Teil 2: Todesfalle Krankenhäuser

Todesfalle Krankenhäuser Teil 2: In der Ärzteschaft beginnt es zu rumoren

In der Ärzteschaft beginnt es zu rumoren

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Von Robert Buchacher

Der Anruf war mehr als ungewöhnlich. Nach der profil-Titelgeschichte „Todesfalle Krankenhaus“ (profil 11/2009), welche vor allem die Zustände in niederösterreichischen Landesspitälern, die Übermüdung der Ärzte durch extrem lange Arbeitszeiten sowie Pannen im Spitalsalltag durch mangelnde Qualitätssicherung thematisierte, meldete sich in der profil-Redaktion der Ärztekammer-Funktionär Ronald Gallob, Kurienobmann der angestellten Spitalsärzte in Niederösterreich: „Wir freuen uns über die Diskussion. Wir sind eine Gruppe von Ärzten, die für Reformen eintritt, und wollen uns nicht wie andere hinstellen und sagen: Es ist alles nicht wahr.“

Sogar der Präsident der niederösterreichischen Ärztekammer, Christoph Reisner, stimmte per Aussendung seinen Kollegen zu. „Erstmals werden in der Öffentlichkeit relevante Systemfragen gestellt. Bisher waren manche überzeugt, das beste Gesundheitssystem der Welt zu haben. Dies ist auch in weiten Bereichen richtig, es bleiben aber offene und grundlegende Probleme“, so der Ärzte-Chef, der in der gleichen Aussendung auch auf den erfolgten Machtwechsel in der Kammer Bezug nahm. „Vor zwei Jahren hat unsere neue Koalition über alle Ärztegruppen hinaus in der NÖ Ärztekammer die Verantwortung übernommen, und ebenso lange haben wir die Probleme der Spitalsmedizin angesprochen. Es ist erfreulich, dass hochkarätige Journalistik dieses heiße Thema in die Hand genommen hat.“

Behandlungsfehler. Anlass für die profil-Titelgeschichte war das Erscheinen des Buchs „Verschlusssache Medizin“ des Wiener Medizinjournalisten Kurt Langbein, das mittlerweile durch die mediale Aufmerksamkeit, die es erregt hat, in den Bestsellerlisten weit vorne liegt. Kernaussagen: In Österreichs Spitälern kommen jährlich 25.000 Personen durch Behandlungsfehler zu Schaden, 2500 sterben daran. Von Langbein veröffentlichte Studien belegen, dass die Gefahr von Behandlungsfehlern und Komplikationen mit der Anzahl der ärztlichen Dienststunden steigt und dass Chirurgen nach 24-Stunden-Diensten mitunter agieren wie erheblich Betrunkene. Der Präsident der Bundesärztekammer, Walter Dorner, reagierte, wie er reagieren musste: Er kritisierte das Buch als „billige, sensationslüsterne Panikmache“.

Ein von Langbein ausführlich zitierter, erstmals durch profil publik gewordener Bericht des mittlerweile pensionierten ehemaligen Tullner Chirurgie-Primars und langjährigen Präsidenten des Berufsverbandes österreichischer Chirurgen, Franz Stöger, beleuchtet den chirurgischen Alltag in mehreren niederösterreichischen Landkrankenhäusern.
Stöger, langjähriger Kämpfer für Qualitätssicherung im Spital, hatte als Konsulent des Niederösterreichischen Gesundheits- und Sozialfonds Nögus weit über 500 Krankengeschichten aus dem Jahr 2005 durchforstet, welche die chirurgischen Abteilungen der niederösterreichischen Spitäler samt Abrechnungsunterlagen in die Landeshauptstadt geschickt hatten.

Dabei stieß der Mediziner in manchen chirurgischen Abteilungen auf auffallend hohe Komplikations- und teils auch Todesraten, extrem häufige Inanspruchnahme der Intensivstationen sowie auf ein Phänomen, das Stöger unter dem Begriff „unethische Punktevermehrung durch Zusatzeingriffe“ vermerkte. So hätten etwa Neunkirchener Kollegen in zumindest elf Fällen ohne Einwilligung der Betroffenen an Schwerkranken zusätzlich zur eigentlich geplanten ­Operation noch Blinddarm oder Gallenblase entfernt – nach Stögers Vermutung offenbar, um Verrechnungspunkte zu sammeln (Krankenhäuser werden nach einem Punktesystem pro medizinischer Einzelleistung bezahlt).

Der Wiener Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer, der zum fraglichen Zeitpunkt noch für den niederösterreichischen Gesundheits- und Sozialfonds Nögus tätig war und deshalb über Insiderkenntnisse verfügt, sieht dafür freilich einen anderen Grund: Er ist überzeugt, dass viele der kleinen Krankenhäuser „jeden Tag unterschwellig um ihre Existenz fürchten“ und deshalb Leistungen erbringen, die nicht nötig wären.

Rauswurf. Die Veröffentlichung des Berichts war jedenfalls den Verantwortlichen in Niederösterreich zu viel. Sie verdächtigen Stöger, die undichte Stelle zu sein. Der medizinische Geschäftsführer der niederösterreichischen Landeskliniken-Holding, Robert Griessner, teilte dem pensionierten Primar kurzerhand mit, dass „die Politik eine weitere Tätigkeit als Kontrollarzt für Qualitätssicherung nicht mehr für sinnvoll hält“. Während sich der angesehene Chirurg als politisches Opfer sieht, nannte Holding-Sprecher Bernhard Jany einen konkreteren Grund für den Hinauswurf: Stöger habe die vertraglich vereinbarte Verschwiegenheitspflicht gebrochen und genieße daher nicht mehr das Vertrauen der Ärzte.

