Dumm gelaufen

Theater: Dumm gelaufen

Das Theater in der Josefstadt trennt sich von Hans Gratzer

Drucken

Schriftgröße

So unehrenhaft wurde wohl noch kein Intendant aus seinem Amt gescheucht: Nicht einmal die üblichen hohlen Phrasen gab man ihm mit auf den Weg. „Hans Gratzer war nicht der richtige Mann“, meinte Schauspieler Karlheinz Hackl unverblümt. Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny kommentierte trocken: „Man muss die Entscheidung akzeptieren.“ Und Fritz Muliar, der notorische Volksschauspieler: „Wie so oft habe ich Recht gehabt“, hustete er dem Geschassten selbstgefällig hinterher.

Kaum jemand gab sich Mühe, die Genugtuung darüber zu verbergen, dass Hans Gratzer mit Ende dieser Spielzeit sein Amt als Josefstadt-Direktor niederlegen wird. Die Kritik hatte seine Premieren teils als „trottelige Trash-Aufführung“ („News“) verunglimpft, teils als „Theaterkatastrophen ersten Ranges“ tituliert („Süddeutsche Zeitung“). Die Auslastung brach innerhalb der ersten Monate um bedrohliche 14 Prozent ein, bis Ende der Saison wurde Gratzer ein Schuldenberg von 1,5 Millionen Euro prognostiziert.

Eine kleine Ehrenrettung gönnte man dem glücklosen Intendanten allerdings: Als „Rücktritt“ wurde gegenüber der Öffentlichkeit getarnt, was in Wahrheit ein eiskalter Rausschmiss war. Als Gratzer, seit September im Amt, seinem Aufsichtsrat letzten Dienstag überraschend mitteilte, dass er in Deutschland einen Vertrag mit den Festspielen in Bad Hersfeld unterzeichnet hatte, wurden die Alarmglocken aktiviert: Der ungeliebte Josefstadt-Chef sei vertragsbrüchig geworden.

Eilig wurde noch am selben Tag eine Gesellschafterversammlung einberufen: Über Gratzer saßen nicht unbedingt seine glühenden Fürsprecher zu Gericht. Unter anderem nahm auch sein Vorgänger und nunmehriger Nachfolger Helmuth Lohner an der Sitzung teil: „Ich habe die Meinung vertreten, dass man nicht beide Intendanzen gleichzeitig machen kann“, gibt Lohner unumwunden zu (siehe Interview). „Gratzer hätte den Aufsichtsrat über seine Verhandlungen mit Bad Hersfeld informieren müssen, bevor er dort einen Vertrag unterschreibt.“

Redeverbot. Das hatte der Delinquent zwar auch getan: „Gratzer hat mich gefragt, ob er die Intendanz in Hersfeld übernehmen kann“, gibt Gesellschafter Robert Jungbluth, selbst Teilnehmer der entscheidenden Sitzung, nun zu Protokoll. „Ich habe gesagt, von mir aus, habe ihn aber darauf aufmerksam gemacht, dass er das mit dem Aufsichtsrat klären muss.“ Genützt hat ihm diese informelle Absprache am Ende nichts. Gratzer selbst darf seinen Abtritt nicht kommentieren: Die Josefstadt hat ihn schriftlich zum Schweigen über die Hintergründe der Causa verdonnert.
Dabei hatte sich Gratzer erst vor Weihnachten angriffslustig gegeben: „Natürlich kämpfe ich weiter“, hatte der ehemalige Theaterrevolutionär proklamiert und beherzt Spielpläne für die kommende Saison geschmiedet. Auch hatte ihm seine jüngste Premiere „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ wieder ein volles Haus und gütigere Kritiken beschert.
Allein: Man wollte dem neuen Direktor, so scheint es, keine Schonzeit gönnen. Bereits im Dezember kursierte das Gerücht, dass im Hintergrund eifrig an seinem Sturz gearbeitet werde. Da war Gratzer erst knapp vier Monate im Amt. „Ich kann mir vorstellen, dass an meinem Sessel gesägt wird“, mutmaßte der waidwunde Direktor selbst. „Die Leute wollen Lohner zurück.“

Am Dienstag vergangener Woche war es schließlich so weit: Helmuth Lohner wurde bei der Sitzung offiziell als Gratzer-Nachfolger eingesetzt. Sein Vertrag läuft bis 2006. Ob er sich um eine Verlängerung bemühen will, lässt der 70-jährige Schauspieler und Regisseur noch offen: „Ich habe mir kein Datum gesetzt. Dafür wäre es noch zu früh.“

Von einem Königsmord jedoch, wie etwa „Der Standard“ vermutet, will keiner der Verantwortlichen wissen. „Es war kein Putsch“, weist Lohner einschlägige Spekulationen weit von sich. „Da muss ich alle in Schutz nehmen.“ Zumindest bot sich nun eine willkommene Gelegenheit, die Zukunft des Hauses neu zu gestalten: Warum sonst hätte man Gratzer so hastig vor die Tür gesetzt? Immerhin leitet auch Peter Ruzicka, Chef der Salzburger Festspiele, parallel noch ein zweites Festival.

Und so geht die seit vier Jahren anhaltende Farce rund um die Josefstadt konsequent in die nächste Runde: Schlitterte das Traditionshaus 1999 wegen seiner Schulden in der Höhe von gut zehn Millionen Euro an den Rand der Insolvenz, geriet die Kür Hans Gratzers vor zwei Jahren zum kulturpolitischen Debakel.

Auch jene, die ihre schützende Hand über Gratzer hätten halten können, entzogen ihm die Gunst: Kunststaatssekretär Franz Morak (ÖVP) und der Wiener Kulturstadtrat Mailath-Pokorny (SPÖ) akzeptierten die Volten im Theater in der Josefstadt und entzogen dem glücklosen Direktor ihr Vertrauen: „Wir begrüßen sehr, dass Helmuth Lohner die Leitung interimistisch übernimmt“, erklären sie. Nachsatz Mailath: „Wie soll die Politik einen Intendanten schützen, der vertragsbrüchig wird?“

Dass es an der Josefstadt ganz bestimmt so heiter weitergeht wie bisher, auch dafür ist bereits gesorgt: Kaum ist Helmuth Lohner als Gratzers Nachfolger designiert, bringt Robert Jungbluth bereits einen Kandidaten für Lohners Nachfolge ins Spiel: Der Schauspieler Herbert Föttinger, sagt er, solle zum Direktor aufgebaut werden. Viel Glück!