Tot weiß tot

Der Hans ist rund, und ein Krankl dauert neunzig Minuten, oder so.

Drucken

Schriftgröße

Es gab eine Zeit, da war Hans Krankl ein überaus säglicher Mann. Er war ein begnadeter, mit Recht in aller Fußballwelt berühmter Torschütze; er war kein unbegabter Austro-Rocksänger; er war ein zu seinem direkten Charakter nicht ganz passend zögerlicher Trainer verschiedener Vereine; und er war ein durchaus passabler Analytiker des Lauf-, Mannschafts- und auch noch Denk-Spiels Fußball. Dann wurde er vom Österreichischen Fußballbund, der heuer 100 Jahre alt ist, als „Teamchef“ engagiert, um die Nationalmannschaft aus Österreichs besten Ballesterern zu formen.

Trotz umsichtiger Auswahl nicht allzu furioser Länderspiel-Gegner verlor das Team unter Krankls Ägide öfter, als es gewann (acht Niederlagen, drei Unentschieden, sieben Siege), und konnte sich auch nicht für die am 12. Juni beginnende Europameisterschaft in Portugal qualifizieren. Als dies öffentlich moniert wurde, gab der Teamchef den heimischen Klubs die Schuld an der Misere, da diese statt (schlechter) Österreicher (vielfach auch nicht viel bessere) Ausländer zum Zug kommen lassen, sodass „unsere Talente auf der Ersatzbank verkümmern“. Was die noch nicht verkümmerten Talente, die bei ihren Klubs tatsächlich mitunter internationales Mittelmaß erreichen, als Nationalgemeinschaft zu leisten imstande sind, zeigten sie vor einigen Wochen in Bratislava: in einer an Ideenarmut schwerreichen Partie besiegten sie als noch Einfallslosere die harmlosen Slowaken durch einen Tausendguldenschuss in letzter Minute mit 2:1.

Jeder Mensch, der sich gern Fußballspiele anschaut und sich trotzdem unsere nach dem Skifahren größte nationale Volksbelustigung nicht entgehen lässt, der gedacht hätte, das Spielfeld in Bratislava sei schon das ödeste Brachland seit Ledergedroschens gewesen, wurde vergangenen Mittwoch auf dem Innsbrucker Rasen eines Karstigeren belehrt; jeder, der Hans Krankls frivolen Dauersatz „Im internationalen Fußball gibt es keine leichten Gegner mehr“ für die unüberstrippbare Selbstentblößung strategischer Splitternacktheit hielt, musste hören, dass der Herr K. noch ein semantisches Feigenblatt abzustreifen vermochte: „Im Fußball ist nichts blamabel.“

Dies wohl zutiefst verinnerlicht habend, versuchten sich, inklusive Austausch-Spieler, siebzehn Männer in rot-weiß-roten Dressen an einer mentalen wie motorischen Gruppenstatik, die einem Fußballspiel nicht einmal zum Verwechseln ähnlich sah.
Da Österreichs Gegner in den Spielen um die Qualifikation für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 unter anderem England und Polen sind, lag es nahe, unseren hoffnungsvollen Kader zum Eingewöhnen mit einer fußballerischen Großmacht zu konfrontieren: mit dem Großfürstentum Luxemburg also. Die Spieler dieses Landes hatten in keinem ihrer EM-Ausscheidungsspiele ein Tor geschossen, sie sind auch lupenreine Amateure: der Tormann ist ein Bankangestellter, der Mannschaftskapitän ein Bademeister, einer ist Staatsbeamter, einer Physiotherapeut, der Rest sind (nicht nur Leichtathletik-)Studenten.

Gegen diese Herren, die ernsthaft vorhaben, einen Beruf zu erlernen oder schon einen erlernt haben, trat unsere Truppe an, deren jeder Einzelne als Profession Fußballspieler angibt. Den Eindruck keiner Dokumentenfälschung konnten die Profis vierzehn Minuten lang erwecken: während der ersten neun und der letzten fünf. Dazwischen begab sich schwer Beschreibliches: eine bei manchem Fersler Stirnadern hervortreten lassende Verkrampftheit, eine blindwütige Tollpatschigkeit, Ohnmacht, Zahnmalmen, Keuchen, Spucken, Aufrappeln und Danebenfahren, Ekel vor dem sich einem nähernden Ball, mutloses, drum fruchtloses Berühren desselben mit einem nicht mehr bestimmbaren Körperteil, verzweifelte Desparatheit, autistische Körpersprache – eine flächendeckende Peinlichkeit, die durch einen Sängerknaben, der für einen Werbespot einen Lipizzaner mit Mozartkugeln füttert, nicht annähernd erreicht werden könnte.

Die Luxemburger boten zunehmend unbekümmerten Spielwitz, der Ausgleich zum 2:2 lag in der Luft, sodass ORF-Analytiker Hans Huber zutreffend bemerkte, die Österreicher seien lange Zeit „vorgeführt“ worden (gemeint: wie Tanzbären). Doch deren Coach meinte im Ernst, seine Profis brauchten bloß zu lernen, wie eine Mannschaft anzugreifen habe: „Sie wissen noch nicht, wie man das Spiel macht.“
ÖFB-Präsident Friedrich Stickler fand das Match immerhin „teilweise erschreckend“, und seufzte: „Wir müssen zu dieser Mannschaft weiter stehen, wir haben keine andere.“

Wir haben auch keinen anderen Teamchef, der „vom Resultat her zufrieden“ (4:1) ist. Es gibt nur einen, der dieses hilflose Elend, dieses jammervolle Unvermögen, diesen geistigen Offenbarungseid für einen Esprit der Sinne und Sehnen hält.

Es scheint unwahrscheinlich, dass er noch Therapeut jener Verblendung werden kann, deren Opfer er geworden ist. Es scheint unglaublich, dass er Vakuum noch zu erkennen vermag.

Es ist zu befürchten, dass Hans Krankl glaubt, was er sagt.