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Todesdrohungen aus Brüssel

Todesdrohungen aus Brüssel

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Langsam tauchen sie schon im Alltag auf, die Todesdrohungen. Schwarz gerandet, wie Partezettel. Die EU wollte es so. Wir sollen gewarnt werden: vor frühem Tod, Lungenkrebs und Herzinfarkt, vor Schädigung unserer Kinder, vor Impotenz. Die Zigarettenpackungen teilen uns in großer Schrift mit, welch furchtbares Schicksal uns ereilt, wenn wir sie öffnen. Und die Eskalation ist eingeplant: Demnächst werden uns auf den Schachteln Fotos mit zerfressenen Lungen und sterbenden Kindern entgegenspringen.

Es stand ja jetzt schon auf den Packungen, wie gefährlich das Rauchen ist. Einen merkbaren Effekt hat das bisher aber kaum gehabt. Gerade die Jungen, die von den gesundheitsbewussten Aufklärern in Brüssel ins Visier genommen wurden, greifen heute sogar häufiger zur Zigarette als früher. Auch die größere Schrift wird da nicht viel verändern. Warum aber wirken die gefährlichen Drohungen nicht?

Zunächst einmal: Jeder ist bereits informiert, dass er möglicherweise kürzer leben wird, wenn er weiter pafft oder gerade damit anfängt. Wer einmal einen tiefen Lungenzug getan hat, der weiß, dass das gesund nicht sein kann. Und seit uns Medien und Regierungen mit Krebs- und Herzinfarkt-Statistiken traktieren, sind wir geradezu überinformiert. Erleben wir also eine kollektive Todessehnsucht?

Nein, die geringe Wirksamkeit der Anti-Raucher-Kampagnen liegt vor allem an ihrer mangelnden Glaubwürdigkeit. Sie kommt überaus heuchlerisch daher. Während Nikotin als Todesdroge verteufelt wird, verliert man kaum ein Wort über die Millionen und Abermillionen, die sich zu Tode saufen, und über die vielen, die von Trunkenen über den Haufen gefahren werden. Nicht dass das sinnvoll und zu begrüßen wäre: Aber wird auch nur erwogen, ähnliche Warnungen auf die edlen Produkte unserer Winzer oder auf Schnaps- und Bierflaschen zu kleben? Und die Diskussion über die Tatsache, dass harte Arbeit und geringer Lohn Hauptursache für frühzeitigen Tod sind – bekanntlich ist die Lebenserwartung von Arbeitern niedriger als die von Angestellten und Selbstständigen –, wird überhaupt nicht geführt.

Unglaubwürdig ist die Kampagne, weil so getan wird, als ob Rauchen bloß schwere Krankheit und qualvolles Sterben bedeutet. Das kann es heißen. Sicher. Aber gleichzeitig ist der Tabak, wie der berühmte Surrealist Luis Buñuel in seiner Autobiografie schreibt, „ein Vergnügen für alle Sinne“. Er singt ein Loblied auf die Zigarette: „Ich möchte das Päckchen in meiner Tasche anfassen, es aufmachen, die Konsistenz der Zigarette zwischen zwei Fingern prüfen, das Papier auf meinen Lippen schmecken, den Geschmack des Tabaks auf meiner Zunge, die Flamme aufspringen sehen, mich ihr nähern und schließlich die Wärme in mir fühlen.“

Den Rauch in die Lunge zu saugen ist das einzige Ver-gnügen der Neuzeit, das es in der europäischen Antike nicht gab: Sex hat man immer schon getrieben, mit Lust gegessen auch, mit Alkohol berauschte man sich schon seit Jahrtausenden, der Genuss des Lesens war ebenso bekannt wie die Freude an Musik, Tanz und Bildern. Inhalieren warmen Rauches aber: Das war ein Novum. (Bis dahin war das höchstens magische Praxis, wie bei der Pythia in Delphi.)

Wie weiß doch Michael Naumann, der ehemalige deutsche Kulturminister und jetzige Herausgeber der „Zeit“, zu berichten: „Rauchen ist ein Brauchtum, das, wie der Verzehr von Mais und Kartoffeln, nach der Entdeckung Amerikas den Rest der Welt erobert hat, weil es genussreicher ist als – zum Beispiel – das Spiel mit den Perlen des Rosenkranzes.“

Das Tabakrauchen erwies sich global als unwiderstehlich. Es hat ja einen Grund, dass der letzte Wunsch derer, die vor der Hinrichtung stehen, eine Zigarette ist. Und dass der Tabak die Droge der Aufklärung wurde: In den im 18. Jahrhundert neu eröffneten Kaffeehäusern in Paris, Berlin, Wien und den anderen Metropolen qualmte es nur so, als sich mutige Männer zusammenrotteten, um Altaren und Thronen zu trotzen. Die frühe Arbeiterbewegung ein Jahrhundert später organisierte sich nicht zuletzt auch in Raucherklubs. Die subversiven Denker der Aufklärung ließen sich von Nikotin beflügeln. Und kann man sich die künstlerische Avantgarde und intellektuelle Boheme ohne Tabak vorstellen?

Genug geschwärmt. Aber wenn im öffentlichen Diskurs verschwiegen, ja geradezu verdrängt wird, warum so viele Menschen lustvoll zur Zigarette greifen, wenn so einseitig und fanatisch argumentiert wird, dann kann das nur kontraproduktiv sein. Natürlich ist es wünschenswert, dass die Leute weniger rauchen. Aber da gibt es effektivere Methoden als Todesanzeigen auf Zigaretten-packerln. Mit Preiserhöhungen – so gemein das gegenüber den sozial Schwächeren auch sein mag – kann man den Konsum drosseln. Das macht jetzt Frankreich. Und diese Methode scheint auch in die Zukunft zu weisen – in der die Menschen nicht süchtig-getriebene Ketten-, sondern fröhlich-kontrollierte Genussraucher werden.

Wirklich bedenklich sind die Anti-Nikotin-Richtlinien aus Brüssel aber aus politischen Gründen. „Diese Passion bis ins Detail zu regulieren kann die persönliche Freiheit einschränken“: Der einstige Werbeslogan von Philip Morris gegen die Tabakgesetz-Wut in der EU spricht es aus. Hier verbirgt sich ein staatlicher Herrschaftsanspruch, das Leben der Bürger in den Griff zu bekommen, der erschreckt.

Es geht um die Zukunft Europas. Und die soll liberal sein und nicht von etatistischer Bevormundung geprägt, die im Falle des Tabaks „das Produkt einer Obsession ist“, schreibt Naumann, „die alle Fleisch essenden Europäer kennen, die bei Gelegenheit Grundsatzdiskussionen mit Vegetariern führen müssen“.

PS: Der Autor dieser Zeilen war lange Zeit ein glücklicher Raucher. Seit einem Jahr entsagt er der Zigarette. Geht auch.