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Technologieaktien: Com.back

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Die Geschichte von Jeff Bezos haben schon viele erzählt. Sehr viele. Das liegt daran, dass Bezos’ Geschichte eine schöne Geschichte ist. Eine, in der Klischees strapaziert werden: Junger Mann aus einfachen Verhältnissen hat eine Idee, gründet ein Unternehmen und wird steinreich.
In den USA gibt es viele Geschichten dieser Art. Doch jene von Jeff Bezos hat Symbolcharakter. Sie erzählt nicht bloß von ihm, sondern von der gesamten Technologiebranche. Sie zeichnet ein Sittenbild des Internet-Zeitalters.

Jeff Bezos ist 39 Jahre alt. Vor sieben Jahren hat er das mittlerweile international bekannte Online-Versandunternehmen Amazon gegründet, das anfänglich vor allem Bücher und CDs vertrieben hat, später auch Bekleidung, Spielzeug, Haushaltsgeräte und Elektronikprodukte. Seit der Gründung hat Bezos Dinge erlebt, für die andere ein ganzes Leben brauchen: Er hat Amazon 1997 an die Börse gebracht; er hat zugesehen, wie der Aktienkurs von 1,50 Dollar auf mehr als 100 Dollar explodierte; er musste miterleben, wie die Aktie auf fünf Dollar kollabierte.

Und Bezos hat Verluste geschrieben. 720 Millionen Dollar waren es im Jahr 1999. Doch das hinderte das US-Nachrichtenmagazin „Time“ nicht daran, Jeff Bezos zum „Mann des Jahres“ zu küren. Die Internet-Euphorie befand sich an ihrem Höhepunkt, und was zählte, waren Ideen. Bezos durfte also locker behaupten: „Es ist der falsche Zeitpunkt, ein profitables Geschäft zu wollen, aber der richtige, um zu investieren.“

Damals haben ihm das die meisten noch abgenommen. 1999 war der Hype um die so genannte New Economy schier grenzenlos. Technologieaktien waren in, ihre Kurse kletterten in sagenhafte Höhen, in New York explodierte der technologielastige Nasdaq-Aktienindex binnen weniger Wochen um rund 90 Prozent. Hunderte junge Unternehmen drängten an die Börse. Sie schrieben, wie ihr Vorbild Amazon, zwar satte Verluste, konnten aber mit optimistischen Businessplänen aufwarten.

Dann kam die Ernüchterung und mit ihr der Absturz. Die Darlings der New Economy mussten der Reihe nach ihre überschwänglichen Prognosen zurückschrauben. Und die Anleger, die Aktien oftmals auf Pump gekauft hatten, gerieten in Panik. Im März 2000 platzte die Spekulationsblase, innerhalb weniger Monate wurde an den internationalen Kapitalmärkten ein Vermögen von neun Billionen Euro vernichtet.

Das Ende der Geschichte? Eher das Ende eines Kapitels. Kapitel zwei begann unmittelbar danach. Drei Jahre lang leckten die Anleger ihre Wunden. Jetzt sind sie wieder da. Und mit ihnen die Technologieaktien.

Jeff Bezos befindet sich in der Hochschaubahn seiner Karriere wieder auf Steilfahrt. Seit Anfang dieses Jahres hat der Aktienkurs von Amazon um 172 Prozent zugelegt. Doch nicht nur Amazon legt zu. Die Internet-Plattform Yahoo! etwa brachte es auf ein Plus von 155 Prozent, der Chiphersteller Intel auf immerhin 114 Prozent. Insgesamt stieg der Nasdaq-Index, der die Kursentwicklung von 100 Tech-Aktien abbildet, um 44 Prozent.

