Metrosexualität

Trend: Zart gesotten

Zart gesotten

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Männer benützen also neuerdings Anti-Falten-Cremes. Das sei dringend berichtenswert, meinen Trendforscher. Nicht, dass nicht schon John Travolta Haargel benutzt, Cary Grant sich ab und zu eine Maniküre gegönnt und wahrscheinlich schon Julius Cäsar selig auf die Auswahl der passenden Toga-Spange geachtet hätte. Diesmal jedoch, heißt es, sei das etwas ganz anderes. Diesmal sei es ernst. Männer verweiblichen.

„Metrosexualität“ lautet das seit zwei Monaten um den Globus spukende Schlagwort, das nichts mit Geschlechtsverkehr in der U-Bahn zu tun hat, sondern junge, urbane Männer bezeichnet, die so sind, wie Frauen sie angeblich schon immer haben wollten: Sie gehen gern einkaufen, lesen Hochglanzmagazine, schauen in den Spiegel, zupfen sich die Augenbrauen, sind kompetent in Schuh- und Ayurveda-Fragen und auch sonst einfühlsam genug, um bei der Erörterung alltäglicher weiblicher Sinnkrisen mitreden zu können. Das Schönste: Sie hören bei diesen Gesprächen angeblich sogar zu.

Solche Verhaltensweisen traute man bisher allenfalls Homosexuellen zu. Schon seit Jahren gehörten die Hetero-Frau und ihr schwuler bester Freund zum Standard-Inventar amerikanischer Fernsehserien. Madonna hatte einen im richtigen Leben, selbst Uschi Glas führte einen aus, und die Botschaft an den real existierenden Hetero konnte klarer und verstörender nicht sein: Frauen sind auf euer Testosteron nicht mehr neugierig. Nur wer seine weibliche Seite pflegt, hat noch eine Chance.

Es kommt selten vor, dass Männer schnell lernen, aber diesmal nahm das Fabelwesen tatsächlich Gestalt an. Die New Yorker Stadtzeitung „Village Voice“ entdeckte es auf den Straßen der Lower Eastside – dort gingen von besorgten Homosexuellen ob des Verwirrungspotenzials nämlich Beschwerden ein. Das Online-Magazin „Salon.com“ taufte das Phänomen „straight fairies“. Der britische Privatkanal Channel 4 hält Metrosexualität hartnäckig für eine britische Erfindung, obwohl sich ebenso hartnäckig die Legende hält, das erste zweifelsfrei identifizierte Exemplar der Gattung sei in der australischen Metropole Sydney gesichtet worden.

Damit aus solch medialem Zeitvertreib ein globaler Trend wird, braucht es allerdings eine professionelle Großoffensive – und die wurde im Juni von der 43-jährigen Marian Salzman losgestoßen, Futurologin im Sold von Euro RSCG Worldwide, der fünftgrößten Werbeagentur der Welt mit 233 Büros rund um den Globus.

Salzman, die vor zehn Jahren schon die „wiggers“ identifizierte (weiße Mittelklasse-Kids, welche die Street-Kultur der schwarzen Ghettos nachahmen), plaudert in ihrem Buch „Buzz“ aus der Schule: Tratsch ist demnach der Kleister, der moderne Gesellschaften zusammenhält. Trends würden von so genannten „Alphas“ an den Peripherien des Marktes erfunden, ohne großen Drang, die Allgemeinheit daran teilhaben zu lassen. Damit sie ihren Weg in den Mainstream finden, brauche es „Bienen“: leidenschaftliche Tratscher, die nichts lieber tun, als sich mit der Verbreitung guter Verhaltensratschläge und hipper Konsumtipps wichtig zu machen.

Auf der Spur der Metrosexuellen, erzählte Mega-Biene Salzman dem britischen „Observer“, habe sie ihr Netz von 1300 Trendsettern in aller Welt aktiviert („nur in Zentralafrika“, klagt sie, klaffe ein Lücke, aber dort hat man derzeit wohl andere Sorgen). Es folgten detaillierte Fragebögen. Ergebnis: eine Studie, die belegen soll, dass die Geschlechter einander in Verhalten, Wünschen und Zielen immer ähnlicher werden. Während 35 Prozent ihrer befragten Männer davon träumen, „mit der Frau, die ich liebe, alt zu werden“, träumen nur acht Prozent davon, einen Großkonzern zu leiten. Zur Selbstbeschreibung wählen sie mehrheitlich Begriffe wie „romantisch“ oder „fürsorglich“. Bereits ein Drittel bis die Hälfte aller Briten und Amerikaner zwischen 20 und 40 sollen der neuen Spezies angehören, berichtet sogar die über jeden zeitgeistigen Zweifel erhabene Wochenzeitung „The Economist“.

