Industrie kreativ: Massen-Produktion

Szeneporträt: Massen-Produktion

Von Staatsbetrieben zu erfolgreichen Konzernen

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Die „Ofensau“ hat endgültig ausgedient. Mitte Juli wurde am Werksgelände der Linzer VoestAlpine AG der mit dem etwas derben Spitznamen bedachte Hochofen A niedergefahren. Der Abriss der Anlage ist Teil eines umfassenden Investitionsprogramms, das Österreichs zweitgrößter Industriekonzern bis 2007 umsetzen will: Zwei Milliarden Euro werden unter dem Projekttitel „Linz 2010“ in den Standort investiert, rund 1000 neue Arbeitsplätze sollen dadurch geschaffen werden.

Seit Anfang August wird an der Installation eines neuen Hochofens gearbeitet, der die Stahlproduktionskapazität von 4,4 Milliarden Tonnen auf 5,5 Milliarden Tonnen steigern soll. Die Erstbefeuerung soll im kommenden Oktober erfolgen. Außerdem wurden eine neue Feuerverzinkungs- und Bandbeschichtungsanlage errichtet. „Linz entwickelt sich zum Werkstoffzentrum der europäischen Autoindustrie schlechthin“, meint Voest-Sprecher Wilhelm Nitterl.

Zugleich will sich der Konzern nicht mehr nur als klassischer Stahlproduzent, sondern zunehmend auch als Verarbeitungsbetrieb positionieren. Dazu dient vor allem die neue Abteilung Motion, in der schon jetzt Autokarosserieteile gefertigt werden. „Bis 2006 oder 2007 möchten wir aber ganze Karosserien assemblieren“, sagt Nitterl. Während früher mit Stahl 70 Prozent und mit der Verarbeitung 30 Prozent des Umsatzes erzielt wurden, soll der Verarbeitungsanteil bis 2006 auf 60 Prozent steigen. Für äußerst attraktiv hält Nitterl auch den Bereich Bahnsysteme – im Segment Hochgeschwindigkeitsschienen sieht sich die Voest als Weltmarktführer.

Die jüngst kolportierte Abwanderungsbereitschaft der Voest dementiert Nitterl indessen – Voest-Vorstand Wolfgang Eder sei mit der Aussage, dass die Voest „mit Linz nicht verheiratet sei“, falsch zitiert worden. Vielmehr würde das aktuelle Investitionsprogramm beweisen, dass man den Standort für ideal halte.

Kaum Marken. Dass den Aktivitäten eines heimischen Industriekonzerns solch öffentliche Beachtung zuteil wird, ist nicht unbedingt selbstverständlich. Schließlich „war Österreich nie ein industrielles Kernland“, wie es Erhard Fürst formuliert, Chefökonom der Industriellenvereinigung (IV). „Das Problem ist, dass wir kaum echte Marken in Österreich haben“, konstatiert Veit Sorger, Präsident der Industriellenvereinigung und Vorstand des Papierkonzerns Frantschach AG.

In der Lebensmittelindustrie brachte es immerhin Red Bull zu globaler Bekanntheit, und auch die glitzernden Kristalle der Tiroler Unternehmensgruppe Swarovski genießen weltweiten Ruf. Sonst nimmt die breite Öffentlichkeit vorwiegend Anteil an den Geschicken großer, arbeitsplatzintensiver Traditionsbetriebe – die zumeist der ehemaligen verstaatlichten Industrie entstammen.

Aus den einst oft als „Sorgenkinder“ bezeichneten Betrieben sind dabei inzwischen mehrheitlich international angesehene Konzerne geworden. Dass man etwa mit Stahl aus Österreich gute Geschäfte machen kann, zeigt nicht nur das Beispiel der VoestAlpine, die zu den profitabelsten Stahlerzeugern Europas zählt, sondern auch des Edelstahlspezialisten Böhler-Uddeholm AG, der Weltmarktführer in Nischen wie Werkzeugstahl ist.

Öffentliche Beachtung finden naturgemäß auch spektakuläre Deals und strukturelle Änderungen in bedeutenden Betrieben – so etwa, als im vergangenen Februar die Bank Austria Creditanstalt und die belgische Koramic-Gruppe ihren 26-prozentigen Aktienanteil an der Wienerberger AG verkauften, dem weltgrößten Ziegelhersteller. Und zuletzt sorgte die Übernahme des rumänischen Mineralölkonzerns Petrom durch die OMV AG, Österreichs größten Industriebetrieb, um rund 1,4 Milliarden Euro für Schlagzeilen. Immerhin handelt es sich dabei um die größte, je von einem österreichischen Unternehmen getätigte Übernahme.

