Technische Fakten: Die Kraft der Körner

Die Farbe der Autochrome basierte auf Kartoffelstärke

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Es war keine edle Konkurrenz der Erfinder, sondern vielmehr ein beinharter Wettbewerb von allerlei Kontrahenten, der die Entwicklung der Farbfotografie voranbrachte: Schon bald nach der orthochromatischen Sensibilisierung des Negativmaterials im Jahr 1873 machte sich eine Gruppe von Fotochemikern an die Arbeit, der Fotografie auch Farbe zu geben. Das schwarz-weiße Bild galt den Avantgardisten der jungen Branche nur als ungenügend. Ihren Entwicklungen lag die Milverton-Helmholtz-Theorie zugrunde, nach der aus den drei Grundfarben Rot, Blau und Grün auch alle restlichen Farben des Spektrums additiv generiert werden können. Der Physiker James Clerk Maxwell experimentierte schon 1861 mit additiven und subtraktiven Filtersystemen. Mithilfe von drei, die gefärbten Negative überlagernd projizierenden Lichtquellen gelang ihm so die Imagination einer Art Farbfoto.

Lippmann-Verfahren. Da war das 1891 entwickelte, auf Lichtinterferenzen beruhende Lippmann-Verfahren des gleichnamigen Luxemburger Nobelpreisträgers schon weiter. Es kündigte der Welt die Erfindung der Autochrome an. Doch wieder waren es drei Schwarz-Weiß-Negative, an die nachfolgend entsprechende Farbstoffpartikel gebunden werden mussten: Zu kompliziert für eine Massenproduktion und obendrein zu ungenau in den Farben. Somit blieb das Lippmann-Verfahren rein wissenschaftlich interessant. Doch auf all dem für Praxis und Kommerz unwichtigen Wissen konnten Auguste und Louis Lumière aufbauen, als sie 1903 das erste Patent für Farbfotografie niederschrieben. Ihr 1904 der Academie des Sciences vorgestelltes Autochrome-Verfahren war ein additives Rasterverfahren, das mit Glasplatten arbeitete, die unter ihrer lichtempfindlichen Schicht mikroskopisch kleine Körner aus Kartoffelstärke enthielten, welche zu gleichen Teilen in Rot, Blau und Grün eingefärbt waren. Dieser Einsatz kaum sichtbarer Kartoffelstärke macht diese Technik zur ersten Nanotechnologie der Industriegeschichte. Jedes einzelne dieser Körner ließ jeweils nur das ihm komplementäre Licht durch. Eine solche Autochrome-Platte lieferte nach ihrer Belichtung einen Vorläufer des heute bekannten Diapositivs. Die Technik der Brüder Lumière war die erste verwertbare Anwendungsmöglichkeit der Farbfotografie. Daher gelten die Franzosen, in Historikerkreisen nicht unumstritten, als eigentliche Erfinder des Farbfotos. Schon wenige Jahre später, inmitten des Ersten Weltkriegs, gelang es der deutschen Agfa, ein ähnliches Verfahren zu entwickeln, dessen Raster aus gefärbten Harzpartikeln bestand. Diese Farbfotografie war vielschichtiger, farbtreuer und zudem strahlender als jene der Lumières. Andere Entwickler setzten den Weg zum heutigen Mehrschichtverfahren fort, die Firma Lumière und mit ihr die gerühmte französische Filmtechnik spielte fortan keine große Rolle mehr.