Tränen des Glücks

Telefonbetrug: Luck24 soll die Drehscheibe eines Glücksspielkarussells sein

Telefonbetrug. Das Wiener Unternehmen Luck24 soll die Drehscheibe eines skrupellosen Glücksspielkarussells sein

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Auf dem Küchentisch liegt ein Haufen fröhliche Post. „Liebe Frau H.! Der Sekt ist schon kalt gestellt. Sie haben gewonnen!“ „Gewinn 10.000 Euro. Bitte schnell öffnen.“ „Wenn Tränen an Ihren Wangen herunterlaufen sollten, dann fürchten Sie sich nicht, denn es sind Tränen des GLÜCKS ... DES WAHREN GLÜCKS!“ Weil Geld alleine bekanntlich nicht alles ist, findet sich unter den „streng vertraulichen Bargeld-Benachrichtigungen“, „persönlichen Gewinn-Zertifikaten“, „offiziellen Wert-Gutscheinen“ auch noch „unvergleichliche Hilfe“ vom „Astrologie-Medium Maître Paul Ritter“.
Berta H.* ist 88, pflegebedürftig, lebt im Salzkammergut und kann sich nicht erklären, wie sie so viel Glück verdient hat. Noch weniger versteht sie, warum Unbekannte ständig von ihrem Konto Geld abgebucht haben. Vermutlich wäre das auch noch eine Weile so weitergegangen, hätte ihre Nichte im September 2010 nicht zufällig eine seltsame Szene beobachtet: Berta H., die sich kaum auf den Beinen halten kann, telefonierte mit jemandem. Sie hielt ihre Bankomatkarte in Händen und las dem Anrufer die letzten drei Ziffern ihrer Kontonummer vor.

Als ihre Nichte wenig später die Bankauszüge ihrer Tante durchsah, traute sie ihren Augen nicht: „Österreich wird reich“, „Tip 7“, „Aktion Österreich gewinnt“, „Lottoverbund“, „Euro Lotto Tipp AG“, „Gewinnplan“ – eine ganze Armada von Online-Portalen hatte sich seit Juni 2008 an der Pension der betagten Dame bedient und monatlich zwischen 55 und 149 Euro abgebucht. In Summe: fast 6000 Euro.

Die Nichte wandte sich an den Verein VPT, der es sich zum Ziel gesetzt hat, die Netzwerke betrügerischer Firmen aufzudecken und Opfer zu beraten. Ihre Tante Berta war in die Fänge von mutmaßlichen Glücksspielbetrügern geraten, denen inzwischen die Staatsanwaltschaft Wien in Zusammenarbeit mit mehreren deutschen Staatsanwaltschaften auf der Spur ist. Ermittelt wird wegen des Verdachts auf schweren gewerbsmäßigen Betrug.

Als Drehscheibe könnte den Ermittlungen zufolge die Wiener Luck24 GmbH fungieren, weswegen das Konstrukt „Wiener Karussell“ getauft wurde. Das Unternehmen bezog seinen Sitz ausgerechnet in jenem Haus in der Wiener Rotenturmstraße, in dem auch die Rechtsanwaltskammer residiert. Der offizielle Geschäftszweck ist die Erbringung von IT-Dienstleistungen. 60 Prozent der Luck24 kontrolliert die Wiener „Rowa Privatstiftung“, als deren Stifter das Firmenbuch den 50-jährigen Wiener R.F. Marek ausweist. Vorstand der Stiftung ist eine bekannte Figur der besseren Gesellschaft: ein ehemaliger ORF-Mitarbeiter und Träger des Goldenen Verdienstzeichens des Landes Wien. Dieser ist nach Angaben von Marek im Dezember als Stiftungsvorstand zurückgetreten. Die restlichen 40 Prozent von Luck24 hält eine „KLS-Privatstiftung“. Ihr Stifter heißt Stephan Kleinander. Er ist gleichzeitig Geschäftsführer von Luck24.

