Was macht den Mann zum Mann?

Testosteron: Was macht den Mann zum Mann?

Geschlechter. Kraft, Trieb, Wahnsinn: der hormongesteuerte Mann

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Der Rapper Nazar ist mit seinen 25 Jahren ein Idol. Wo er hinkommt, wird er von Teenies umlagert. Den Burschen imponiert er, weil er schon des Öfteren in Schlägereien verwickelt war und deshalb im Gefängnis saß. Die Mädchen kriegen glänzende Augen und himmeln ihn an. „Am Anfang hab ich meine Popularität natürlich ausgenutzt, zeitweilig brauchte ich alle paar Wochen eine neue Handynummer, weil mich ein paar Damen derart terrorisiert haben“, erzählt er. „Ich habe alles beglückt, was beglückt werden wollte“, formuliert er in betonter Machomanier. „Aber jetzt interessiert mich das nicht mehr, ich lebe in einer glücklichen Beziehung, das gibt mir mehr“.

Der im Iran geborene und in Wien lebende Nazar hat eine ungewöhnliche männliche Ausstrahlung, seine Wirkung auf Mädchen und junge Frauen ist allgegenwärtig. Er muss niemandem etwas vorlügen, wenn er über seine sexuellen Eskapaden berichtet. Vielleicht untertreibt er noch. Er ist ein maskuliner Typ mit einem drahtigen, muskulösen Körper, und er hat die Bewegung im Blut. Er hat Rhythmus, bringt die Umgebung zum Vibrieren. Und er zeigt, wenn es darauf ankommt, Aggression. Er ist ein Bühnen- und Scheinwerfermensch, und er hat diesen leicht verruchten Touch, der seine Attraktivität bei Frauen zusätzlich hebt.

Was macht einen Mann so attraktiv, was macht ihn zum Mann?
Klar, die Gene. Aber dazu kommt noch etwas anderes, was das Mannsein ganz besonders bestimmt – von der Gehirnstruktur über Körperform, Muskeln und Knochen bis zum Verhalten: das in den Nebennieren und in den Hoden gebildete männliche Sexualhormon Testosteron, das Hormonforscher und Andrologen wieder neu entdecken, seit es nicht mehr wie noch vor Jahren als krebsfördernd verteufelt wird, wenn man es alternden Männern zur Erweckung neuer Lebenskraft verabreicht. „Wir kämpfen dafür, dass dieser Paradigmenwechsel an Breite gewinnt“, sagt Paul Schramek, Leiter der Abteilung für Urologie und Andrologie im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien.

Ende Jänner zitierte das renommierte Wissenschaftsjournal „Nature“ eine Studie, die sogar Hinweise darauf liefert, dass das Dihydrotestosteron, ein Abkömmling des Testosterons, Männern dabei helfen könnte, kardiovaskuläre Erkrankungen leichter zu überstehen. Australische Forscher hatten so genannte Endothelzellen, das sind Zellen, welche die menschlichen Blutgefäße auskleiden, mit Dihydrotestosteron behandelt, worauf die Zellen gefäßähnliche Strukturen bildeten – ein bekannter Indikator für Gewebsreparatur. Und etliche weitere Studien zeigen, dass die Medizin das Bild, das sie bisher vom Testosteron hatte, in etlichen Punkten revidieren muss.

Hormone im Mutterleib.
Die Forschung hat über das dominierende männliche Geschlechtshormon schon vieles herausgefunden, aber bei Weitem noch nicht alles. Sie kennt das Hormongeschehen im Mutterleib, aber sie weiß noch immer nicht genau, was die hormonelle Explosion am Beginn der Pubertät auslöst. Sie weiß auch nicht, warum sich manche alternde Männer mit einem niedrigen Testosteronlevel wunderbar fühlen und andere mit einem relativ hohen Hormonspiegel über typische Wechselbeschwerden wie Hitzewallungen, Antriebslosigkeit, depressive Verstimmung und mangelnde Libido klagen. Und die Zusammenhänge zwischen Testosteron und der Entstehung von Prostatakrebs sind viel komplexer als bisher angenommen, wie neuere Studien zeigen.

