronten (profil 15/2013).
Zuletzt sei es aber ruhiger geworden, berichten UN-Soldaten gegenüber profil. Die syrische Armee hat Einheiten vom Golan nach Damaskus abgezogen, um ihre Verteidigungslinien dort zu stärken. Das führte dazu, dass auch die Rebellenaktivität in der Pufferzone zurückgegangen ist. Noch sind die Blauhelme nicht zur Zielscheibe geworden. Auszuschließen ist das allerdings auch nicht.
Sowohl das Regime als auch die Rebellen beobachten sehr genau, wer sich ihnen gegenüber wie verhält. Wenn die Medien in Österreich über politische Entscheidungen berichten, die Syrien betreffen, spüren wir hier oft unmittelbar Reaktionen darauf, sagt ein in der Region stationierter UN-Mitarbeiter gegenüber profil.
Dass das Regime mit dem Golan ein internationales Erpressungspotenzial zu haben glaubt, ist evident. Es gibt eindeutig öffentlichen Druck, dort eine neue Widerstandsfront zu eröffnen, erklärte Bashar al-Assad vergangene Woche einmal mehr und insinuierte damit einen Angriff auf Israel. Damit hat auch Hassan Nasrallah, Führer der libanesischen Hisbollah, die das syrische Regime militärisch und ideologisch unterstützt, bereits gedroht.
Für bare Münze ist das allerdings nicht zu nehmen. Weder das syrische Regime noch die Hisbollah werden es momentan darauf ankommen lassen, eine neue Front mit dem militärisch überlegenen Israel zu eröffnen. Zudem haben in der derzeitigen Konstellation alle Beteiligten ein Interesse daran, dass die UN-Mission auf dem Golan weitergeführt wird. Für Syrien bedeutet sie ein potenzielles politisches Druckmittel gegenüber der internationalen Gemeinschaft und gleichzeitig 100 Kilometer Grenzschutz, der verhindert, dass die Aufständischen von israelischem Territorium aus Unterstützung erhalten. Den Rebellen bietet die Präsenz der Blauhelme zumindest die Hoffnung, von besonders brutalen Übergriffen des Regimes verschont zu bleiben. Und für Israel, das auf Seiten Österreichs vehement für die Beibehaltung des Embargos lobbyiert hat (profil 14/2013), könnte die Pufferzone in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen nämlich wenn Assad stürzt, in Damaskus ein anderes Regime an die Macht kommt und sich die Islamisten ihrem nächsten Ziel zuwenden können, dem Kampf gegen das zionistische Gebilde in ihrer Nachbarschaft.
Das würde allerdings auch für die UN-Truppen Alarmstufe Rot bedeuten. Denn die Gotteskrieger aus dem Al-Kaida-Umfeld machen keinen Hehl daraus, dass sie die Vereinten Nationen ebenfalls als Feind betrachten. Bei Anschlägen haben sie das etwa im Irak auch schon unter Beweis gestellt. Die Lieferung von Waffen an die Rebellen kann die Umstände ebenfalls ändern, wenngleich nicht in derart dramatischem Ausmaß. Ironischerweise ist Österreich durch den gescheiterten Versuch, die Aufhebung des Embargos zu verhindern, realpolitisch in eine durchaus komfortable Lage geraten: Gegenüber dem Assad-Regime kann es auf seine Neutralität verweisen, die Rebellen dürfen dennoch auf militärische Hilfe aus Europa rechnen.
Vorsichtshalber haben die UN die Sicherheitsvorkehrungen für das Kontingent aber bereits verstärkt. Es gibt mehr gepanzerte Fahrzeuge, die medizinische Notfallversorgung wurde verbessert und jene Soldaten, die nun auf den Golan geschickt werden, erhielten auf Anordnung von Verteidigungsminister Gerald Klug zwei Wochen zusätzliche Gefechtsausbildung.
Natürlich war der Einsatz immer mit Gefahren verbunden, sagt der neue Generalstabschef Othmar Commenda: Sonst müsste man ja gar keine Soldaten hinschicken. Wo die rote Linie für einen Abzug verläuft, wird allerdings schwer festzulegen sein. Wenn das Regime aus irgendwelchen Gründen beginnt, die Blauhelme zu schikanieren? Wenn erstmals gezielt auf die UN-Truppen geschossen wird, von wem auch immer? Wenn es Verletzte gibt oder gar Tote?
Auf dem Golan ist der seltene Fall eingetreten, dass das Verhalten Österreichs tatsächlich eine unmittelbare internationale Bedeutung hat ohne die Bundesheer-Blauhelme ist die Mission ernstlich gefährdet. Die 187 Soldaten, die kommende Woche in Marsch gesetzt werden, müssen daher wissen: Es wird immensen Druck geben, dass sie in Syrien bleiben.
So lange, bis es gar nicht mehr geht.
Mitarbeit: Anna Giulia Fink, Otmar Lahodynsky
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