Wiener Karussell.
Im Fokus der Ermittlungen der Polizei steht R.F. Marek, von seinen Freunden kurz „RFM“ genannt. Ins Rollen gebracht wurden sie von Stephan Pergrin, Geschäftsführer eines Kundencenters, das für Luck24 arbeitet. Detailliert beschrieb er profil, wie „Wiener Karussell“ funktioniert haben soll. Er schätzt, dass das Imperium im Lauf der Zeit Dutzende Firmen umfasste, die sich bevorzugt in Steueroasen ansiedeln und ihre Namen und Adressen alle sechs bis zwölf Monate ändern. Das erschwere die Ermittlungen der Fahnder, so Pergrin: „Bis ihre Rechtshilfeansuchen an ausländische Behörden erhört werden, sind verdächtige Firmen schon wieder geschlossen und neue gegründet.“

Die Fahnder tappen noch im Dunkeln, wie genau die Firmen zusammenhängen. Die Staatsanwaltschaft Mannheim ließ im Oktober fünf Verdächtige festnehmen, vier davon in Palma de Mallorca. Unter ihnen ein gewisser Andreas B. aus Graz, der – so wie R. Marek – einen Wohnsitz auf der beliebten Ferieninsel hat. Wie eng diese Personen mit Luck24 kooperiert haben, ist noch ungewiss. Auch in Bielefeld, Essen und Berlin stehen Firmen im Visier, die im Einflussbereich der Luck24 stehen könnten. Walter Kassenböhmer, Sprecher der Staatsanwaltschaft Essen: „In unserem Verfahren gegen einen Ring von Telefonbetrügern sind wir am Rande auf Luck24 gestoßen. Es scheint so, als könnten unsere Verdächtigen von Luck24 beauftragt worden sein. Im Übrigen haben auffällig viele dubiose Glücksspielanbieter, die mit dieser Masche operieren, ihren Sitz in Österreich.“

Gegen Pergrin wurde zunächst ebenfalls ermittelt, heute unterstützt er die Fahnder. Zwei Jahre lang hatte die Polizei keinen Faden des Netzwerks in die Hand bekommen. Laut Pergrin operiert das Luck24-Netzwerk sowohl am deutschen als auch am heimischen Markt. Als Geschäftsführer diverser Unternehmen würden einfach „Leute von der Straße“ eingesetzt. Was dem angehenden Anbieter von Gewinnspieleintragungen fehlt, bekomme er von Luck24 oder ihr nahestehenden Unternehmen geliefert: Callcenter, Webportal, Telefontechnik, so genannte „Billingfirmen“, die Kontoeinzüge vornehmen, und Hotlines. „Die Gewinnkette ist geschlossen, alles wird von Luck24 kontrolliert“, so Pergrin.

Der Modus Operandi folge dem immer gleichen Muster. Das Telefon läutet, und wer, so wie die alte Dame aus dem Salzkammergut, abhebt, wird mit den Worten begrüßt: „Sind Sie Herr/Frau xy?“ Mit dem ersten „Ja“, das der Angerufene von sich gibt, sollen später Vertragsabschlüsse auf Audiofiles manipuliert worden sein, die man Behörden und Anwälten vorlegen konnte. Danach drehe sich das Gespräch um Gewinne, die man als Mitglied einer Lottotippgemeinschaft oder eines Gewinnspieleintrag-Services bekomme.