Der Kauf des 57.000-Mitarbeiter-Unternehmens Petrom oder auch Zukäufe des Zucker- und Stärkeherstellers Agrana in Ost- und Mitteleuropa dürfen als relativ ungewöhnlich gelten: Sonst sind es eher ausländische Investoren, die Anteile an heimischen Industriebetrieben erwerben. So kontrollieren der südafrikanische Papierkonzern Mondi die Frantschach AG und die Neusiedler AG, die niederländische Heineken-Gruppe die Brau Union AG und der britische Zigarettenhersteller Gallaher die Austria Tabak.

Bedeutender Sektor. Die Mehrzahl der österreichischen Industrieunternehmen agiert dagegen zumeist ohne permanente mediale Begleitung. Insgesamt waren Ende 2003 im gesamten Bundesgebiet 2890 Industrieunternehmen registriert. Mit 617 Unternehmen ist Oberösterreich das Bundesland mit den meisten Betrieben dieses Sektors – gefolgt von Niederösterreich mit 514 Unternehmen und der Steiermark mit 451.

Gemeinsam mit nachgelagerten Dienstleistungen betrug die Wirtschaftsleistung von Österreichs Industrie im Vorjahr rund 90 Milliarden Euro und trug damit knapp 40 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt von 224 Milliarden Euro bei. „Ohne die Industrie würden viele nachgelagerte Dienstleistungen überhaupt wegfallen“, meint IV-Präsident Veit Sorger. „Fast zwei von drei unselbstständig Beschäftigten in Österreich verdanken ihren Arbeitsplatz der Industrie.“

Die beschäftigungsintensivsten Sektoren sind die Maschinen- und Stahlindustrie mit rund 60.000 Beschäftigten, gefolgt von der Elektro- und Elektronikindustrie, in welcher 51.000 Menschen Arbeit finden, und von Metallwaren- sowie chemischer Industrie mit jeweils mehr als 40.000 Beschäftigten.

Weniger Jobs. In Summe sind in Österreich rund zwei Millionen Beschäftigte entweder direkt im produzierenden Sektor inklusive Gewerbe (909.000 Arbeitnehmer) tätig oder von diesem abhängig (1,1 Millionen Arbeitnehmer). Eine unveröffentlichte Studie des Industriewissenschaftlichen Instituts zeigt überdies, dass die Beschäftigtenanzahl bei den industrienahen Dienstleistern massiv angestiegen ist, während sie in der Industrie selbst rückläufig ist: Waren in den Industriebetrieben laut Konjunkturstatistik 2003 im Vorjahr 415.000 Arbeitnehmer beschäftigt, fanden im Jahr 2000 noch knapp 435.000 Österreicher in damals 3204 Industriebetrieben Arbeit.

Als Ursache für diese Entwicklung gelten vor allem Betriebsübernahmen, die Schließung von Werken sowie die Absiedlung lohnkostenintensiver Produktionsstätten in Niedriglohnländer. So sank etwa die Produktion in der Bekleidungsindustrie von 2002 auf 2003 von 890 auf 739 Millionen Euro und in der Elektro- und Elektronikindustrie von 10,9 auf 10,1 Milliarden Euro.

Auch die Papierindustrie, durchaus investitionsfreudig und in Österreich traditionell stark vertreten, verzeichnete im Vorjahr gegenüber 2002 einen Rückgang um 6,7 Prozent auf 3,1 Milliarden Euro. Branchenkenner führen dabei ins Treffen, dass die Papierindustrie von hohen Energiekosten und strengen Umweltauflagen betroffen ist. Die Papierfabrik Norske Skog Bruck GmbH zögert etwa, geplante Investitionen in der Steiermark zu tätigen, weil noch immer über die Errichtung leistungsstarker Energie-Infrastrukturen gestritten wird.