„Ich glaube, die Unternehmen haben noch gar nicht begriffen, wie sehr sich der Mann verändert hat“, meint Salzman. „Bisher hat man Geschwindigkeit und Präzision anpreisen müssen, um ihm ein Auto zu verkaufen. In Zukunft wird man ihn damit locken, bei laufendem Motor ein tief schürfendes Gespräch mit seiner Partnerin führen zu können. Titten und Ärsche haben ausgedient.“

Als kleiner Grundkurs in die neue Lebensart dient dem lernwilligen Amerikaner die im Juli angelaufene, wild diskutierte Fernsehserie „Queer Eye for the Straight Guy“: Da dringen homosexuelle Style-Berater in die finsteren Sofa-Bier-und-Fußball-Höhlen unrasierter heterosexueller Singles ein und unterweisen sie im Einmaleins des Haarewaschens, der Tapeten- und Krawattenkunde, des angeregten Smalltalks und der Produktion des kleinen, feinen Dinners für zwei.

Womit der Trend vorläufig einmal bei einem ersten wichtigen Zweck angekommen wäre: „Die altmodische, auf Fortpflanzung bedachte, von Feuchtigkeitscremes unberührte Heterosexualität hat vom Konsumkapitalismus die rote Karte gezeigt gekriegt“, schreibt der britische Autor Mark Simpson. „Der selbstzufriedene, bescheidene, heterosexuelle Mann hat nicht genug eingekauft, und deswegen musste er durch einen neuen Mann ersetzt werden. Einen, der sich seiner Identität weniger sicher und mehr mit seinem Image beschäftigt ist. Einen, der sehr viel mehr angeschaut werden will (weil das der einzige Weg ist, sich selbst zu beweisen, dass man tatsächlich existiert). Kurz: ein Mann, der den feuchten Träumen aller Werbefachleute entspringt.“

Hoch an der Zeit dafür war es ja. Denn die beiden Vorläufermodelle des neuen Mannes hatten für die Werbewirtschaft nicht viel hergegeben. Auf der einen Seite war aus den siebziger Jahren der Softie übrig geblieben, sensibel, feministisch, mit Erfahrung in Gruppendynamik und am Wickeltisch, immer auf der Suche nach seinem wahren Selbst, aber leider nicht geneigt, sich bei dieser Suche von multinationalen Konzernen helfen zu lassen.

Auf der anderen Seite lag da noch der ölige Muskelmann aus den Achtzigern herum, der mit seinem Markenfetischismus und der Sehnsucht nach dem Waschbrettbauch Lifestyle-Gazetten wie „Men’s Health“ nährte. Er war zwar bereit, für seine ästhetische Neuerschaffung sein in der New Economy gescheffeltes Geld mit beiden Händen auszugeben, hatte aber ein Imageproblem: Er war ein selbstverliebter Egomane (und mutierte in Bret Easton Ellis’ Roman „American Psycho“ prompt auch zum sadistischen Serienkiller).

Beide Prototypen existierten zu Beginn des neuen Jahrtausends bloß noch als Karikaturen – keinen davon hatten die Frauen wirklich gewollt. In der Synthese – sensibel und stilsicher, verspielt und reich, androgyn und männlich – sind sie nun jedoch plötzlich massen- und sympathietauglich.
An Role Models mangelt es nicht mehr. Fußball-Gott David Beckham trägt Sarong und lackiert sich die Fingernägel. Den Hollywood-Langeweiler Ben Affleck entschädigt ein lukrativer Werbevertrag mit L’Oréal-Haarpflege für sein Dasein als Pantoffelheld an der Seite von Jennifer Lopez. Der Rapper Eminem nimmt Yoga-Stunden. Und wenn sogar ein einstiger Hardcore-Heimwerker wie Harrison Ford schon Ohrring trägt, muss sich kaum jemand mehr genieren, die eben lancierte Männer-Schminkserie „Tout beau, tout propre“ von Gaultier zu erwerben, Kajal und Lipgloss inklusive.

Für derartiges Gebaren hätte ein Mann noch vor kurzem damit rechnen müssen, auf der Straße beschimpft zu werden und eine Faust ins Gesicht zu bekommen. Doch als Beckham gar neckisch für das britische Homosexuellenmagazin „Attitude“ posierte, blieben die Schmähungen aus. Als schwule Ikone zu gelten, empfindet Beckham nicht als peinlich, sondern als Auszeichnung.

