Terrorismus: Die Halsabschneider

Islamistische Krieger schockieren den Westen

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Als er 1998 erstmals in aller Öffentlichkeit seiner ungewöhnlichen Profession nachzugehen hatte, plagte Muhammad Saad al-Beshi arges Lampenfieber. Aber als er dann den Todeskandidaten vor sich hatte, die Augen verbunden, die Hände gefesselt, war die Nervosität rasch verflogen. Mit einem Gebet auf den Lippen, einem schnellen Schnitt und „stolz, das Werk Gottes zu verrichten“, trennte der oberste Henker Saudi-Arabiens den Kopf vom Rumpf des Delinquenten. „Er ist meterweit gerollt“, berichtete al-Beshi nun, inzwischen ein Enthauptungsprofi, ganz ohne falsche Scham gegenüber dem saudischen Blatt „Arab News“.

Vergangenes Jahr wurden in Saudi-Arabien 52 Männer und eine Frau auf diese Weise hingerichtet. Viel Aufmerksamkeit erregt das im Westen nicht mehr.

Das genaue Gegenteil jedoch gilt für die neue Praxis radikaler Dschihadisten, westlichen Geiseln vor laufender Kamera den Kopf abzuschneiden und die grausamen Bilder dann ins Internet zu stellen. Das erste Opfer, dessen Tötung Schlagzeilen machte, war Daniel Pearl, Reporter beim amerikanischen „Wall Street Journal“, der vor zwei Jahren in Pakistan von Kidnappern enthauptet wurde, die Osama Bin Ladens al-Qa’ida-Netzwerk nahe standen. Vergangenen Monat wurde dem amerikanischen Techniker Nicholas Berg von der irakischen Dschihad-Gruppe des berüchtigten Terroristen Abu Musab al-Zarqawi (siehe Kasten Seite 88) der Kopf abgeschnitten, Anfang Juni ermordete ein saudischer al-Qa’ida-Trupp den amerikanischen Ingenieur Paul Johnson. Das bislang letzte Opfer ist der südkoreanische Übersetzer Kim Sun-il, den die al-Zarqawi-Leute im Irak auf dieselbe Weise töteten. In all diesen Fällen wurde den Geiseln nach Art des Schächtens eines Tieres mit einem scharfen Messer die Kehle durchgeschnitten und danach der Kopf abgetrennt. Und in allen Fällen wurde nicht nur der Mord selbst, sondern auch die Art der Tötung unter Berufung auf die islamische Dschihad-Tradition gerechtfertigt.

Das Köpfen sei gewissermaßen die vom Propheten überlieferte Tötungsart im Kampf mit den Ungläubigen, lautet die Botschaft. „Ist es nicht an der Zeit für euch Muslime, den Pfad des Dschihad zu beschreiten und das Schwert des Propheten aller Propheten in die Hand zu nehmen?“, fragte der aus Jordanien stammende al-Zarqawi anlässlich der Ermordung von Nicholas Berg. „Der Prophet – gesegnet sei Er – befahl, die Gefangenen in den Nacken zu schlagen und sie zu töten. Er gab uns selbst ein gutes Beispiel.“

Die Praxis, Geiseln zu enthaupten, erregt maximalen Schrecken, und das ist auch der Zweck – die Fantasie auch jener in Beschlag zu nehmen, welche die grausigen Bilder nicht sehen. In einer bizarren Kollision der Kulturen kombinieren die Dschihadisten eine Art von Ritualmord mit den Möglichkeiten digitaler Kommunikation. Ziel der Tat ist die Verbreitung von Angst und Panik durch die Verbreitung der Bilder – der Mord wäre buchstäblich zwecklos, würde er nicht weltweit rezipiert und damit der Botschaft: „Seht her, so wird es euch allen ergehen, bis ihr moslemische Erde verlassen habt!“ Nachdruck verliehen. Darum auch fügt sich atavistische Grausamkeit auf paradoxe Weise in die Welt moderner Medialität, in der man mit simplen Autobomben und Schussattentaten kaum mehr Aufmerksamkeit erregen kann, in der aber die besonders barbarische Tat globale Schlagzeilen garantiert.

Schlachtung. Aufmerksamkeit ist die Währung, in der sich die Bedeutung kleiner, aber radikaler Gruppen misst – insofern unterscheiden sich die Dschihadisten nicht von anderen Gestalten des modernen Terrorismus. Aber sie senden auch ein paar andere Botschaften mit. Indem sie Nicht-Muslime schlachten wie Tiere, bekunden sie, so der ehemalige CIA-Offizier Marc Sagman, „dass Ungläubige nicht besser sind als Tiere“. Und indem sie die alte arabische Praxis des Kopfabschneidens wählen, versuchen sie sich in die Tradition des Propheten zu stellen.