Das bemerkenswerte Comeback der Technologieaktien ist keinesfalls ein rein amerikanisches Phänomen: In Deutschland etwa wird ebenso freudig in Technologiewerte investiert. Die Aktien des Softwarekonzerns SAP brachten es folglich auf ein Plus von 71,1 Prozent seit Jahresbeginn, die Dividendenpapiere des Halbleiterkonzerns Infineon stiegen um 72,5 Prozent. Sogar die (nach den Pleiten von MCN, Cybertron und YLine) verbliebenen österreichischen Technologieaktien durften überwiegend deutliche Kursanstiege verzeichnen: der Leiterplattenkonzern AT&S etwa (plus 54 Prozent), ebenso der Halbleiterausrüster SEZ (99 Prozent) sowie der Software-Hersteller Fabasoft (61 Prozent).

Herdentrieb. Es scheint, als würden die Anleger wieder einmal dem berüchtigten Herdentrieb unterliegen. Der 1999 verstorbene Börsenguru André Kostolany meinte einst, dass Entscheidungen der Anleger zu 90 Prozent aus psychologischen Gründen erfolgen. Wenn das zutrifft, müssten sie doch gerade vor jenen Aktien zurückschrecken, mit denen sie sich schon einmal die Finger arg verbrannt haben. Doch Kostolany meinte auch: „An der Börse ist alles möglich – sogar das, was logisch ist.“

Und eine gewisse Logik ist dem Run auf Technologieaktien nicht abzusprechen. In der Weltwirtschaft deutet alles auf einen bevorstehenden Aufschwung hin. Und das besagt wiederum, dass die Unternehmen wieder kräftig investieren werden. „Technologie ist die Grundlage der Ausrüstungsinvestitionen“, erklärt Monika Rosen vom Asset Management der Bank Austria Creditanstalt. Eine Umfrage des Investmenthauses Merrill Lynch ergab, dass die Unternehmen ihre Budgets für Anschaffungen im Bereich der Informationstechnologie nächstes Jahr um rund drei Prozent erhöhen wollen. Die Technologiekonzerne dürften also besonders rasch vom Konjunkturaufschwung profitieren.
Dazu kommt aber noch, dass die Technologieunternehmen, die den Crash des Jahres 2000 überlebt haben, größtenteils erheblich solider dastehen als seinerzeit. „Viele haben es geschafft, im Laufe der Krise ihre Kostenstruktur anzupassen“, meint Kurt Schappelwein, Analyst der Raiffeisen Zentralbank (RZB). Da wurde heftig umstrukturiert und rationalisiert. Und wieder hat Jeff Bezos’ Amazon Symbolcharakter für die gesamte Branche: Erstmals in der bewegten Geschichte des Unternehmens wird der Online-Versandhändler in diesem Jahr aller Voraussicht nach Gewinn schreiben.

Bezos’ einstiges Motto „Gewinne können wir uns nicht leisten“ war früher so etwas wie das Credo der gesamten New Economy. Verluste galten als Zeichen, dass die sich bietenden Chancen mutig genutzt werden. Gewinne waren der spießigen Old Economy vorbehalten. Heute, in der Post-Crash-Ära, ist Amazon der wandelnde Paradigmenwechsel: Schwarze Zahlen sind auf einmal ganz und gar nicht gestrig. Die Stars des Internet-Zeitalters – Amazon, Yahoo! und das Online-Auktionshaus eBay – haben Kosten gestrafft und weisen ansehnliche Geschäftszahlen auf. Auch in Deutschland soll beispielsweise Infineon, ein in den vergangenen Jahren fast notorischer Verlustschreiber, im nächsten Jahr wieder in die Gewinnzone kommen. Und unter den österreichischen Technologieunternehmen sind unter anderem SEZ und Fabasoft drauf und dran, den Turnaround zu schaffen.