Der 71-jährige Stöger will das nicht auf sich sitzen lassen, scheint aber von der Entwicklung nicht völlig überrascht zu sein. „Wir sollten bereits vor einem Jahr unsere Kontrollen in den Spitälern einstellen. Wir haben dann nur noch einzelne Stichproben gemacht“, verriet er dem „Kurier“. Die in der Holding streng unter Verschluss gehaltenen Berichte verschwanden als Diskussionspunkt wiederholt von der Tagesordnung desStändigen Ausschusses im Nögus.

Während der auch für Gesundheit zuständige niederösterreichische ÖVP-Landeshauptmannstellvertreter Wolfgang Sobotka beteuert, er habe nichts zu verbergen, zeigen sich Spitalsärztevertreter über die Vertuschungsaktion nicht weiter verwundert.„Es wird alles unter den Teppich gekehrt. Die Kollegen haben unglaubliche Angst, den Mund aufzumachen“, sagt einer von ihnen.

Selbst Spitalsärztevertreter reden nur hinter vorgehaltener Hand, wenn sie nicht durch eine hohe Kammerfunktion geschützt sind. Öffentlich geäußerte Kritik könne wie in der DDR den Existenzverlust bedeuten, sagen sie. Dabei würden sie so gerne reden: etwa über die „Schrebergartenmentalität“ in einem System, das „keine Gesamtverantwortung“ kenne, in dem nur darauf geschaut würde, wer wo was zahlt, egal, welche volkswirtschaftlichen Unsinnigkeiten dabei herauskommen. Wie Langbein in seinem Buch sagen auch sie: Es gebe viele unnötige Krankenhausaufenthalte; die Ambulanzen seien überschwemmt mit Menschen, denen oft gar nichts fehle. „Bis zu 80 Prozent der Ambulanzpatienten sind Psychosomatosen“, sagt ein niederösterreichischer Spitalsärztevertreter. Also Störungen, die keine physische Ursache haben.

Und wie im Langbein-Buch dargestellt, gebe es aufgrund fehlender Planstellen nach wie vor nicht nur extrem lange Arbeitszeiten von 72 und mehr Wochenstunden, sondern sogar eine „Arbeitsverdichtung“ und „schleichende Vermehrung der Inanspruchnahme“. Weil Turnusärzte die personellen Fehlbestände ausgleichen müssten, würden die Jungärzte etliche Fächer nicht mehr wirklich lernen. Und der wachsende ökonomische Druck würde vor allem deshalb weiter zunehmen, „weil die Politik einen Ferrari verspricht, in dem nur ein Puch-500er-Motor drin ist“, wie es Kuriensprecher Gallob formuliert.

Der Wiener Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer sieht es ähnlich: „Die bauen neue Krankenhäuser auf Teufel komm raus.“ Überall fürchten die Ärzte, dass sie die Zeche dafür zahlen werden, dass die Politik durch Vorzeigeprojekte glänzen will. In Klagenfurt beispielsweise wird derzeit um 350 Millionen Euro das „LKH neu“ errichtet. Das hoch verschuldete Land weiß aber offenbar nicht, wie die jährlichen Betriebskosten von voraussichtlich 20 Millionen Euro aufgebracht werden sollen, weshalb die Ärzte bereits befürchten, man werde ihnen noch mehr Leistung fürs gleiche oder weniger Geld abverlangen, um das Defizit wettzumachen. Schon jetzt stöhnen sie unter massiven finanziellen Einschränkungen. Das Management scheint total überfordert, Vorstände und Pirmarärzte kommen und gehen, Prozesse laufen, es herrscht Chaos pur.

Am Mittwoch vorvergangener Woche forderten 300 Ärzte des LKH-Klagenfurt bei einer Versammlung im Gemeinschaftshaus des Betriebsrats einstimmig die sofortige Ablöse des medizinischen LKH-Direktors Thomas Koperna: Eine weitere Zusammenarbeit mit dem Ärztechef sei nicht mehr möglich. Ein einmaliger Vorgang in der Geschichte des österreichischen Gesundheitswesens. Daraufhin schloss sich auch die Landesregierung als Aufsichtsrat der Krankenhausholding Kabeg der Forderung der Ärzte an. Doch die interimistischen Vorstände der Kabeg weigern sich, der Aufforderung nachzukommen, und spielen den Ball wieder an die Politik zurück.

In Niederösterreich sind für die kommenden Jahre Spitalsneu- oder Modernisierungsbauten um zwei Milliarden Euro geplant. Auch dort stellt sich die Frage, ob im Gegenzug der ökonomische Druck auf die Ärzte wachsen wird. Schon jetzt klagen laut einer im Vorjahr durchgeführten Kammer-Umfrage 74 Prozent der angestellten Mediziner über teils extreme Belastungen, 63 Prozent berichten von Spitzenarbeitszeiten von mehr als 72 Wochenstunden. 50 Prozent sagen, sie würden sich einen Wechsel in eine andere berufliche Situation oder sogar ins Ausland überlegen, wenn sich ihre Arbeitsbedingungen nicht verbessern.

Foto: Monika Saulich