Testosteron ist jedenfalls ein Hormon, das den männlichen Körper ein Leben lang steuert. Laut einer im Jahr 2005 an der Universität Göttingen durchgeführten Studie bestimmen Geschlechtshormone schon im Mutterleib, ob die Gesichtszüge des Feten eher männlich oder weiblich ausgeprägt sind. Ein typischer Indikator sei das Längenverhältnis von Zeige- und Ringfinger, so die Forscher: Ein längerer Ringfinger spreche für eine höhere Testosteronkonzentration und männlichere Gesichtszüge.
Der Winzling in der Gebärmutter empfängt das Hormon anfangs von der Mutter, aber sobald seine primären Geschlechtsorgane um die zehnte Woche erkennbare Formen annehmen, ist er auch schon selbst in der Lage, den Stoff, der ihn später zum Mann macht, zu produzieren. Und zwar in zunehmender und derart reichlicher Menge, dass er als regelrechter Testosteron-Striezel zur Welt kommt. Zum Zeitpunkt der Geburt hat der Babybub einen Hormonlevel wie ein erwachsener Mann.

Doch woher nimmt die Schwangere das Testosteron, um damit das heranwachsende Baby in ihrem Bauch zu füttern? Entgegen dem Klischee vom ausschließlich testosterongesteuerten Mann und der ausschließlich östrogengesteuerten Frau sind Androgene und Östrogene, also männliche und weibliche Sexualhormone, über beide Geschlechter verteilt. Die Frau verfügt sogar über zehnmal mehr Androgene als Östrogene. Dass ihr – außer im Fall einer Hormonstörung – trotzdem kein Bart und keine Brusthaare wachsen, liegt daran, dass sie einen Großteil des Testosterons in Östrogen umwandelt. Am Ende verfügt eine Frau im gebärfähigen Alter gerade einmal über ein Zehntel der durchschnittlichen Testosteronmenge eines erwachsenen Mannes.

Diesen kleinen Unterschied wollen Männerforscher wieder stärker betonen, weil er in einer feministisch verblendeten Gesellschaft immer mehr in den Hintergrund getreten ist. Sie wenden sich gegen Gleichmacherei der Geschlechter und plädieren dafür, dass Buben wieder Buben und Männer wieder Männer sein dürfen.

Noch im Mutterleib wird das fetale Gehirn vom Testosteron auf männlich gepolt. Wirklich gute experimentelle Daten gibt es darüber allerdings nur aus Tierversuchen. Über die Epigenetik, eine Art Klaviatur der Gene, bilden sich im zentralen Denk- und Gefühlsorgan Strukturen und Verschaltungen heraus, die das spätere Verhalten mit eindeutig männlichen Domänen bestimmen: räumliches Vorstellungsvermögen, Kreativität, Wahnsinn, Neigung zu Dominanz- und Machtgehabe, zu Revierkämpfen, Draufgängertum, Selbstüberschätzung und zu teils selbstzerstörerischem Aggressionsverhalten. Aber bald nach der Geburt beruhigt sich das Hormonsystem des Knaben, der Testosteronlevel sinkt ab und bleibt dann bis zum Beginn der Pubertät im Keller.

Die auf männlich gepolte Verschaltung des Gehirns reicht dennoch aus, um oft schon beim Kleinkind eindeutiges Machoverhalten aufkommen zu lassen. „Kaum können Buben krabbeln, steuern sie schon aufs Kriegsspielzeug zu, Mädchen auf den Lippenstift der Mutter“, beschreibt der Wiener Gynäkologe und Hormonforscher Markus Metka, Autor oder Mitautor einschlägiger Bücher („Der Mann 2000“, „Die Phyto-Hormonrevolution“) das Phänomen frühzeitiger Männlichkeit. Viele Eltern, die ihrem Spross aus Angst vor allzu männlicher Prägung jegliches Kriegs- und Gewaltspielzeug versagten, müssen dann enttäuscht ­miterleben, wie sich ihr Vierjähriger aus ­Legobausteinen ein Schießeisen bastelt. Und kaum findet der eben erst dem Kleinkindalter entwachsene Bub einen Prügel am Wegesrand, schwingt er ihn schon als ­Waffe.

