Endspiel in Damaskus

Syrien. Strategische Machtkämpfe um die Zeit nach dem Assad-Regime

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Als am Sonntag, 7. August, in der ostsyrischen Stadt Deir al Sor die Sonne unterging, strömten wieder Tausende Menschen auf die Straßen, um gemeinsam gegen den Diktator Bashir al-Assad zu demonstrieren – so wie jeden Abend seit Beginn des Fastenmonats Ramadan am 1. August.
Doch dieser Tag sollte blutig zu Ende gehen: Panzer rollten an, Heckenschützen feuerten von Häuserdächern in die Menge, Soldaten schossen auf Wohnsiedlungen. Bis zu 24 Menschen sollen laut syrischen Menschenrechtsorganisationen von den Schergen des Assad-Regimes ermordet worden sein.

Doch möglicherweise konnte die syrische Demokratiebewegung an diesem Sonntag auch einen wichtigen Sieg feiern: Erstmals seit Ausbruch der Revolte vor fünf Monaten stand der syrische Machthaber Assad ganz allein da.

Zeitgleich zogen Saudi-Arabien, Kuwait und Bahrain ihre Botschafter aus Damaskus ab. Der Golf-Kooperationsrat, ein Club schwerreicher Öl-Monarchien, übte herbe Kritik an den Gräueltaten des syrischen Regimes; der Chef der Arabischen Liga forderte offen, die „Feldzüge der syrischen Sicherheitskräfte gegen Zivilisten zu beenden“. Und Saudi-Arabiens König Abdullah empörte sich in einer emotionalen Fernsehansprache über die syrische „Tötungsmaschinerie“.

Und damit nicht genug.
Endgültig verspielt hat das Assad-Regime auch die strategische Partnerschaft mit der benachbarten ­Türkei, dem wichtigsten Handelspartner Syriens. Am vergangenen Dienstag reiste der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu in die syrische Hauptstadt Damaskus und überbrachte dem Diktator Bashir al-Assad eine unmissverständliche Botschaft: Er solle sich ein Beispiel nehmen am früheren sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow, der das Ende der UdSSR einleitete und sich damit als Staatsmann Respekt verschaffte – oder aber Assad drohe ein Schicksal wie jenes des hingerichteten irakischen Ex-Staatschefs Saddam Hussein. Mit anderen Worten: Exil oder Strang. Assad zeigte sich – wenig überraschend – unbeeindruckt und drohte der Türkei indirekt mit Krieg.

Doch was ist passiert?
Warum wenden sich mit einem Mal langjährige Partner, allen voran das Königshaus in Saudi-Arabien, von Syriens Diktator Assad ab? „Hinter der Offensive der arabischen Länder stecken klare machtstrategische Überlegungen“, sagt Alan George, Syrien-Experte vom St. Antony’s College in Oxford. „Offenbar haben Saudi-Arabien und andere Golfstaaten erkannt, dass Assad und sein Regime nicht mehr zu retten sind. Jetzt stellt man sich bereits auf die Zeit nach der Revolte ein.“
Genauer betrachtet waren das Königshaus in Riad und Syrien ohnehin nie die besten Freunde. Riad ist die Führungsmacht des sunnitischen Islam.

Das Assad-Regime wird hingegen von der schiitischen Sekte der Alawiten geführt, die brutal gegen die sunnitische Mehrheit im Land vorgeht. Saudi-Arabien ist aufgrund seines Erdölreichtums ein strategischer Verbündeter des Westens. Syrien kooperiert hingegen eng mit dem Iran. Und Teheran bleibt Syrien fortan als einziger Verbündeter übrig.

Fest steht:
Dem saudischen Herrscherhaus geht es nicht um Demokratie. Auch Sympathie mit den Aufständischen ist Riad fremd. Die Monarchie hat seit Ausbruch der Revolten im arabischen Raum Milliarden aufgebracht, um im eigenen Land und in ­Königreichen wie Jordanien und Marokko den autokratischen Status quo zu ­erhalten. Dem bedrängten Herrscher im benachbarten Golfkönigreich Bahrain schickte König Abdullah sogar Truppen, um den Aufruhr zu ersticken. Und den gestürzten Diktatoren Zine el-Abidine Ben Ali aus Tunesien und Ali Abdullah Saleh aus dem Jemen gewährte Riad bekanntlich Exil.

