Al-Qa’ida Terror: Bomben-Marketing

Terror: Bomben-Marketing

Bin Laden erklärt in neuem Tonband die Welt

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Darf man einen politischen Essay des meistgesuchten Terroristen der Welt gut finden? Oder sogar „sehr, sehr gut“? Offenbar ja, denn der republikanische Kongressabgeordnete und Vorsitzende des Geheimdienstkomitees, Hoekstra Peter, gelangte zu genau diesem Urteil, nachdem er den Text von Osama Bin Ladens Audiobotschaft gelesen hatte, die der TV-Sender Al-Jazeera vergangenen Sonntag ausstrahlte. Hoekstra sagte, Bin Ladens Anstrengungen, Sympathisanten zu gewinnen, würden jedem Politiker zur Ehre gereichen, und er lobte die „Qualität des Marketings“.

Keine 24 Stunden später explodierten im ägyptischen Badeort Dahab in einer Geschäftsstraße entlang der Uferpromenade drei Bomben. 23 Menschen wurden getötet, dutzende weitere verletzt. Die Annahme, dass es sich bei den Terroristen um Sympathisanten von Bin Laden handelte, liegt nahe. Wie immer im Fall von multiplen Explosionen erkannten Experten „die Handschrift der al-Qa’ida“, doch bei der Zuordnung der Täterschaft ist man inzwischen vorsichtig geworden.

Monate, manchmal auch Jahre nach den Attentaten ergeben Untersuchungen, dass die vermuteten Verbindungen der Bombenleger zu dem „Netzwerk“ der al-Qa’ida nicht bestanden. Die Ermittlungen nach den Anschlägen im März 2004 in Madrid, im Oktober 2004 im ägyptischen Taba oder auch im Juli 2005 in London konnten keinerlei Mitwirkung der al-Qa’ida zutage fördern. Alle diese spektakulären Anschläge wurden offenbar von lokalen Gruppen organisiert, die sich lediglich von den monströsen Attentaten der al-Qa’ida am 11. September 2001 inspirieren ließen.

Osama Bin Laden, der sich nach allgemeiner Ansicht im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan versteckt hält, hat mit großer Sicherheit die Anschläge in Ägypten weder organisiert noch beauftragt – und wahrscheinlich nicht einmal vorab davon gewusst. Dennoch ist es falsch zu glauben, Bin Laden sei ins Ausgedinge abgeschoben worden. Das Berufsbild eines Terror-Drahtziehers ist unscharf definiert, doch Bin Laden erfüllt eine Funktion, die weit gefährlicher ist als die eines Logistikers für Anschläge: Er spielt den Elder Statesman.

Die Attentate, die mal in Europa, mal in arabischen Ländern Passanten, U-Bahn-Fahrgäste oder Touristen in den Tod reißen, verbindet nur die Methode: Bombenterror. Osama Bin Laden jedoch konstruiert in dem neuen Tonband ein umfassendes Weltbild, das diese Attentate als sinnvolle, notwendige Akte und Teil einer nachvollziehbaren Strategie erscheinen lassen soll. Die BBC stellte vergangenen Dienstag Bin Ladens Rede dem strategischen Vierjahresplan des amerikanischen Verteidigungsministeriums, dem so genannten „Quadrennial Defence Review“, gegenüber – nicht ohne zuzugestehen, dass manche diesen Vergleich „abscheulich“ finden werden.

Bin Ladens Sicht der Weltpolitik ist gleichzeitig verrückt und schlüssig. Verrückt sind die Grundannahmen, auf denen seine Ideologie basiert: Die USA und Israel hätten sich zu einem „christlich-zionistischen Kreuzzug“ gegen den Islam zusammengetan, und der gesamte Westen habe sich diesem Krieg angeschlossen.

Diese absurde Verschwörungstheorie wird in unseren Breitengraden kaum Anhänger finden, doch in der islamischen Welt gilt der „Kreuzzug“ als Chiffre für jegliche Form von systematischer Unterdrückung der Moslems durch den Westen, und Bin Laden erweist sich als geschickt darin, in der aktuellen Weltpolitik Beispiele für seine Behauptung zu finden.

Beispiele. Der israelisch-palästinensische Konflikt eignet sich für seine Zwecke am besten, da das Anliegen der Palästinenser im arabischen Raum – aber nicht nur dort – populär ist. Also attackiert Bin Laden den Westen, weil dieser die Hamas-Regierung finanziell aushungern wolle. In den Augen eines Teils des arabischen Publikums haben Israel, die USA und die EU der Hamas Bedingungen gestellt, die unfair seien und nur als Vorwand dienten, um die demokratisch gewählte Regierung der Palästinenser zu ächten.