Bauchweh. Und trotzdem werden die meisten Börsenexperten angesichts der aktuellen Technologie-Hausse von ziemlichem Bauchweh geplagt. Reihum versichern sie zwar, dass die Anleger des Jahres 2003 vorsichtiger seien als anno 1999. „Es wird sicher nicht mehr blind Geld auf alles geworfen, das mit ‚Tech‘ beginnt“, meint etwa Konrad Sveceny, Aktienanalyst der Erste Bank. Doch Aussagen dieser Art werden häufig mit einem geradezu beschwörerischen Unterton gemacht. Denn allen ist klar: Der gemeine Anleger ist häufig mit einem sehr kurzen Gedächtnis ausgestattet. Und momentan deutet vieles auf eine neue gefährliche Überhitzung hin.

„Es gibt Momente, in denen es verdammt nach 1999 ausschaut“, meint Analystin Rosen. „Mich erinnert viel an damals“, sagt auch ihr Kollege Schappelwein. Und Walter Holick, Leiter der Technologiegruppe in Deutschlands größter Fondsgesellschaft DWS, findet: „Die Kursentwicklung ist zwar nicht so extrem wie Ende der neunziger Jahre. Aber gerade bei kleineren Technologieunternehmen ist sie stärker ausgefallen als fundamental angemessen.“

Dass die diesjährige Kursentwicklung bei Technologieaktien nicht mit jener des Hypes 1999 vergleichbar ist, ist zutreffend. In Wahrheit sind die Kurse Lichtjahre von den damaligen Werten entfernt. Doch das sollte nicht unbedingt beruhigen. Denn mittlerweile häufen sich Vorfälle, die frappant an die Irrläufe vor vier, fünf Jahren erinnern. So hat etwa Intel unlängst sehr euphorische Prognosen für das Jahr 2005 veröffentlicht. „Das ist sehr bedenklich“, meint Schappelwein. „Völlig absurd hoch“ findet er auch den mit 15 Milliarden Dollar bezifferten Unternehmenswert des Internet-Suchmaschinenbetreibers Google, der einen Gang an die Börse plant. „Da werden schon Erinnerungen wach“, sagt der Analyst.

Vorsicht. Trotzdem ist dieses Mal einiges anders. Auffällig ist, dass sich die Analysten – im Gegensatz zu früher – mit Empfehlungen für Technologieaktien sehr zurückhalten. Wenn schon nicht die Anleger, so haben offenbar wenigstens die Analysten die dramatischen Ereignisse des Jahres 2000 in starker Erinnerung.

Zwar raten die wenigsten von einem Investment in Technologieaktien explizit ab. Doch die Analysten sind mit ihren Empfehlungen sehr wählerisch. „Man muss sich nicht unbedingt gegen den fahrenden Zug stellen“, betont Analystin Rosen, „aber Anleger müssen unbedingt diversifizieren.“

Der Grund für die Vorsicht liegt darin, dass Technologieaktien (mit Ausnahme vieler österreichischer) bereits jetzt schon sehr teuer sind. Der erwartete Konjunkturaufschwung ist also schon eingepreist, wie es im Analysten-Jargon heißt. Anders formuliert: Es wird in absehbarer Zeit vermutlich nur wenige positive Meldungen geben, die dazu angetan sind, ein weiteres, kräftiges Anziehen der Kurse auszulösen.

Die meisten Aktienexperten sind der Meinung, dass die Technologie-Hausse noch ein bis zwei Monate andauern wird. Dann dürfte es zu einer Verschnaufpause kommen. Einerseits, weil aufgrund der anziehenden Konjunktur mit steigenden Zinsen zu rechnen ist, was Aktien im Vergleich zu Anleihen als Anlageform tendenziell weniger attraktiv macht. Und andererseits, weil der Wirtschaftsaufschwung auch dazu führen wird, dass andere Branchen für Anleger ähnlich interessant werden. Es wird also zu einem „Favoritenwechsel“ kommen.

Und Jeff Bezos? Der wird diese Situation sicherlich wieder mit einer lässigen Wortmeldung wegstecken.
Doch dieses Kapitel ist noch nicht geschrieben.