Evolution.
Verhaltensforscher und Psychologen ziehen Vergleiche zu unseren nächsten Verwandten: Die Schimpansenmännchen heben einen Stein vom Boden auf, um ihn zu werfen, oder sie nehmen Stöcke, um damit aufeinander loszugehen. Die Weibchen nehmen einen Stein, um damit eine Nuss zu knacken, einen Stock, um damit nach verborgener Nahrung zu stochern. Ihre Handlungen sind auf Ernährung der Nachkommen ausgerichtet. Im Kreis einer wandernden Horde bewegen sich die Weibchen mit ihren Jungen in der Mitte, auch der Alphamann, der Rudelführer, hat seinen Platz im Zentrum. „Wer an der Peripherie herumläuft und alle Risiken trägt, das sind die jungen Männchen. Die machen dort allen Unsinn und sind die Kundschafter“, erklärte der emeritierte Zürcher Psychiatrie-Professor Jules Angst in einem Interview mit dem Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. „Wir Männer haben von diesem Risikoverhalten einiges in unserem Genpool. Wir können nicht einfach aus unserer stammesgeschichtlichen Haut heraus.“

Nicht ohne Grund wird die männliche Emotion oft als „aus den Eiern kommend“ beschrieben, was sich etwa bei siegreichen Sportlern häufig in Form eines vorgeschobenen Unterkiefers, einer geballten Faust und eines Urschreis manifestiert. Die Demonstration der Kraft, des sportlichen Erfolgs hat zu einem nicht unbeträchtlichen Teil mit dem maskulinen Sexualhormon zu tun – durch regelmäßiges körperliches Training steigt die Testosteron-Basiskonzentration im Blut. Das männliche Geschlechtshormon hilft beim Fettab- und beim Muskelaufbau, weshalb Sportler künstliches Testosteron auch als verbotenes Dopingmittel verwenden. Und es härtet die Knochen – eine Eigenschaft, die erklärt, warum Männer im Alter viel seltener unter Osteoporose leiden als Frauen.

Umbau in Östrogene.
Jede Fettzelle im Körper ist ein Feind des männlichen Geschlechtshormons – weil sie dabei hilft, Androgene in Östrogene umzuwandeln. Verantwortlich für diesen Umbau ist das in jeder Fettzelle enthaltene Enzym Aromatase, das beispielsweise auch beim hormonabhängigen Brustkrebs eine Rolle spielt, indem es vermehrt das für die Brust belastende Östrogen bereitstellt. Mit so genannten Aromatasehemmern versuchen die Ärzte, die Umwandlung von Androgenen in Östrogene zu unterbinden und so dem Karzinom den Treibstoff zu nehmen. Durch Gewichtsabnahme und Fettabbau lässt sich die Aktivität der Aromatase verringern.

Eine ähnliche Rolle wie das Enzym spielt im Hormonhaushalt der Alkohol. Auch er fördert den Umbau von Androgenen in Östrogene, weshalb Onkologen ihren Brustkrebspatientinnen raten, Alkohol tunlichst zu meiden. „Übergewicht, Diabetes und Arteriosklerose senken die Testosteronproduktion“, ­erklärt der Wiener Urologe Anton Ponholzer, wissenschaftlicher Leiter eines andrologischen Arbeitskreises in der Österreichischen Gesellschaft für Andrologie. Der von Mann zu Mann oft deutlich unterschiedliche Testosteronlevel bestimmt auch über die „body composition“, also die Körperform, und darüber, ob und in welchen Körperregionen Fettdepots gebildet werden. Viel Testosteron bedeutet wenig Körperfett, dafür umso mehr Muskelmasse. Wenig Testosteron bedeutet tendenziell den Abbau von Muskelmasse und eine Verweichlichung der Körperformen.

Am deutlichsten erkennbar ist dieser Unterschied beim Eintritt des Knaben in die Pubertät, wenn die zuvor noch wenig ausgeprägten bis fallweise weichen Körperformen innerhalb kurzer Zeit kräftige Konturen annehmen: Der Körper wird knochiger und muskulöser, das Gesicht verliert seine knabenhaften Züge und wird kantiger, Scham-, Achsel- und Beinbehaarung beginnen massiv zu wachsen. Burschen, aber auch Mädchen, beginnen stärker zu schwitzen und anders zu riechen. Der Testosteronschub aktiviert auch die Talgdrüsen in der Haut, die dann aufplatzen, sich entzünden, Pickel bilden oder im Extremfall zu Akne mit den typischen Aknenarben führen. Der Testosteronlevel im Blut schwankt nach Tageszeit, den absoluten Höhepunkt erreicht die Kurve in den frühen Morgenstunden. Bei manchen Buben wirkt der Überfall der Hormone derart explosiv, dass die Betroffenen oft gar nicht wissen, wohin mit ihrem grenzenlosen Sexualtrieb. „Ich war so wild, dass ich mit meinem Schwanz eine Mauer hätte durchstoßen können“, beschreibt ein knapp 60-jähriger Mann seine Trieberuption in Jugendtagen.