Auch Voest-Sprecher Nitterl hält die österreichischen Umweltstandards naturgemäß für eine ökonomische Belastung. „Wir haben 500 Millionen Euro in Umweltschutz investiert, und der Betrieb dieser Anlagen kostet uns jährlich 150 Millionen Euro“, argumentiert Nitterl. „Jede Mehrbelastung gefährdet uns im internationalen Wettbewerb.“

Ein prominentes Beispiel für die Stilllegung von Standorten ist die Schließung des Fernsehwerks des in die Insolvenz geschlitterten Elektronikkonzerns Grundig in Wien. 800 Arbeitsplätze gingen dadurch verloren. Der niederländische Elektronikkonzern Philips wiederum schloss in den vergangenen Jahren gleich drei Werke in Österreich: 2002 kam das Aus für die Videolaufwerk-Produktion in Wien, wodurch 1200 Stellen gestrichen wurden, sowie für das Bildröhrenwerk in Lebring mit 750 Mitarbeitern. Dieses Jahr wurde auch die Beamer-Produktion eingestellt, die für 270 Jobs gesorgt hatte.

Zugleich hat der Konzern allerdings im Vorjahr massiv in Österreich investiert: 30 Millionen Euro flossen in die Wiener Handylautsprecher-Produktion, 70 Millionen in Forschung und Entwicklung. Im Juli dieses Jahres wurden nochmals 65 Millionen Euro in die Forschung investiert.

Experten wie IV-Chefökonom Erhard Fürst halten solche Impulse auch für unabdingbar. „In Österreich werden sich langfristig nur Produktionsstätten für höchstwertige Produkte halten können“, glaubt Fürst. „Im Bewusstsein vieler Österreicher wird Industrie noch mit Schwerindustrie gleichgesetzt“, meint auch IV-Präsident Veit Sorger, „aber die Industrielandschaft hat sich längst schon zu einer intelligenteren Industrie gewandelt.“

Faktor Innovation. Als Beispiel für derartige Akzente darf etwa die Autozulieferindustrie gelten. So hat BMW in Steyr erst Anfang Juli die bislang größte Ausbaustufe des dortigen Motorenwerks in Betrieb genommen. Und Ende Juni eröffnete Opel Austria Powertrain ein neues Sechsgang-getriebe-Werk in Wien-Aspern, in dem 800 Mitarbeiter beschäftigt werden.

Nachhaltigen Erfolg haben vielfach auch all jene Unternehmen, die sich auf innovative Technologien für lukrative und klar definierte Nischen spezialisieren – etwa der Seilbahnspezialist Doppelmayr International AG, der Schweißgerätehersteller Fronius International GmbH oder der Feuerwehrautobauer Rosenbauer AG.

Zu den Nischenexperten zählt auch der Salzburger Kranhersteller Palfinger. 1932 als kleine Schlosserei gegründet, gilt Palfinger, zwar heute börsenotiert, aber dennoch mehrheitlich in Familieneigentum, als weltweit führender Hersteller von hydraulischen Knickarmkränen, wie sie beispielsweise zum Entladen von Lastwagen verwendet werden. „Mit unseren Abrollkippern, einem Containerwechselsystem, sind wir zwar erst die Nummer zwei am Weltmarkt, aber das wird sich bald ändern“, sagt Vorstandsvorsitzender Wolfgang Anzengruber. 2003 generierte Palfinger mit 2293 Mitarbeitern einen Gesamtumsatz von 334 Millionen Euro.

Die arbeitskostenintensiven Produktionszweige wurden nach Slowenien und Bulgarien ausgelagert. In Österreich werden dafür speziellere Teile gefertigt und die Montage durchgeführt. Gerade durch die Internationalisierung und das derart erfolgte Wachstum konnte Unternehmensangaben zufolge ein Personalabbau in den österreichischen Werken verhindert werden.

Strategische Expansion. Auf dem Weg zur Weltspitze sieht sich auch der Welser Pulverlackspezialist Tigerwerk. „Als ich 1996 zum Unternehmen kam, haben wir zuerst eine Strategieanalyse gemacht“, erinnert sich der technische Geschäftsführer Clemens Steiner. „Wir waren zwar gut im Service und hatten schon den US-Markt erobert, aber um unsere globalen Kunden betreuen zu können, mussten wir weiter nach Asien und Südamerika expandieren.“

Parallel zur Internationalisierung wurde intensiv in Forschung und Entwicklung investiert. 2003 errichtete Tigerwerk beispielsweise um 14 Millionen Euro ein eigenes Forschungszentrum in Wels, das sich besonders mit Nanotechnologie beschäftigt – etwa mit Produkten, die auf dem so genannten Lotusblüteneffekt basieren, einem der Natur nachempfundenen Prinzip, das die Herstellung selbstreinigender Oberflächen ermöglicht.