Ziel der Callcenter-Mitarbeiter sei es, den Angerufenen die letzten Ziffern der Kontonummer zu entlocken. Auch das verlangt der Gesetzgeber für einen Vertragsabschluss. Wenig später werde vom Konto abgebucht.
Viele Kunden versuchen die Mitgliedschaft, die ihnen angedreht worden sein soll, zu kündigen. Vergeblich. Bald erhalten sie unfreundliche Post von Inkassobüros und Rechtsanwälten. Was sie nicht wissen: Das Kundencenter, an das sie sich wenden, reagiert laut Pergrin nur auf Klagsandrohungen. Ging ein Kunde zur Polizei, verliefen die Ermittlungen stets rasch im Sand. Unangenehm wurde es für die Portal-Betreiber erst, als der Internet-Blog „Wiener Karussell“ online ging, der die Einzelfälle miteinander verknüpfte. Deutsche Staatsanwälte hatten bereits zu ermitteln begonnen. Einige Spuren wiesen nach Wien. Alexander Wykret, Kriminalhauptkommissar in Gelsenkirchen, will ermittelt haben, „dass die Kundendaten bei Luck24 in Wien zusammenlaufen“.

Im Mai 2010 berichtete eine ORF-Reporterin in der Sendereihe „Am Schauplatz“ über die Vorwürfe gegen das Luck24-Netzwerk. Am 19. Mai 2010 deponierte Pergrin bei der Staatsanwaltschaft Wien eine Sachverhaltsdarstellung, in der er das „Wiener Karussell“ skizzierte. Eine Woche später durchsuchten Polizisten das Luck24-Büro in der Rotenturmstraße und beschlagnahmten Unterlagen aus den Jahren 2007 bis 2010. Weitere Amtshandlungen folgten: Zwischen Mai und September 2010 ließ die Staatsanwaltschaft Wien rund zehn Hausdurchsuchungen im In- und Ausland durchführen, fror zahlreiche Konten von Luck24 ein und stellte mehrere hunderttausend Euro sicher. Michaela Schnell, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Wien, spricht von einem „international konstruierten Firmennetzwerk, an dem zahlreiche Personen beteiligt sind“. Laut Pergrin sollen die Gelder kreuz und quer über den Globus geflossen sein. Wie viel das Netzwerk bislang eingespielt hat, wagt die Staatsanwaltschaft Wien nicht zu schätzen.

Teure Autos, schöne Mädchen.
Ein Insider berichtet profil, Marek sei in der mallorquinischen Szene legendär für seine „teuren Autos und Party-Orgien mit schönen ­Mädchen“.

Journalisten und Anwälte, die sich für Opfer von mutmaßlichen Telefonbetrügereien einsetzen, werden mit Beschwerden und Klagsandrohungen eingeschüchtert. Ein ehemaliger ORF-Mitarbeiter hatte verucht, die ORF-Berichterstattung über Luck24 zu beeinflussen. Sein E-Mail an die Rechtsabteilung liegt profil vor. Luck24 beschwerte sich – ebenso wie ihre damalige 100-Prozent-Tochter Epagado – beim Bundeskommunikationssenat über die Beiträge. Beide wurden abgewiesen. Inzwischen muss sich die „Am Schauplatz“-Reporterin mit einer Strafanzeige herumschlagen. Sie hatte einen Geschäftspartner von Luck24 befragt. Obwohl sie seine Stimme und sein Gesicht unkenntlich gemacht hatte, vernahm die Staatsanwaltschaft Wien die Journalistin wegen des Verdachts der unerlaubten Tonaufnahme. Das Verfahren läuft noch. Auch der Berliner Rechtsanwalt Stefan Richter, der mehrere Telefonbetrugsopfer vertritt, wurde von Anwälten der Luck24 verklagt. Konsumenten, die ihren Fall in den Medien geschildert hatten, hängte Luck24 Verleumdungsklagen an.

„Ja, was sollen wir sonst tun?“
, sagt R. Marek und zuckt mit den Schultern. Vergangenen Freitag sprach profil mit ihm und Geschäftsführer Stephan Kleinander in der Kanzlei von Jaksch, Schoeller & Riedl. Tenor der Unterhaltung: „Das Ganze ist eine große Verleumdung. Die Luck24 ist auf IT-Dienstleistungen spezialisiert. Wir rufen niemanden an, wir buchen nirgends ab, wir bieten keine Produkte für Endkunden an, und wir haben niemals Soundfiles gefälscht“, so Kleinander. Marek legt Wert auf die Feststellung, dass er bei Luck24 „keine operative Funktion“ habe: „Ich bin lediglich Begünstigter der Rowa-Privatstiftung, die Anteile an Luck24 hält.