Bin Laden erinnert in seinem vorgelesenen Text auch daran, dass das israelische Militär vergangenen März mit Duldung der Briten das palästinensische Gefängnis von Jericho gestürmt hatte. Die EU verurteilte zwar die Vorgehensweise Israels, doch Bin Laden macht in seiner Argumentation den Westen insgesamt verantwortlich.

Überall, wo der Westen auf den Islam treffe, ende dies mit der Knechtschaft der Moslems, behauptet Bin Laden: „Ein Beispiel dafür, wie Menschen verachtet werden, ist die Tatsache, dass eure Flugzeuge und Panzer die Häuser über den Köpfen unserer Verwandten und Kinder in Palästina, Irak, Afghanistan, Tschetschenien und Pakistan zerstören. Zugleich lächelt ihr in unsere Gesichter und sagt: ‚Wir sind dem Islam gegenüber nicht feindselig.‘“

Irak, Palästina, Afghanistan, Tschetschenien, Pakistan – die Namen dieser Länder rufen nicht nur in den Köpfen von Millionen von Zusehern der arabischen TV-Kanäle Bilder der Zerstörung in Erinnerung. „Was bedeutet das Schweigen zu den schrecklichen Verbrechen der Russen in Tschetschenien, das Lynchen der Moslems und das Zerfetzen ihrer Körper?“, fragt Bin Laden.

Dass in einigen dieser Länder immer wieder Unrecht geschieht, kann man auch bei westlichen Kommentatoren nachlesen. Bin Laden versucht, den Mainstream des politisch interessierten Publikums davon zu überzeugen, dass die Unterdrückung von Moslems System habe und dass es sich um einen groß angelegten Krieg des Westens handle. Dieser wolle den Moslems das Land entreißen, prowestliche Regime einsetzen und das Öl in seinen Besitz bringen.

Darfur. Bin Laden nennt als Beispiel den Sudan, wo er in den neunziger Jahren seine Basis errichtet hatte. Die arabisch dominierte Regierung sei von den USA dazu gezwungen worden, dem schwarzafrikanischen Südsudan per Referendum die Unabhängigkeit zu versprechen. Dasselbe geschehe in der westsudanesischen Provinz Darfur, wo bald eine UN-Truppe den Kreuzzug beginnen wolle.

Der Sudan dient Bin Laden als ein neues Hoffnungsgebiet. Ein zerfallender Staat mit einem großen Anteil an arabischer Bevölkerung, der sich im Konflikt mit den USA und den UN befindet, schafft „eine Atmosphäre, die Bin Laden liebt“, meint Abdel Bari Atwan, ein al-Qa’ida-Experte der in London erscheinenden Zeitung „al-Quds al-Arabi“. Die krausen Interpretationen des fanatischen Islamisten wirken auf bereits sympathisierende Hörer umso überzeugender, als die USA mit dem IrakKrieg ihre Glaubwürdigkeit in der arabischen Welt völlig verspielt haben.

Indem Bin Laden sagt, dass die westliche Öffentlichkeit „die Verantwortung für die Handlungen ihrer Regierungen trägt“, rechtfertigt er auch Anschläge gegen Touristen wie jenen im ägyptischen Dahab.

Osama Bin Ladens Kalkül ist erfolgreich. Die Rekrutierung von Terroristen scheint zu funktionieren, die Vorbildwirkung für lokale Dschihadisten trägt Früchte. Ihn als fanatischen Irren abzutun, der irgendwann ins Netz gehen wird, ist keine sinnvolle Strategie. Anstatt sein Weltbild zu widerlegen, schweigt der angegriffene Westen. Sinnigerweise distanzierte sich dagegen die Hamas von Bin Ladens Vereinnahmungsversuch. Scott McClellan hingegen, der Sprecher des Weißen Hauses, kommentierte die Audiobotschaft mit der Bemerkung, die al-Qa’ida-Führung sei auf der Flucht und stehe unter großem Druck. Amerikanische Medien wiesen spöttisch darauf hin, dass Bin Laden bloß eine Audiokassette anstelle eines Videos aufgenommen hatte.

Zwei Tage später stellte der al-Qa’ida-Terrorist Mussab al-Zarqawi, der meistgesuchte Terrorist im Irak, ein Video mit einem Kampfaufruf ins Internet. Kein Zweifel, die Öffentlichkeitsarbeit der al-Qa’ida läuft tatsächlich „sehr, sehr gut“.

Von Robert Treichler