Der syrische Adonis zwischen der Arabellion und Assad

Syrien. Eine Antwort auf die umstrittenen Aussagen des Dichters Adonis zum arabischen Frühling und zum Aufstand in Syrien

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Von Aref Hajjaj

In mehreren Interviews mit arabischen und ausländischen Medien, zuletzt mit dem österreichischen Magazin „profil“ vom 11.Februar äußert sich der syrische Dichter Adonis harsch, zum Teil auch widersprüchlich und wenig differenziert über den syrischen Aufstand und darüber hinaus den gesamten Arabischen Frühling. Ex cathedra befindet er: Die Revolution in der arabischen Welt sei „auf allen Ebenen dem Mittelalter näher“ als der modernen Zeit. Daher könne man gar keine positive Bilanz ziehen.

Ob Adonis tatsächlich der größte zeitgenössische Dichter der arabischen Welt ist, mögen diejenigen urteilen, die über eine ausreichende literarische Fachkompetenz verfügen. Eines ist dennoch unbestritten: Adonis revolutionierte Stil und Duktus der modernen arabischen Poesie. Wie kein anderer moderner Poet, nicht einmal Nisar Qabbani, ist es ihm gelungen, Literatur mit politischem Engagement im Einklang zu bringen und die Dichtungskunst an die Moderne zu adaptieren, ohne der Beliebigkeit des Zeitgeistes anheim zu fallen. Nicht von ungefähr wird er von der Fachwelt als einer der größten Zeitgeister gelobt.

Seine Ansichten über die politische Entwicklung in der arabischen Welt seit dem Ausbruch der Arabellion und seine Zukunftsprognosen sind indessen hier und dort strukturell wenig stichhaltig. Ihnen fehlt die profunde Analyse, sie werden zudem von einer erschreckend defätistischen Kurzatmigkeit überlagert.

Natürlich ist es nicht nur für ihn, sondern für uns alle, die wir dem säkular-liberalen Denken anhängen, enttäuschend, ja geradezu schockierend zu erleben, dass, wenn in unserem Teil der Welt endlich fair und demokratisch gewählt wird, die islamischen Parteien als haushohe Sieger hervorgehen. Das erleben (und erleiden) wir in Tunesien, Ägypten und sogar in Marokko, dessen Frühling gar nicht zum Abschluss kommen durfte. Das werden wir sicherlich auch in Libyen, im Jemen und in der Post-Assad-Ära Syriens erleben, wenn es mit den Parlamentswahlen soweit ist. Man hat dies übrigens bereits zweimal in der Vergangenheit erlebt, als nämlich Hamas in Palästina und die Islamische Heilspartei (FIS) in Algerien aus nachweislich demokratischen und fairen Wahlen als Sieger hervorgingen. Die juristische Nichtanerkennung der Wahlergebnisse im Fall Algeriens und die de facto-Variante im Fall Gazas, gepaart dort mit einem menschenverachtenden Drangsalieren der im „großen Gefängnis mit Seeblick“ lebenden Bevölkerung durch Israel, lösten eine Katastrohe nach der anderen aus.

