Telekom Austria: Der Mega-Flop

Warum die Verlobung mit den Schweizern scheiterte

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Der letzte „Privatisierungs“-Coup der ÖIAG geriet zu einem ihrer spektakulärsten. Nachdem die ÖIAG, sie ist der wichtigste Aktionär der Telekom Austria, und das Schweizer Staatsunternehmen Swisscom zwei Monate lang streng geheim über einen Verkauf der Telekom Austria an die Eidgenossen verhandelt hatten, verkündete die ÖIAG am Donnerstag voriger Woche das Platzen des „zu 95 Prozent ausgefeilten“ Deals.

ÖIAG-Präsident Alfred Heinzel, die ÖIAG-Vorstände Peter Michaelis und Rainer Wieltsch sowie Telekom-Austria-Chef Heinz Sundt erklärten in einer Pressekonferenz in Wien einhellig darüber ihr größtes Bedauern. In einem „Zusammenschluss“ mit den Schweizern hätten sie eine „industriell-strategisch hervorragende Lösung“ gesehen. „Die Politik“ – sprich Finanzminister und ÖIAG-Eigentümervertreter Karl-Heinz Grasser – sei hinter dem Deal gestanden, solange dieser nicht an die Öffentlichkeit durchgesickert war, so die unausgesprochene Bewertung durch die Herren. Dass schließlich Kanzler Wolfgang Schüssel den Plan aufgrund politischen Drucks sowohl aus der FPÖ wie aus den eigenen Reihen gestoppt hat, das wollten die Repräsentanten der ÖIAG in der Pressekonferenz nicht kommentieren.

Ebenso wenig wie die öffentliche Erklärung ihres Eigentümervertreters Grasser. Denn der hatte zur Verblüffung der ÖIAG-Führung öffentlich bekundet, er sei über den Abbruch der Verhandlungen „erfreut“. In seinem Statement versuchte Grasser den Eindruck zu erwecken, es sei erstens bloß auf die drängende Initiative der Schweizer überhaupt zu Verhandlungen gekommen, und zweitens sei aus dem Plan nur deshalb nichts geworden, weil die ÖIAG gemäß der angeblichen Haltung des Finanzministers besonders hart auf die Wahrung „österreichischer“ Interessen gedrängt habe. Solchen austro-patriotischen Wünschen hätten die Schweizer eben nicht entsprechen wollen oder können.

Konkret spricht Grasser von „nicht ausreichend erfüllten Bedingungen“ – eine Darstellung, die Insider der Vorgänge nun süffisant interpretieren: Angesichts des neuerlichen Privatisierungsdesasters der ÖIAG (das Mehrheitseigentum des Schweizer Staates an der Swisscom ist verfassungsrechtlich abgesichert) sei jetzt offenbar jeder der Akteure bloß noch bemüht, mit heiler Haut und ohne Verlust seiner Ämter davonzukommen. Auch wenn die dazu post festum nötigen Rechtfertigungen mit dem wahren Geschehen nur marginale Ähnlichkeit aufweisen.

Die Reaktionen auf den Flop sind in Österreich heftig. Die Schweizer Medien nehmen es cooler. Sie hatten sich auch in den Tagen zuvor mit dem bevorstehenden Deal nicht sonderlich intensiv beschäftigt. Die „Berner Zeitung“ etwa hatte halbherzig gefragt, ob die Swisscom mit ihrem Ösi-Plan nicht „vor einem riskanten Schritt“ stünde. Der „Blick“, die auflagenstärkste Zeitung der Eidgenossen, titelte: „Swisscom scharf auf Österreicher: Wenn das nur gut geht“. Und in der „Neuen Zürcher Zeitung“ („NZZ“) konnte man am Donnerstag lesen, dass „nichts … die ganze Verlogenheit der Diskussion und die Fähigkeit der Österreicher zu verdrängen besser zeigt“ als deren Reaktionen auf den geplanten Zusammenschluss. Die „NZZ“ mit Blick auf das Nachbarland: „Sachargumente sind (dort) das Letzte, was in einer Diskussion gefragt ist.“

Hickhack. Tatsächlich war die heimische Debatte von Wahrhaftigkeit nicht allzu sehr geprägt. ÖVP-Klubobmann Willi Molterer hatte ursprünglich gegen die Verkaufspläne nichts einzuwenden und befürwortete dann den von der Politik befohlenen Verhandlungsstopp. Molterer wollte nach dem Auffliegen des Vorhabens dem Land glatt den Mund verbieten, indem er empfahl: „Es ist nicht klug, diesen Verkauf politisch zu kommentieren.“ Denn hier sei ja ausschließlich die ÖIAG am Werk. SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer wiederum schwang sich in seinen öffentlichen Statements zum Schützer des „Unternehmens, des österreichischen Kapitalmarkts, des einzelnen Aktionärs und des heimischen Wirtschaftsstandorts“ auf, indem er kritisierte, durch das Hin und Her sei all den genannten Personen und Institutionen „massiver Schaden zugefügt“ worden. Schuld daran sei Finanzminister Grasser. Gegen ihn will die SPÖ nun gar eine Ministeranklage einbringen.

Jörg Haider gab als Meinungsführer der FPÖ schon zu Wochenbeginn die Linie der Freiheitlichen vor, indem er den Schweizer Deal mit der Begründung ablehnte: „Das braucht eine Gesetzesänderung.“ Eine Tatsache übrigens, die der ÖIAG von Anfang an bekannt war: Für die Swisscom-Lösung hätte es eine Novelle zumindest des ÖIAG-Gesetzes gebraucht. Dass die FPÖ einer solchen nicht zustimmen werde, war aus Haiders Äußerung unschwer herauszulesen. In der ÖVP wurde das dahin gehend interpretiert, dass sich Haider, wie gewohnt, die koalitionäre Zustimmung um einen politischen Preis abkaufen lassen wolle. Doch darauf wollte man sich diesmal nicht einlassen.