Womit der Trend bei seiner zweiten Bestimmung angelangt wäre – und den entspannteren Umgang mit männlicher Homosexualität in der Gesellschaft verrät. (Auf das spiegelverkehrte Fabelwesen, das „Mannweib“, erstreckt sich die trendige Toleranz deswegen noch lange nicht.)
Schön für die Schwulen. Doch die Ausgangsfrage ist damit noch unbeantwortet: Haben auch die Frauen etwas davon?
Aber ja doch, will Trendsetterin Marian Salzman hartnäckig glauben. Sie liest aus ihrer Studie nicht nur Äußerlichkeiten, sondern gleich eine „Revolution im Verhältnis der Geschlechter“ heraus. „Diese Bewegung hat zwar nicht die Leidenschaft oder die Politisierung der Frauenbewegung, aber es ist ein ähnlicher Prozess“, meint die Zukunftsforscherin. 76 Prozent der Männer seien demnach froh, dass die Frauenbewegung stattgefunden hat, nur zwölf Prozent würden deren Errungenschaften wieder abschaffen wollen.
Man kann auch ein österreichischer Pastoraltheologe sein, um im Auftrag der Herbert-Haupt’schen Männersektion zu ähnlichen Ergebnissen zu kommen. Die österreichische Männerstudie 2003 des Werteforschers Paul Zulehner förderte eine ähnliche Typologie zutage wie die deutsche Studie „Männer im Aufbruch“ von 1998: Der Anteil „traditioneller“ Männer sei demnach in zehn Jahren geschrumpft (von 24 auf 17 Prozent), der Anteil jener, die sich als „modern“ bezeichnen, von 14 auf 23 Prozent angewachsen.
Die größte Gruppe ist allerdings die der „unbestimmten“ (42 Prozent): Das sind jene, für welche die „alten Muster nicht mehr, die neuen aber noch nicht“ gelten. (Was im Alltag vielleicht heißt, dass sie das Auto nicht mehr, die Wäsche aber noch nicht waschen.)

Generell diagnostiziert Zulehner einen „besseren Zugang des Mannes zu seinen Gefühlen“, eine Neuentdeckung der Vaterrolle, eine Verunsicherung in der Rolle als beruflicher Alleinernährer. „Die meisten Männer sind in ihrer Entwicklung formbar und unsicher“, resümiert er.

„Männer verändern sich, und dabei werden sie wahrscheinlich durch eine Phase der Unsicherheit gehen“, stimmt ihm die feministische Schriftstellerin Angela Phillips zu. „Das Problem ist jedoch nicht, dass sich Männer verändern, sondern dass wir in einer Gesellschaft leben, die es für akzeptabel hält, diese Unsicherheiten auszunützen.“

Was das im Datil bedeutet, wissen Frauen aus ihrer eigenen Geschichte: Die sexuelle Befreiung hat den öffentlichen Schönheitsterror als penetrantes Nebengeräusch, die berufliche Gleichberechtigung wird mit Doppelbelastung bezahlt, und die „Powerfrau“, die alles will, ist am Ende nicht selten mit den Nerven fertig.

Und solche Rollenkrisen sollten sich Männer nun freiwillig aufhalsen wollen? Warnende Indizien dafür gäbe es: Die Arbeitswelt gehört ihnen nicht mehr ganz allein, ihre Machtspielchen stehen unter Generalverdacht, in der modernen Familie finden sie sich noch nicht zurecht. Und wer im verzweifelten Wettbewerb um Attraktivität mitspielen will, liefert sich zwangsläufig der Demütigung durch die Vergänglichkeit aus. In Deutschland wird bereits ein Fünftel aller Schönheitsoperationen an Männern durchgeführt.
„Die Werbung schlägt aus dem niedrigen Selbstwertgefühl des Mannes Kapital“, schreibt die „New York Times“, „und bearbeitet ihn gezielt mit Produkten, die ihm versprechen, ihm die Macht zurückzugeben.“

Doch es wäre nicht die Welt des marktwirtschaftlichen Patriarchats, würde genau das am Ende nicht auch gelingen können. Schließlich ist der Metrosexuelle immer noch ein Mann, samt allen Privilegien, die das mit sich bringt. Mit der Erschließung seiner femininen Seite hat er nun funkelnde neue Waffen in der Hand – auf den beiden immer noch entscheidenden Schlachtfeldern: im Kampf um die Macht und im Kampf um die Mädchen.

Kommunikative Fähigkeiten haben noch nie geschadet, um in Zeiten flacher Unternehmenshierarchien ganz nach oben zu kommen. Das Versprechen, das „Beste aus beiden Welten zu kriegen“ („New York Times“), ist für jede Frau, die ihre Sinne beisammen hat, so unwiderstehlich, dass sie vielleicht eine Zeit lang vergisst, auch auf der inhaltlichen Einhaltung dieses Versprechens zu bestehen.

So wird denn wahrscheinlich alles glimpflich ausgehen für den neuen Mann. Wer sensibel argumentieren kann und dafür die richtige Flasche Wein ausgesucht hat, dem fällt es wahrscheinlich leichter zu erklären, warum sich der Vaterschaftsurlaub jetzt, gerade jetzt, nicht ausgeht. Und wer wird ernsthaft von ihm verlangen, mit frisch lackierten Fingernägeln die Waschmaschine auszuräumen?