Was präzise im Einzelnen die Geschlechtsreife auslöst, ist erst seit wenigen Jahren bekannt. Mit im Spiel ist eine ganze Reihe von Botenstoffen, Eiweißmolekülen und Hormonen, vor allem aber das Peptidhormon Kisspeptin, dessen Rolle bei der Auslösung der Pubertät erst Ende der neunziger Jahre entdeckt wurde. Entscheidend ist offenbar das Zusammenspiel des Peptidhormons mit dem KISS-1-Gen, sobald der im Fettgewebe entstehende Botenstoff Leptin dafür ein entsprechendes Signal aussendet. Möglicherweise spielt dabei eine Rolle, dass der jugendliche Körper eine bestimmte Schwelle an Muskel- und/oder Fettmasse überschreitet, wie Werner-Klaus Waldhäusl, emeritierter Professor der Wiener Universitätsklinik für Innere Medizin III, vermutet. Und dass die Pubertät heute vielfach deutlich früher einsetzt als etwa im 19. Jahrhundert, könnte mit der wohlstandsbedingten üppigeren Ernährung und mit sozialen Faktoren zu tun haben.

Prostatasekretion.
Mit Ende der Pubertät erreichen die jungen Männer den Höhepunkt ihrer hormonellen Aktivität. Das aus dem Testosteron gebildete Dihydrotestosteron steigert nicht nur die Libido, es fördert auch die Prostatasekretion, um für die im Hoden gebildeten Spermien eine flüssige Verpackung bereitzustellen, welche die Ejakulation und den Transport der Samenfäden erst ermöglicht. Und es schützt die männlichen Blutgefäße, damit das Herz des Mannes die durch multiple und ausdauernde Kopulationen hervorgerufene physische Belastung auch unbeschadet durchsteht. Übrigens steigert das Testosteron auch die Libido der Frau, weshalb Gynäkologen behaupten, androgyne, mit mehr Testosteron ausgestattete Frauen hätten ein stärkeres sexuelles Verlangen. Mit dem vierten Lebensjahrzehnt beginnt dann allmählich der hormonelle Sinkflug, der beim Mann sehr langsam und schleichend verläuft, bei der Frau jedoch ab etwa 45 ziemlich abrupt in die Menopause mündet. Das vor etwa einem Jahrzehnt aufgekommene Schlagwort vom „Klimakterium des Mannes“ hatte wohl eher mit der Erschließung neuer medizinischer Geschäftsfelder zu tun als mit einem tatsächlich verbreiteten Problem. Laut Literatur sinkt der Testosteronspiegel etwa um 1,2 Prozent im Jahr. Michael Rauchenwald, Leiter der Abteilung für Urologie und Andrologie am Wiener Donauspital, war jedoch bass erstaunt, als er und seine Arbeitsgruppe anlässlich des Niederösterreichischen Gesundheitstags bei Männern ­neben dem PSA-Wert für die Prostata auch den Testosteronspiegel erhoben: „Es war kein signifikanter Rückgang feststellbar“, berichtet der Primar.

Nach der großen Euphorie, mit der Ärzte vor zehn Jahren gemäß US-Vorbild auch in Europa begonnen hatten, das angebliche Klimakterium der Männer mit Hormonersatzstoffen zu behandeln, kehrte bald Ernüchterung ein. In den USA stellte sich nämlich heraus, dass die vielfach völlig unkritisch und unkontrolliert verordneten Hormonersatzstoffe, mit denen vor allem Frauen in der Menopause behandelt wurden, zu einem Anstieg der Brustkrebsfälle geführt haben. Daraufhin wagten es nur noch wenige Ärzte, Hormonpräparate zu verschreiben. Und tatsächlich ging die Brustkrebsrate in den USA in den vergangenen fünf Jahren wieder zurück.

