Telekommunikation: Ran an den Speck

tele.ring: Wie T-Mobile die Konkurrenz narrte

Drucken

Schriftgröße

Es war ein Bild mit Symbolcharakter. Am Freitagvormittag vergangener Woche versammelten sich die Spitzen der österreichischen Mobilfunkbranche in der Wiener Innenstadt im traditionsreichen Café Griensteidl, um öffentlich gegen die jüngst vom Land Niederösterreich beschlossene Steuer auf Handymasten aufzutreten. Schulter an Schulter am Podium: Mobilkom-Austria-Vorstand Hannes Ametsreiter, One-Chef Jørgen Bang-Jensen, tele.ring-Boss Michael Krammer und Drei-Manager Bertold Thoma.

Ein Mann fehlte: Georg Pölzl, Geschäftsführer von T-Mobile Austria. „Ich wollte nicht mit Fragen gelöchert werden“, sagt er. Am Tag davor hatte Pölzl erreicht, was ihm bis dahin kaum jemand zugetraut hatte. Am Nachmittag des 4. August 2005 beschloss der Aufsichtsrat des Mutterkonzerns Deutsche Telekom die Übernahme des zum Verkauf stehenden österreichischen Konkurrenten tele.ring: für 1,3 Milliarden Euro. Ein Deal, der nicht nur den Mobilfunkmarkt in seinen Grundfesten erschüttern wird – auch der eine oder andere Kollege dürfte darob konsterniert sein. One-Chef Bang-Jensen hatte sich ebenfalls an der tele.ring-Übernahme versucht – und war gescheitert. Und tele.ring-Geschäftsführer Michael Krammer wurde von seinem US-Eigentümer Western Wireless International vorsorglich erst gar nicht eingeweiht. „Ich habe von den Verhandlungen aus der Zeitung erfahren“, beteuert Krammer.

Aus der beabsichtigten Fusion – sie muss noch von den Wettbewerbsbehörden in Brüssel und Wien genehmigt werden – entsteht ein Unternehmen mit insgesamt 3,9 Millionen Kunden, einem kumulierten Umsatz von 1,4 Milliarden Euro und 2200 Mitarbeitern. Mit einem Marktanteil von zusammen 37 Prozent kommt der neue Herausforderer dem Branchenleader Mobilkom Austria (41 Prozent) gefährlich nahe. Mobilkom-Vorstandsvorsitzender Boris Nemsic nimmt’s gelassen. „Mir ist wurscht, was die Konkurrenz macht.“

Überraschungscoup. Nemsic hätte sich unter Umständen selbst gern eine Scheibe vom tele.ring-Speck abgeschnitten. „Das wäre für uns aber schon aus kartellrechtlichen Überlegungen nicht möglich gewesen“, sagt er.
T-Mobile also.

Noch bis Ende vorvergangener Woche hatte niemand die österreichische Tochter des deutschen Telekom-Konzerns auf der Rechnung gehabt. Monatelang war das tele.ring-Management im Auftrag von Western-Wireless-CEO John Stanton potenziellen Investoren Rede und Antwort gestanden, unter ihnen die niederländische Telekom-Gruppe KPN, der österreichische Mitbewerber One und eine Reihe von Fondsgesellschaften.

Was tele.ring-Chef Krammer vorgeblich nicht wusste: Während er Präsentation um Präsentation abspulte, lief im Hintergrund längst das tatsächliche Geschäft. „Wir hatten uns in den Verhandlungen absolute Geheimhaltung ausbedungen“, feixt T-Mobile-Geschäftsführer Pölzl, „sonst hätten wir die Unruhe der letzten Tage über Wochen gehabt.“

Nachdem am vorvergangenen Wochenende erstmals öffentlich über das Zusammengehen von Österreichs Nummer zwei mit der Nummer vier spekuliert wurde, war da wie dort Feuer am Dach. Der tele.ring-Betriebsrat wähnte den Verlust aller Arbeitsplätze und drohte in eilig einberufenen Betriebsversammlungen kurzfristig sogar mit Streik. Pölzl seinerseits erhielt täglich dutzende E-Mails. „Drei Viertel davon waren nicht gerade freundlich gemeint“, sagt er.