Ob uns säkular Denkenden der Sieg islamischer oder gar radikalislamischer Parteien ins Konzept passt oder nicht, die Mehrheit in „richtigen“ und nicht wie bisher Attrappen-artigen Wahlen bekommen im arabischen Raum seit der Entkolonialisierung und erst recht nach den bitteren Erfahrungen mit despotischen, clanorientierten Regimen also keine anderen „ideologischen“ Parteien. Protagonisten des säkularen Nationalismus, des Liberalismus, Sozialismus oder gar des Marxismus bekommen bei demokratischen Wahlen kaum mehr als 10-15 % der Wählerstimmen. Der Nationalismus ist durch die Pervertierung der Baath-Partei im Irak und in Syrien zum Auslaufmodell geworden. Der Marxismus wird eher mit dem abstoßenden Beispiel Nordkorea als mit dem staatskapitalistischen System Chinas assoziiert. Und der „westliche“ Liberalismus war von der Mehrheit der Massen schon immer eher ein Hassobjekt denn ein Vorbild. Die absolute Hingabe Adonis´ an den Säkularismus ist zwar legitim und nachvollziehbar. Sie erliegt allerdings der Gefahr, das säkulare Denken übermäßig zu verklären und ihm einen weit höheren Rang einzuräumen als einer zwar religiös orientierten, aber immerhin von der Mehrheit getragenen politischen und gesellschaftlichen Willensbildung. Die Tatsache, dass auch Hitler aus demokratischen Wahlen hervorgegangen ist, führt Adonis ohne Not, vor allem ohne stichhaltige Beweismittel als definitives Argument gegen jedwede Demokratiefähigkeit islamischer Parteien an. Er sieht Tunesien heute „hinter Habib Bourguiba ] tunesischer Staatspräsident, von 1957 bis 1987 [mit der Begründung zurückgefallen, „das Bourguiba-Regime war laizistisch. Und jetzt wird das Land islamisch regiert“. Dass das besagte Regime absolutistisch und bestenfalls scheindemokratisch war, wird vom Dichter nicht erwähnt. Genauso wenig beachtet wird der Umstand, dass der dortige Führer der islamischen Bewegung, Rachid al-Ghannouchi, nicht allein seiner geistigen Sozialisierung in Frankreich wegen einer moderaten Islam-Exegese anhängt. Für Adonis kann aber ohnehin ein „moderater Islam“ gar nicht existieren. Er gibt sich auch nicht die geringste Mühe, diese These sachlich bzw. wissenschaftlich zu begründen. Die Muslimbrüder wiederum sind für ihn schlicht „Faschisten, pure Faschisten“. Inzwischen weiß man allerdings zumindest in den eingeweihten Kreisen, dass die Bewegung, jedenfalls in Ägypten, keineswegs homogen strukturiert ist und ein beträchtlicher Teil deren Führung und Anhängerschaft auch nach westlichem Verständnis moderat und pragmatisch tickt.

Die realen Kräfte in der arabischen Welt, die Adonis´ Ideen folgen, seien die Maler, Dichter und Künstler. Der arabische „Kollektivismus“ hingegen sei von der Religion erfasst, was bei ihm völlig negativ besetzt ist. Hier ist nicht nur ein Übermaß am elitären Denken zu diagnostizieren, sondern auch und gerade das Ausblenden einer neuen, wenn auch ungewollten Realität.

Zu den wenig differenzierten Aussagen Adonis´ gehört seine apodiktische Feststellung, die Aufständischen von Homs und Hama seien allersamt vom Ausland gesteuerte Islamisten. Allerdings gilt es hier den Warnungen und Hilferufen des chaldäisch-katholischen Bischofs von Aleppo, Antoine Audo, genau nachzugehen, ob die christlichen Gemeinden in Homs und anderswo tatsächlich von islamisch orientierten Aufständischen systematisch drangsaliert und zum Verlassen des Landes gezwungen würden, oder ob es sich eher um marginale Einzelfälle handelt. Zu den Widersprüchen Adonis´ Wahrnehmung der Ereignisse in Syrien gehört der Umstand, dass er im Grunde genommen das diktatorische Assad-Regime verabscheut, was ihn auch veranlasst, ein jähes Ende der „ Achse Iran–¬Syrien–Hisbollah“ zu fordern. Gleichzeitig sieht er „intellektuell“ keine wünschenswerte Alternative dafür in Sicht, da für ihn die „islamistische Diktatur“ mit Sicherheit die schlimmere Option wäre als der Status quo. Zu den weiteren Widersprüchen gehört seine Aussage „Ich bin natürlich ein Demokrat. Die Islamisten haben gewonnen, ich muss das akzeptieren“. Widersprüchlich deswegen, weil Adonis einen Wahlsieg islamischer Parteien nach seinen vielfachen Beteuerungen doch nicht akzeptieren will.

Schließlich argumentiert Adonis wenig stichhaltig, wenn er implizit der Opposition die Legitimität mit dem Hinweis abspricht, dass am Aufstand nur die „Ränder“, womit er u.a. Homs, Hama und Dira´ meint, nicht jedoch die „Zentren“ Damaskus, Aleppo und Latakia beteiligt seien. Für die Legitimierung einer Revolution ist dies kein Kriterium. Außerdem weiß man auch aus den Medien, dass der Aufstand längst in den Zentren angekommen ist.


Zur Person

Aref Hajjaj wurde im Februar 1943 in Jaffa/Palästina geboren. Nach der Vertreibung 1948 wuchs er in Beirut und Kuwait auf. Er studierte in Heidelberg Politikwissenschaft, Geschichte und Völkerrecht. Nach der Promotion arbeitete er im Deutschen Außenministerium als Übersetzer, Dolmetscher sowie Dozent für Arabistik und interkulturelle Kommunikation. Er ist Vorsitzender des Palästina-Forums. Vor kurzem erschien sein Buch „Angekommen in Deutschland – Der Preis der Integration“ im LIT-Verlag.