Die saudi-arabische Außenpolitik beschränkt sich traditionell auf wirtschaftliche Kooperationen, in die Angelegenheiten anderer Länder mischt man sich nicht ein. Mit dieser Strategie hat König Abdullah ausgerechnet im Fall Syrien gebrochen. „Wäre ich Bashir al-Assad, würde ich mir diesmal echte Sorgen um meine Zukunft machen, denn lange wird er seine Soldaten nicht mehr bezahlen können“, sagt der Syrien-Experte Alan George und verweist auf die Finanzspritzen Saudi-Arabiens, die ungemein wichtig für die syrische Wirtschaft sind. „Bekommen die breite Mittelschicht und die Geschäftsleute nicht mehr Geld von Saudi-Arabien, sind zentrale Sektoren wie das Immobiliengeschäft und der Tourismus gefährdet. Das würde dazu führen, dass sich die Geschäftstreibenden den Revolutionären anschließen und sich gegen Assad wenden.“

Syrien wird somit zum Schauplatz ­eines seit Jahrzehnten andauernden ­Konflikts zwischen der sunnitischen ­Führungsmacht Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran. Beim Poker um die Machtverteilung in der Region konnte Teheran zuletzt einige Male punkten. Die Iraner sind aus Sicht von Türken und Arabern die klaren Gewinner des Umbruchs im Irak. Und auch diesmal steht für das Mullah-Regime einiges auf dem Spiel: Sollten demokratische Reformen in Syrien die Vertreter der sunnitischen Mehrheit an die Macht bringen, „wäre Syrien nicht mehr im schiitischen Block der Region. Und das wäre für den Iran eine echte Niederlage“, analysiert der türkische Nahost-Experte Nihat Ali Özcan.

Bei allen Horrorszenarien für ein Syrien nach Assad
– Zerfall, Bürgerkrieg oder sogar Demokratie – sieht Saudi-Arabien einen günstigen Moment: Ein Syrien nach Assad, also nach der Herrschaft der ala­witisch-schiitischen Minderheit, wäre höchstwahrscheinlich sunnitisch geprägt und damit Riad deutlich näher als Teheran. „Hinter der jüngsten diplomatischen Offensive Saudi-Arabiens steckt letztlich der Versuch, Syrien aus dem Orbit des Iran zu lösen“, sagt auch Wolfgang Mühlberger, Arabien-Experte vom österreichischen ­Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landesverteidigungsakademie.

All diese Analysen sind freilich noch spekulativ. Dass sich der gelernte Augenarzt Bashir al-Assad freiwillig als Machthaber zurückzieht, bezweifelt der Syrien-Experte Alan George. „Ich denke, Assad wird bis zum bitteren Ende um seine Macht kämpfen und, wenn es sein muss, noch zehnmal mehr Todesopfer in Kauf nehmen.“

Die blutigen Aufstände gegen das Assad-Regime werden sich also noch länger hinziehen – nicht zuletzt auch deshalb, weil der Westen von außen nicht mehr ­bewirken kann, als das syrische Regime diplomatisch einzuschnüren. Eine Militäraktion der internationalen Staatengemeinschaft wie zuletzt in Libyen bleibt weiterhin ausgeschlossen, aus zwei Gründen: Zum einen würden China und Russland im UN-Sicherheitsrat einem Beschluss nicht zustimmen. Zum anderen ließe sich auch die NATO-Allianz, die in Libyen noch immer auf entscheidende Erfolge wartet, nicht in ein zweites militärisches Abenteuer verstricken.

So setzen alle Player der Region zunächst einmal auf Zeit – und darunter leidet vorerst nur die syrische Zivilbevölkerung. Nach dem Massaker vom 7. August starteten die Assad-Schergen nur einen Tag später eine zweite Offensive in Deir al Sor. „Rund 250 Panzer und schweres Gerät walzten seit dem Morgengrauen alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte. Wir haben uns nur noch versteckt und gebetet“, berichtete ein Augenzeuge.
Eine beklemmende Vorstellung. Andererseits: Vielleicht werden es gerade diese dramatischen Geschichten über die Opfer der syrischen Zivilisten sein, die irgendwann zum Gründungsmythos eines demokratischen Syrien werden.