Die Konspiration hatte ihren Preis. Im Gegensatz zu anderen Interessenten musste T-Mobile auf eine Prüfung der tele.ring-Bücher und die eingehende Befragung des Managements, die so genannte „due dilligence“, verzichten.

Ein Blick in die Bilanzen des seit dem Jahr 2000 aktiven Mobilfunkbetreibers lohnt durchaus. Laut Jahresabschluss der tele.ring Telekom Service GmbH für das Wirtschaftsjahr 2004 hat das Unternehmen im Vorjahr erstmals in seiner Geschichte operativ substanziell schwarze Zahlen geschrieben. Aus einem Umsatz von 539,5 Millionen (2003: 369,2 Millionen) Euro erwirtschaftete tele.ring ein Ergebnis vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (EBITDA) in der Höhe von 122,1 Millionen (2003: 26,6 Millionen) Euro. Nach Abzug der Steuern und sonstiger Belastungen verblieb unter dem Strich ein Jahresgewinn in der Höhe von 12,267 Millionen Euro. Im Jahr davor hatte der Verlust noch 85,57 Millionen Euro betragen.

Bei der T-Mobile Austria GmbH war die Situation spiegelverkehrt. Der Umsatz fiel um 49,98 Millionen auf 883,19 Millionen Euro, das Jahresergebnis drehte von plus 64,23 Millionen Euro auf minus 11,81 Millionen. Und ganz im Gegensatz zu tele.ring ist T-Mobile hoch verschuldet. Während das kleinere Unternehmen seine fremdfinanzierten Infrastrukturinvestitionen großteils abbezahlt hat – einziger nennenswerter Posten ist ein von Western Wireless gewährtes Darlehen über 95 Millionen Euro – stand T-Mobile Ende 2004 allein bei den Banken mit 235 Millionen Euro in der Kreide, die gesamten Verbindlichkeiten beliefen sich auf 758,2 Millionen Euro – beinahe ein Jahresumsatz.

Schuldenberg. Ein Betrag, der sich demnächst fast verdreifachen wird. Da T-Mobile Austria die Übernahme nicht aus eigener Kraft bewältigen kann, muss der Bonner Mutterkonzern mit einem Darlehen einspringen. Pölzl dazu: „Wir kaufen, die Finanzierung kommt aus Deutschland.“ Nicht nur die Geheimniskrämerei überrascht – auch der Preis, den T-Mobile anscheinend ohne Wimpernzucken zu zahlen bereit ist.

Branchenkenner taxieren den Wert von tele.ring auf 800 Millionen Euro bis 1,1 Milliarden Euro – keinesfalls aber auf 1,3 Milliarden Euro. Immerhin: Gemessen am Kundenstock von 1,03 Millionen zahlt T-Mobile Austria für jeden tele.ring-Teilnehmer fast 1300 Euro. Mobilkom-Chef Boris Nemsic rechnet vor: „Nach unserer Erfahrung kostet das Abwerben eines gebundenen Kunden derzeit 300 bis 400 Euro. Ich gebe aber zu bedenken, dass man auf die Weise nie an sämtliche Kunden eines Mitbewerbers kommt.“

Marktsättigung. Noch vor wenigen Jahren konnte man hierzulande den eigenen Kundenstock ohne größere Kraftanstrengung ausbauen. Mittlerweile sind fünf Anbieter aktiv, der Markt ist gesättigt, Neukunden gibt es – wenn überhaupt – nur noch bei der Konkurrenz. Und dafür muss offenbar tiefer als anderswo in die Tasche gegriffen werden. Jüngst verkaufte etwa tele.ring-Eigentümer Western Wireless den irischen Anbieter Meteor Mobile an den Mitbewerber Eircom um 420 Millionen. Eircom zahlte knapp mehr als 1000 Euro für jeden Meteor-Kunden. Noch billiger gibt es die niederländische Telfort – sie steht unmittelbar vor der Übernahme durch den gescheiterten tele.ring-Interessenten KPN. Kaufpreis: 980 Millionen Euro für 2,4 Millionen Kunden oder eben 408 Euro pro Kopf.