„Nach drei Jahren Entwicklung sind wir nun Weltmarktführer für Pulverbeschichtungen von speziellem Holz, das für den Möbelbau eingesetzt wird“, sagt Steiner. Heute arbeiten 800 Leute für das Familienunternehmen, das mittlerweile in 35 Ländern Tochtergesellschaften unterhält und im Vorjahr einen Umsatz von rund 119 Millionen Euro erzielen konnte.

Traditionsbetrieb. Vom Pleitefall zum dreifachen Weltmarktführer brachte es die Berndorf AG. Das einstige Vorzeigeunternehmen und der größte Industriebetrieb der Monarchie war schon damals international tätig und beschäftigte mehr als 4000 Arbeiter. Zwei Weltkriege und die folgende sowjetische Unternehmensführung brachten den Betrieb, der Bestecke industriell fertigte, mehrmals knapp vor das Aus. 1955 wurde Berndorf verstaatlicht und 1988 durch ein Management-Buy-out um den heutigen Mehrheitsaktionär und Vorstandsvorsitzenden Norbert Zimmermann privatisiert. Nach der Restrukturierung spielt Berndorf heute gleich in drei Nischen – Bandstahl, Bohrstangen und Industrieöfen – in der Weltliga mit.

Mit Besteck hat Berndorf seit 2000 allerdings nichts mehr zu tun. „Wir haben uns klar auf technologische Nischen ausgerichtet“, sagt Zimmermann. „Das ist ein Apothekergeschäft und deswegen für die Großen unattraktiv, da es zu wenig Umsatz- und Wachstumschancen bietet. Zugleich ist es mühsam, das spezielle Know-how und die Verarbeitungsqualität aufzubauen.“

Als wichtiges Erfolgskriterium für Industriebetriebe in Österreich sieht Zimmermann gute und hoch motivierte Mitarbeiter: „Unsere Mitarbeiter sind deshalb zu 24 Prozent an den jeweiligen Tochterfirmen beteiligt.“ Trotzdem wünscht er sich mehr rechtliche Flexibilität bei den Arbeitsverhältnissen. „Die Betroffenen sind oft zu mehr bereit, als das Gesetz erlaubt“, meint Zimmermann.

Innovations-Fokus. Die Hoffnung für den Industriestandort Österreich liegt aber laut IV-Präsident Veit Sorger besonders in der Forcierung von Innovationen – sei es im Bereich der klassischen Industrie oder in jüngeren Segmenten wie Biotechnologie, Pharmazie oder Nanotechnologie.

„Wir brauchen neue Produkte, um in der Wertschöpfungskette nach oben klettern zu können“, meint Sorger. Er will beispielsweise abgewanderte Forscher wieder nach Österreich holen und nennt als Beispiel den – freilich inzwischen etwas überstrapazierten – Fall des Genforschers Josef Penninger, der aus Kanada zurückkehrte, um das Institut für molekulare Biotechnologie in Wien aufzubauen.

Tatsache ist dennoch, dass sich in Wien rund um das neue Biotechnologie-Zentrum in der Wiener Muthgasse ein viel beachteter Biotech-Cluster etabliert hat. Der US-Pharmakonzern Baxter, der schon 2003 rund 200 Millionen Euro in eine Impfstoffproduktionsanlage in Krems investierte, wählte deshalb Wien als Standort für ein biotechnologisches Forschungszentrum, in das rund 60 Millionen Euro flossen. Aber auch der Halbleiterhersteller Infineon baut am Standort Villach sein konzernweites Forschungszentrum aus. Im Juli 2004 wurden dazu nochmals 7,7 Millionen Euro investiert.

Branchenbeobachter wie IV-Ökonom Erhard Fürst sind angesichts derartiger Entwicklungen jedenfalls der Ansicht, dass zumindest die richtigen Akzente gesetzt werden. Fürst: „Der notwendige Strukturwandel von einer auf Massenproduktion von Grundstoffen ausgerichteten Industrie hin zu einer High-Tech-Industrie ist schon gelungen.“