Sommertheater: Spielt doch Fußball!

Theater: Spielt doch Fußball!

Unter freiem Himmel und an edlen Schauplätzen

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Umgeben vom Grün unserer Nutzholzplantagen, inmitten der Gelsenbrutstätten der Seen, auf Hügeln, in denen nachts zwischen verwunschenen Ruinen wie leere weiße Nachthemden die Burggespenster durch die Lüfte fliegen – dort erwacht es dieser Tage wieder, das Sommertheater. Im Rücken die dunklen Türme der Residenzen, wo einst Claus Peymann herrschte und angesichts der dunklen Mächte importierten Regietheaters bei so manchem Mimen die Frage aufkam: Was sind die Gelsen von Mörbisch gegen die Intellektuellen von Wien?! Aber jetzt ist wieder Sommer, jetzt heißt die Elfriede wieder Ott und nicht mehr Jelinek.

Wenn die Tage am längsten sind, dann greift draußen in Maria Enzersdorf, das ist Sommertheater-Tradition, Elfriede Ott wieder ins Regiefach und zieht einen Nestroy heraus, hergestellt nach alten Hausrezepten des Hauses in der Josefstadt. Weil diesen Nestroy schon die Großmutter gesehen hat, wird den Zuschauern zugleich ein Stück Familientradition geboten, und wenn dann das Ensemble gut gelaunt ist, der Schnitzel-Wirt freundlich und das Wetter schön – dann entsteht ein urgemütliches Gemeinschaftsgefühl: Unsere Großmutter, unser Nestroy, unsere Ott! Und dann ist das ... – und hier beginnt das Problem, dann ist das noch lange kein Theater. Aber das hat sowieso Ferien. Nur: Was ist das Sommertheater dann?

Theaterprinzipal Adi Hirschal sagt: „Niveauvolle Unterhaltung mit Top-Besetzung!“ Er ist der große Sommertheater-Absahner: Intendant in Haag, wo er „Die drei Musketiere“ aufführen lässt. Regisseur und Schauspieler in Laxenburg, wo er in Susanne Wolfs Goldoni-Bearbeitung „Kasperl oder der Diener dreier Herren“ sich selbst inszeniert. Außerdem leitet er das mobile „Wiener Lustspielhaus“, das diesen Sommer eine Shakespeare-Verwienerung vorstellt: „Was Ihr wollt’s“ aus der Feder seiner Lieblingsbearbeiterin Wolf.

Sommertheater ist auch ein riesiges Geschäft mit der Anbiederung. Was unter solchen Umständen als Top-Besetzung gilt, sieht man bei Hirschals „Musketieren“: Nicole Beutler („Schlosshotel Orth“) und Alexander Pschill („Kommissar Rex“). Nichts gegen diese beiden Künstler, aber Adi Hirschal spekuliert wie im Boulevardtheater. Niveau aber ist noch immer eine Frage des Niveaus. Und das Niveau macht halt auch Ferien.

In Reichenau behauptet Festspielintendant Peter Loidolt das Gegenteil. Er ist ein erklärter Feind des Regietheaters und der Alt-68er, obwohl man in Österreich sowohl ’68 als auch das Regietheater versäumt hat. Er engagiert Künstler aus den Wiener Großtheatern und ist ein konservativer Pragmatiker, der sein Geschäft versteht. Kein Mann für einen Theatersommer, aber für das Sommertheater. Es hat den großen Vorteil, dass durch seine Einbettung in die Landschaften alle seine Verrichtungen von vornherein als quasi natürlich empfunden werden: naturnah und volksnah, als Urlaub von allem, auch vom Theater. Statt Zadek setzt es Hirschal und statt Pollesch eben die Ott.

Verglichen mit dem, was zeitgenössisches Theater ist, bedeutet das Sommertheater Auswüchse von Biedersinn, erfunden für die Tourismusindustrie. Wenn aber jemand im Urlaub glaubt, im Sommertheater einen schönen Abend verbracht zu haben – was wäre dagegen zu sagen, solange er nur nicht denkt, das sei Theater gewesen; und solange er dann, wenn die neue Saison beginnt, nur nicht reagiert wie der inzwischen zum Professor ernannte Intendant von Reichenau. Das Sommertheater verursacht bei seinen Besuchern oft schwere Nebenwirkungen, Rückfälle ins Voraufklärerische, die selbst Ärzte und Apotheker ratlos machen.

Kein Wilderer-Drama. Es gehört zu den Welträtseln, warum etwa Shakespeares „Romeo und Julia“ unbedingt zwischen Felsen im grünem Tann gespielt werden muss. Es hat dort nichts zu suchen. Das ist kein Wilderer-Drama. Es gehört da nicht hin. Solche Aufführungen sind größere Vergewaltigungen, als sie sich das Regietheater jemals einfallen ließ. Deshalb sind die Naturbühnen so lange des Sommertheaters Offenbarungseid, bis sie sich auf Stoffe besinnen, die zur Gegend gehören. Denn im Wald geht es nicht um Welttheater, sondern um Waldtheater.

Was die Schauspieler in die Landschaft treibt, kann man nur vermuten. Könnte sein, die prominenteren spielen für die Eigentumswohnung, die anderen dürfen endlich mal spielen – und wieder andere hoffen einfach auf schlechtes Wetter, falls im Vertrag steht, dass dann trotzdem bezahlt wird. Manchmal denkt man: Spielt doch Fußball! Aber, bitte, in einer besseren Liga!

So ist das mit dem Sommertheater. In Baden jetzt wieder Lehár, in Langenlois „Das weiße Rössl“ vermutlich als Dirndl-Klassiker und im Steinbruch von St. Margarethen „Carmen“. Die einzige Hoffnung: Es könnte sein, dass die klimatischen Veränderungen auf unserem Planeten im Sommertheater ästhetische Folgen zeitigen. Der Sommer ist schließlich nicht mehr, was er einmal war – zu heiß, zu kalt, zu nass, zu trocken. Der Sommer hat sich schon verändert. Jetzt wäre das Sommertheater dran. Das sollte man begreifen. Schließlich ist die einzige Karte, die dort wirklich zieht, die Wetterkarte.

Von Helmut Schödel