Tatsächlich gibt es im Koran und in den Hadithen, den später verfertigten Nachrichten über das Wirken des Propheten Mohammed, genügend Stellen, die dokumentieren, dass der Begründer des Islams, der zugleich Reichsgründer und Heeresführer war, die Enthauptung seiner Feinde anordnete und teilweise auch selbst ausführte – Beispiele, die heute bevorzugt auf islamistischen Homepages im Internet kursieren. So befahl Mohammed nach der Schlacht von Badr im Jahr 624 die Hinrichtung zweier Gefangener, weil diese sich bestimmter Kriegsverbrechen schuldig gemacht hätten.

Und in einer der berühmtesten unter den brutaleren Überlieferungen wird ausgeführt, wie der Prophet wenig später befahl, zwischen sechs- und neunhundert jüdische Männer zu töten, weil die Juden Medinas mit den militärischen Gegnern Mohammeds konspiriert hätten. Der „Verrat“ wurde mit Köpfen gesühnt – eine Passage, die in der islamistischen Lesart übrigens auch deshalb besonders gern hervorgehoben wird, weil sie die Feindschaft Mohammeds zu den Juden belegen soll. Bei anderer Gelegenheit packte der Prophet nach einem Hadithen-Bericht selbst den Kopf eines Mannes, der gegen Gottes Gebote verstoßen habe, und rief seinen Begleitern zu: „Erfüllt eure Aufgabe!“

Rigide Koranlesart. In seinem Ursprung hatte das Kopfabschlagen keinen speziell religiösen Hintergrund, sondern entsprach eher einer üblichen Praxis unter den nomadischen Wüstenkriegern Arabiens im siebenten Jahrhundert. Mit der Zeit jedoch ging es in die koranische Tradition ein, weil es von Mohammed und seinen Heerführern praktiziert worden war. Eine selektive Auswahl von Koranzitaten legte schließlich den Eindruck nahe, das Enthaupten sei Allahs bevorzugte Tötungsart. So habe Gott, ist an einer Stelle zu lesen, Mohammed von den Engeln sagen lassen: „Ich werde in die Herzen derer, die ungläubig sind, Schrecken einjagen. So schlagt oberhalb des Nackens und schlagt von ihnen jeden Finger.“ An anderer Stelle heißt es: „Und wenn ihr die Ungläubigen trefft, dann herunter mit dem Haupt.“

In der Lesart eines rigiden und extrem textgläubigen Islam werden diese Passagen systematisch überbewertet, besonders von der wahabitischen Schule, jener Islamauslegung, die in Saudi-Arabien als Staatsideologie fungiert und mit Petrodollars über die ganze Welt verbreitet wird. Selbst Suren, die eher für Mäßigung plädieren, erfahren eine Uminterpretation. „Und wenn ihr bestraft, so bestraft im gleichen Maß, wie ihr bestraft wurdet. Wenn ihr aber geduldig seid, so ist das wahrlich besser für die Geduldigen“, heißt es in einem Vers, der eigentlich zu Nachsicht gegenüber den Feinden mahnt. Daraus ziehen radikale Rechtsgelehrte wie der saudische Scheich Omar Abdullah Hassan al-Shehabi jedoch den Schluss, dass es zur Vergeltung erlaubt sei, die Körper toter Feinde zu schänden, wenn dies als Rache für die Schändung moslemischer Opfer geschehe – eine ziemlich pittoreske Fatwa, die einen Freibrief für praktisch jede Gräueltat darstellt.

Aufgespießte Köpfe. War die „Textlage“ also durchaus widersprüchlich, so blieb das Köpfen doch über die Jahrhunderte eine beliebte moslemische Praxis, sowohl gegenüber Nicht-Muslimen als auch gegenüber inneren Feinden, in Machtkämpfen und im religiösen Richtungsstreit. So wurde der Propheten-Enkel Hussein bin Ali, den die schiitische Minderheit im Islam seither als ihren größten Heiligen verehrt, 680 n. Chr. in Kerbala von den Soldaten des Kalifen enthauptet und sein Kopf auf einer silbernen Schale nach Damaskus gebracht. Die Geschichte des Islam ist voll von abgeschlagenen Köpfen, die, auf Lanzen gespießt, zur Abschreckung der Gegner ausgestellt wurden.

Ist das Köpfen also gewissermaßen eine moslemische Marotte? Tatsächlich unterschied sich der frühe Islam in dieser Hinsicht nicht dramatisch von anderen kriegsführenden Kulturen vergangener Zeiten. Die Enthauptung war unter den vielen grausamen Tötungsarten, die Menschen sich ausdachten, immer schon eine, die auf besondere Weise zu faszinieren und zu schockieren vermochte.