Am Donnerstag legte die ÖIAG dann das komplizierte Swisscom-Fusionsmodell so stolz, so sorgfältig bis ins aktientechnische Detail dar, als handle es sich um ein aktuelles, erfolgversprechendes Vorhaben. Die technischen Finessen hatten die ÖIAGler mit Spitzenjuristen und teuren Investmentbankern bis ins Kleinste ausgetüftelt. Doch dass dafür im Vorfeld eine Gesetzesänderung notwendig ist – dieses Ärgernis war großzügig verdrängt worden. „Grasser hat signalisiert, dass er das schon richten wird“, rechtfertigt ein Beteiligter nun hinter vorgehaltener Hand.

Und schließlich erwiesen sich in diesen Tagen des Telekom-Tumults auch die Äußerungen von Arbeitnehmerseite nicht unbedingt als konsistent. Telekom-Betriebsratschef Michael Kolek hatte während der Verhandlungen durchaus Kompromissbereitschaft signalisiert. Und zwar so stark, dass sich ÖIAG-Präsident Heinzel bei der Pressekonferenz sogar zu der Feststellung verstieg, mit den Arbeitnehmervertretern habe man bereits „Einvernehmen erzielt“. Darin wurde er zwar von Peter Michaelis postwendend öffentlich korrigiert („Nein, das stimmt nicht“). Aber Betriebsrat Kolek hatte zu dem Thema noch wenige Tage zuvor immerhin erklärt: „Wir sind sicher keine Blockierer und Verhinderer.“ Kolek ließ durchblicken, dass der Betriebsrat zustimmen werde, wenn, im Zug der Endverhandlungen, hinsichtlich der österreichischen Rechte in der künftig gemeinsamen Gesellschaft noch das eine oder andere „herauszuholen“ sei. Er sprach vom konkreten Erfordernis einer „österreichischen Sperrminorität“.

Freilich hatten die Verhandler aus diesem Grund ohnehin vor, die im Syndikatsvertrag vorgesehene Aufwertung der Stimmrechte des österreichischen Aktienpakets als De-facto-Sperrminorität zu „verkaufen“.

Betriebsrat Kolek legte im Lauf der Woche dann noch etwas an Schärfe zu. ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch hatte für den Gewerkschaftsbund erklären lassen, man sehe „zahllose Arbeitsplätze“ gefährdet und müsse unter Umständen gar einen „Schaden in der Versorgung mit Telefondienstleistungen“ befürchten. Dieser Stimmung entsprechend, begann dann auch Kolek, die muskulöse Gewerkschafterfaust etwas bedrohlicher zu schwingen: Er drohte mit Streik.

Abruptes Ende. Alles passé. Der Deal ist jetzt abgesagt. Nach dem missglückten Verkauf der Post an die Deutschen, dem Versuch eines Verkaufs der Voest an Magna, nach dem Chaos, in das die ÖIAG die Technologie-Tochter VA Tech durch ihre stets wechselnden Positionierungen vis-à-vis dem neuen Kernaktionär Mirko Kovats manövriert hat – nach all dem stellt dies nun schon den vierten monumentalen ÖIAG-Flop en suite dar.

Die Überlegungen über ein Zusammengehen der Telekom Austria mit der Swisscom haben übrigens schon eine durchaus lange Geschichte. Im November 2001 hatte sich die Telecom Italia, der frühere unglückliche Partner der ÖIAG in Telekom-Angelegenheiten, aus ihrem österreichischen Engagement zurückgezogen. Bald danach begann Generaldirektor Heinz Sundt – zunächst in informellen Gesprächen – mit seinem Schweizer Pendant Jens Alder von den Möglichkeiten zu träumen, die sich bei einem Schulterschluss eröffnen könnten. Ende 2002 wurde aus diesen Träumereien ein wenig mehr, erste Gerüchte über „Verhandlungen“ machten die Runde. Die Gerüchte blieben unkommentiert, aber auch undementiert.

Im April 2003 schien freilich alles wieder zu Ende zu sein. Zeitungen berichteten über ein Platzen der Verhandlungen – der Grund läge in unüberbrückbaren Differenzen im Preis. Damals wollte die Swisscom für eine Telekom-Aktie maximal elf Euro zahlen. Doch schon im Juni tauchten Meldungen über neuerliche Gespräche auf: Österreicher und Schweizer hätten bereits eine „Grundsatzvereinbarung“ unterzeichnet. Wie immer in solchen Gerüchtephasen legte der Aktienkurs der Telekom an der Börse zu.

Im Februar dieses Jahres lässt die ÖIAG dann überraschend verlauten, dass ein „strategischer Investor“ bei der Telekom denkbar sei, dass dieser jedoch mindestens 15 Euro pro Aktie zahlen müsse. Da die Branche nicht damit rechnet, dass die Swisscom so viel zu zahlen bereit ist, tritt die Variante der Privatisierung über die Börse in den Vordergrund. Der ÖIAG-Aufsichtsrat gibt grünes Licht für die Börsenprivatisierung weiterer 17 Prozent des Telekom-Aktienkapitals.

Und dann geht es Schlag auf Schlag: Geheimverhandlungen mit Swisscom, während rundum alles noch rätselt, wann der nächste Börsenschritt denn nun wirklich erfolgt. Am Freitag vorvergangener Woche finalisiert Grasser die Causa mit seinem Schweizer Amtskollegen Hans-Rudolf Merz bei einem Dinner in Bern. Am Montag berichtet darüber „Die Presse“.

Der Rest – die letzten Rettungsversuche, das Zurückzucken der Politik – dauert dann nur mehr drei Tage.