„Seien wir uns ehrlich, der Markterfolg von tele.ring ist ausschließlich zulasten von T-Mobile gegangen“, räsoniert ein involvierter Manager. „Die holen sich jetzt um teures Geld zurück, was sie verloren haben.“

Georg Pölzl sieht das naturgemäß differenziert: „Für uns war tele.ring eine einmalige Gelegenheit. Innerhalb weniger Monate können wir durch die Nutzung von Synergien einen beträchtlichen Betrag wieder hereinholen.“

So sollen aus der geplanten Fusion der Gesellschaften, der Zusammenlegung kostspieliger Bereiche wie Administration, Service und Infrastruktur bis zu 200 Millionen Euro eingespart werden. Weitere 150 Millionen Euro könnten aus dem Verkauf von technischem Equipment und tele.ring-Geschäftsbereichen wie Internet und Festnetz lukriert werden.

Gerüchte, wonach die Mobilkom Sendeanlagen für ihre bulgarische Tochter Mobiltel fix erwerben wolle, werden von allen Seiten dementiert. „Wenn solche Anlagen angeboten werden, werden wir uns das anschauen wie wahrscheinlich alle anderen auch, aber beschlossen ist noch gar nichts“, wiegelt Vorstandschef Nemsic ab. T-Mobile-Boss Pölzl dazu: „Diese Entscheidungen treffen wir erst, wenn die Übernahme formell durch ist. Wir wissen auch nicht, welche Auflagen die Kartellbehörden erteilen werden.“

Konzentration. Mobilkom und T-Mobile/tele.ring werden den heimischen Mobilfunkmarkt künftig beherrschen wie Billa und Spar den Lebensmittelhandel. Mit all den Konsequenzen für Lieferanten und Kunden (siehe Kasten). „Eine Transaktion wie diese fällt nicht in die Kategorie Routine“, so der Chef der Bundeswettbewerbsbehörde Walter Barfuß. „Wir werden uns das genau ansehen.“ Auch der zuständige Vertreter der Telekom-Regulierungsbehörde Georg Serentschy gibt noch kein grünes Licht: „Es liegt in der Hand der Projektwerber, das Tempo zu bestimmen und uns zu informieren.“

Die wahrscheinlichste Variante: Das neue Unternehmen wird Sendefrequenzen an Mitbewerber abtreten müssen. Ähliche Auflagen musste die Mobilkom 2003 bei der Übernahme der Österreich-Tochter der spanischen Telefonica erfüllen.

Völlig ungewiss bleibt unterdessen das Schicksal der über 600 tele.ring-Beschäftigten. Um die aufgebrachte Belegschaft zu kalmieren, hat Western Wireless Ende der Woche eine Prämie ausgelobt: Jeder Mitarbeiter, der bis zur Übernahme noch an Bord ist, wird mit einem halben Jahresgehalt belohnt. Gerüchte, wonach der Fusion bis zu 1000 Arbeitsplätze bei tele.ring und T-Mobile zum Opfer fallen könnten, lässt Georg Pölzl nicht unwidersprochen: „Das ist Unfug. Der Deal wird nicht vor Jahresende finalisiert sein, dann kommt das Weihnachtsgeschäft, und da brauchen wir die volle Belegschaft. Vor dem Frühjahr 2006 wird nichts passieren.“ Er selbst beziffert das Einsparungspotenzial im gesamten Konzern mit „zehn bis 15 Prozent“. Das wären bei derzeit 2200 Mitarbeitern 200 bis 300.

Darunter dürfte sich auch das eine oder andere Mitglied der vierköpfigen tele.ring-Geschäftsführung finden. Die nach dem Umsatz eineinhalbmal größere T-Mobile kam bisher mit zwei Leuten aus. Besonders delikat: Michael Krammer war bei T-Mobile einer der engsten Mitarbeiter von Georg Pölzl, ehe er sich unter unschönen Begleitumständen 2002 zu tele.ring verabschiedete. Pölzl darauf angesprochen: „Wir haben ein korrektes Verhältnis.“
Ob das Michael Krammer auch so sieht, ist fraglich.

Von Michael Nikbakhsh und Josef Redl