Auch der Wunsch, weder zerstückelt noch verrottet in ein wie auch immer vorgestelltes Jenseits einzugehen, zieht sich durch die allermeisten Kulturen – wie sehr auch immer sich die Menschen sonst vor dem Tod gefürchtet haben mögen.

Nicht zufällig handeln wohl zwei zentrale Erzählungen der jüdisch-christlichen Kulturtradition von abgeschlagenen Köpfen: die biblische Geschichte von der Enthauptung Holofernes’ durch Judith und die Episode aus der Apostelgeschichte vom Tanz der Salome und ihrem berühmten Wunsch, man möge ihr das Haupt von Johannes dem Täufer bringen. Die nachdrückliche Zerstörung der körperlichen Integrität durch Enthauptung übertraf seit jeher noch die Bedrohlichkeit anderer brutaler Tötungsarten: Das Kopfabschlagen war noch eine posthume Erniedrigung. Abgesehen von ihrer praktischen Beweiskraft – der abgeschlagene Kopf des Feindes kann mitgenommen und ausgestellt werden –, produziert die Enthauptung auch einen quasi metaphysischen Überschuss: Der geköpfte Feind kann mit absoluter Sicherheit nicht wiederkehren, er ist in gewissem Sinne toter als tot.

Es war eine der wohl bizarrsten und fragwürdigsten Errungenschaften der westlichen Moderne, eine Apparatur zu erfinden, welche die standardisierte und klinische Abtrennung von Delinquentenköpfen erlauben sollte: die Guillotine. Mit der Zähmung der Affekte im Prozess der abendländischen Staatsbildung und Aufklärung kam das Köpfen jedoch aus der Mode, vor allem aber wurde seine Faszination zusehends verdrängt – mehr schlecht als recht. Jedenfalls finden sich noch heute deutliche Spuren dieser Faszination im Schatz der geflügelten Worte, etwa in Redewendungen wie „um Kopf und Kragen reden“, „Halsabschneider“, „einen Kopf kürzer machen“.

Der radikale Islamismus aber hat die Schreckenspraxis des Kopfabschneidens ins 21. Jahrhundert gerettet – und rechtfertigt sie außerdem religiös. Einzelfälle sind die jüngsten, spektakulären Enthauptungen keineswegs. Schon Anfang der achtziger Jahre wurde der damalige lokale CIA-Chef in Beirut, William Buckley, von der schiitischen Hisbollah-Miliz gekidnappt und später in Teheran geköpft. Zu Beginn der neunziger Jahre schickten die Mullahs einen „Spezialisten“ aus, um den ehemaligen iranischen Premierminister Shapur Bakhtiar in Paris zu enthaupten. Ein ähnliches Schicksal ereilte den iranischen Dissidenten Fereidun Farrokhzad in seinem Bonner Exil. Die algerische Dschihad-Truppe „Islamische Bewaffnete Gruppe“ (GIA) hielt sich für ihren blutigen Guerillakrieg, in dem zehntausende ihr Leben mit durchschnittener Kehle beschlossen, in den neunziger Jahren sogar einen hauptamtlichen Kopfabschneider. Momo le Nain – „Mohammed der Zwerg“ – soll in einem Vorort von Algier 1996 in einer Nacht 86 Enthauptungen vorgenommen haben. In Kaschmir oder auf den Philippinen ist das Enthaupten von Gefangenen – auch von westlichen Geiseln – übliche Praxis der Dschihad-Guerilleros. Auch im Bosnienkrieg sollen internationale Dschihad-Brigadisten, die den von den Serben bedrängten bosnischen Moslems beisprangen, durch das Köpfen serbischer Gefangener ihren Beitrag zur Eskalation der Gewalt geleistet haben. Und am Schwarzmarkt in Grosny kursierten während des Tschetschenienkriegs dschihadistische Erbauungsvideos, welche die Enthauptung russischer Soldaten zeigten. In der Moskauer Propaganda firmierten die Tschetschenen deshalb häufig auch als „wahabitische Kopfabschneider“.

Krise des Islam. Gewiss finden auch die meisten Muslime solche Morde abstoßend. Und noch die radikalsten Rechtsgelehrten betrachten Köpfungen nach Feme-Art selbst nach islamischem Recht als illegal, da ihnen kein Verfahren vorangegangen ist, das den strengen Regeln der Scharia, des islamischen Rechts, auch nur annähernd entsprechen würde. Eine Enthauptung wehrloser Gefangener dürfte auch nach strengster Scharia-Auslegung nur in extremen Fällen am Ende eines solchen Verfahrens stehen. In gewisser Weise sind die Morde weniger eine Erscheinungsform des Islam als vielmehr ein Symptom der Krise des Islam. Als Trost dient diese Erkenntnis aber nur bedingt.