Außerdem ist die Stiftung an der IDTS AG beteiligt, die Hotlines betreibt. Ich selbst habe eine einzige Firma in Spanien, die auf Marketing und Medienberatung spezialisiert ist. Es steht auch keine weitere Firma oder Stiftung in meinem Einflussbereich.“ Der ehemalige ORF-Mitarbeiter sei „ein guter Freund“, deshalb habe er ihn gefragt, „ob er mir den Stiftungsvorstand macht“. Dieser nahm profil gegenüber in einem E-Mail Stellung: „Es ist mir bekannt, daß seit etwa einem Jahr Ermittlungen stattfinden. Ich darf versichern, daß die mich betreffenden Vorwürfe unbegründet und falsch sind.“

Fast wortgleich bestreitet Marek alle Vorwürfe.
Die Ermittlungen seien „aufgrund politischer Einflussnahme gestartet“ worden. Es werde mit allen Mitteln versucht, alle Telefonbetrüger, die irgendwo festgenommen würden, der Luck24 zuzuordnen. Die Staatsanwaltschaft stütze sich laut Marek auf fragwürdige Quellen: „Es handelt sich um die Racheaktion eines ehemaligen Auftragnehmers. Wir haben uns wegen der mangelnden Qualität seiner Kundenbetreuung von ihm getrennt.“ Man habe bereits Anzeigen wegen Verleumdung und Erpressung gegen den Ex-Geschäftspartner eingebracht. Auch einen ehemaligen Mitarbeiter einer Kundenfirma hat Marek im Verdacht. Beide Personen hätten versucht, die Luck24 zur Bezahlung größerer Geldbeträge durch Drohung mit Anzeigen zu nötigen.
Marek kann jedenfalls auf gewachsene Strukturen bauen. „Er war der Erste am österreichischen Markt, der mit Mehrwertnummern gehandelt und damit unvorstellbar viel Geld verdient hat“, sagt Harald Gschweidl, Geschäftsführer von Teleforte, einem Mitbewerber am Markt. Pionier Marek bediente das seriöse Segment, schaltete etwa Hotlines für den Radiosender Ö3. Lukrativer seien jedoch Erotik-Hotlines gewesen, für die in den Zeiten vor dem Internet „ein paar Damen genügten, die auf Anrufbeantworter stöhnten“ (Pergrin).

Als immer mehr Anbieter auf den Markt drängten, habe Marek davon geträumt, mit einem „Lotto around the world“ ein Vermögen zu machen. Die Idee der automatischen Gewinnspieleintragung sei vor wenigen Jahren aus „einer Laune heraus“ entstanden, anfangs noch im gesetzlichen Rahmen. Ab Mai 2008 sollen laut Pergrin „Leistungen teilweise erbracht, teilweise aber auch nur vorgegaukelt“ worden sein.

Berta H.
, die alte Dame aus dem Salzkammergut, hat inzwischen die Hälfte ihrer unfreiwilligen Beiträge für ihr Glück, also 3000 Euro, refundiert bekommen. Ihre Hausbank machte die Lastschriftbuchungen rückgängig und wacht nun mit Argusaugen über alle verdächtigen Kontenbewegungen. Völlig aufgehört haben sie bis heute nicht, sagt ihre Nichte. Und die Post für Frau H. ist mittlerweile auch deutlich unfreundlicher geworden. Statt hilfreicher „Astrologie-Medien“ vom Schlage eines Maître Paul Ritter melden sich nun Inkassobüros und Rechtsanwälte. Ihre Nichte legt sie auf einen Stapel. Sie weiß inzwischen, dass sie die Drohungen ignorieren kann.