Hormonstatus.
Nicht so in Österreich. Mögliche Erklärung: Anders als ihre US-Kollegen hatten heimische Gynäkologen künstliche Hormone nicht unkontrolliert als Lifestyle-Droge für mehr Jugendlichkeit verschrieben, sondern zumeist nur bei massiven Wechselbeschwerden, deutlichem Östrogenmangel und bei regelmäßiger Kon­trolle des Hormonstatus. Deshalb stieg die Brustkrebsrate hierzulande nicht im gleichen Ausmaß wie in den USA und ging folglich auch nicht im gleichen Maß zurück. „Die Nebel lichten sich“, sagt der Wiener Hormon­forscher Johannes Huber, der aufgrund der US-Erfahrungen für die von ihm propagierte Hormonersatztherapie heftige Kollegenschelte einstecken musste.

Die wissenschaftliche Debatte um künstlichen Hormonersatz blieb freilich nicht ohne Auswirkungen auf die Andrologie. Vorsichtige Männerärzte, die von vornherein keine erklärten Freunde von hormoneller Nachhilfe beim alternden Mann waren, sahen sich bestätigt. Andere schalteten einen Gang zurück und wurden vorsichtiger: Man könne nicht ausschließen, dass Hormongaben auch beim Mann zum Trigger einer Krebserkrankung werden – in dem Fall zum Auslöser oder Beförderer eines hormonell induzierten Prostatakarzinoms.

Doch mittlerweile hat sich die Sicht der Dinge gewandelt. „Die Vorstellung, dass ein hoher Testosteronspiegel ein Prostatakarzinom auslöst, ist zu simpel“, erklärt Androloge Rauchenwald. So zeigten mittlerweile etliche Studien, dass der männliche Hormonlevel bei Patienten mit einem aggressiven Prostatakarzinom signifikant niedrig ist. „Das sind Dinge, die einen nachdenklich stimmen“, sagt der Urologe Christian Kratzik von der Wiener Medizinuniversität, der in einer Studie nachweisen konnte, dass der Testosteronspiegel bis zu vier Jahre vor Auftreten eines solchen aggressiven Karzinoms deutlich abfällt. „Die Krebszelle bastelt sich offenbar das Testosteron aus anderen Substanzen“, so Kratzik.

In zwei weiteren im Vorjahr durchgeführten Studien stieß Kratzik auf ein zusätzliches Phänomen: Durch Testosterongaben beim massiv metastasierenden, austherapierten Prostatakarzinom sinkt der PSA-Wert – ein Marker, der die Menge des ­prostataspezifischen Antigens ­anzeigt und damit die Existenz beziehungsweise das Wachstum eines Tumors. Warum das so ist, wissen die Forscher nicht. Aufgrund der Literatur und seiner eigenen Studienergebnisse kommt Kratzik zu dem Schluss: „Wenn Sie kein Prostatakarzinom haben, werden Testosterongaben sicher keinen Krebs auslösen. Aber künstliche Hormone könnten ein schlafendes Karzinom aufwecken. Daher plädiere ich für Vorsicht.“

Aber die Vorstellung, dass Testosterongaben den alternden Mann ähnlich auf Trab bringen wie hochbetagte Frauen, ist nach wie vor verlockend: Hormonforscher Huber berichtet von 80- und 90-jährigen Damen, bei denen sich durch eine Testosteronbehandlung viele Beschwerden besserten, wie Muskelschwäche, Abgeschlagenheit und Vergesslichkeit. Es gebe bereits Überlegungen, Testosteron zur Alzheimer-Vorbeugung einzusetzen. Sein Kollege Markus Metka empfiehlt aufgrund ihrer besseren Bioverfügbarkeit Pflanzenhormone. Für den schwächelnden Mann Extrakte aus der Sabalfrucht sowie aus der Ginseng-, Yams- und Tribuluswurzel.

Die nachlassenden Kräfte des alternden Mannes waren schon Thema im Alten Testament. König David fühlte sich schwächlich, er fröstelte, war unkonzentriert, es mangelte ihm an Entscheidungskraft, so die Legende. Die Weisen Israels berieten, was zu tun sei. Anstatt ihrem König medizinische Pflanzen zu verabreichen, entschieden sie sich dafür, das hübscheste Mädchen ­Israels zu suchen, und fanden es in der 16-jährigen Abisag von Sunem, die sie kaum bekleidet über des Königs Lenden legten. Nach einer Weile fühlte der König Wärme in seinem Körper aufsteigen, er gewann wieder Antriebs- und Entschlusskraft: Er befahl, zwei seiner drei potenziellen Nachfolger umzubringen.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort