„Die Griechen werden es schaffen“

„Die Griechen werden es schaffen“

Interview. Der schwedische Außenminister Carl Bildt will einen EU-Beitritt der Türkei

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profil: Die nächste Hilfstranche für Griechenland dürfte demnächst in Athen ankommen. Dennoch ist die Hellas-Krise nicht ausgestanden. Und immer mehr Ökonomen und Politiker fordern mittlerweile einen Ausschluss Griechenlands aus der Eurogruppe. Wird es so weit kommen?
Bildt: Nein, das glaube ich nicht. Wenn man sich genau ansieht, was das für die Eurogruppe bedeutet, wird schnell klar: Europa kann nur sehr schwer mit den Folgen eines Ausschlusses von Griechenland umgehen.

profil: Europa wäre damit überfordert?
Bildt: Ja. Die derzeitige Griechenland-Strategie ist schon sehr schwer zu verkraften für Europa, die Sinnhaftigkeit der Union wird hinterfragt, viele sagen: Wir wollen nicht für andere Länder bezahlen. Aber ein Euro-Austritt Athens stellt die Gemeinschaft vor noch weitaus größere Probleme. Die Griechen müssen radikale Reformen umsetzen, um ein funktionierendes Staatswesen aufzubauen und eine wettbewerbsfähige Wirtschaft zu entwickeln. Sie werden es schaffen. Es gibt keinen Grund, warum sie dies nicht können sollten.

profil: Doch, den gibt es: Europa zwingt Athen ein derart radikales Sparpaket auf, dass immer mehr Unternehmen bankrottgehen und das Land in eine immer tiefere Rezession schlittert. Mit dieser Politik wird es kaum möglich sein, eine funktionierende Wirtschaft aufzubauen.
Bildt: Das sehe ich anders, viele Länder haben das geschafft. Nehmen Sie Schweden: Auch wir haben in den neunziger Jahren ein ziemlich radikales Sparpaket beschlossen, um wichtige Reformen durchzusetzen. Das war nicht leicht. Letztlich hat sich diese Politik gelohnt.

profil:Das ist aber kaum zu vergleichen.
Bildt: Aber letztlich läuft es doch auf dasselbe hinaus. Nehmen Sie zum Beispiel die Türkei. Dieses Land lag darnieder. Die Wirtschaft steckte in einer tiefen Krise. Dank der radikalen Reformen im Jahr 2008 steht das Land heute besser da als je zuvor. Eine Umstrukturierung, die das Leben von vielen Menschen verändert, ist bei so einem Schritt immer notwendig. Wichtig ist aber, dass parallel dazu auch die Wirtschaft angekurbelt wird …

profil: … was in Griechenland aber derzeit nicht passiert: Die Troika, also der Internationale Währungsfonds, die EU und die Europäische Zentralbank, zwingt die Griechen zum radikalen Sparen - von Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft hört man bis dato kaum etwas.
Bildt: Das kann ich im Detail nicht beurteilen. Ich sehe aber, dass ein Liberalisierungs- und Sparprogramm in Italien positive Auswirkungen hat. In Griechenland gibt es sehr ähnliche Probleme wie in Italien: Staatsmonopole, Protektionismus, ineffiziente Verwaltung, veraltete Strukturen. In Italien beschweren sich jetzt die Anwälte, die Taxifahrer und die Apotheker. Das ist nur logisch, denn sie alle werden ihre Privilegien verlieren. Aber langfristig ist das die einzige Möglichkeit, um international mithalten zu können. Ähnliches passiert derzeit auch in Spanien.

profil: Gibt es also eine gemeinsame Wachstumspolitik in Europa?
Bildt: Es gibt eine gemeinsame Philosophie. Natürlich sind die Ausgangslagen in jedem Land unterschiedlich. Letztlich läuft es aber auf dieselben Ziele hinaus. Nordeuropäische Länder stehen heute besser da, weil sie früher mit den Reformen begonnen haben, jetzt muss der Süden nachziehen. Ich glaube, dass dank der Reformen der Euro bis heute sehr stabil ist.

profil: Wenn tatsächlich alles so stabil ist - warum treten die Schweden nicht dem Euro bei?
Bildt: Langfristig werden wir das tun. Wenn wir uns unsere Nachbarländer ansehen, also Finnland oder auch Deutschland, zeigt sich: Die haben den Euro und sind wirtschaftlich sehr stabil. Bevor Schweden dem Euro beitritt, brauchen wir ein Referendum …

profil: … und ein solches abzuhalten wäre im Moment der falsche Zeitpunkt, oder?
Bildt: Ja, in der jetzigen Krise ist das nicht möglich.

profil: Der Fall Griechenland zeigt doch deutlich: Europa muss eine Transferunion werden, in der die reichen, stabilen Länder den Krisenländern finanziell unter die Arme greifen.
Bildt: Ja, aber diese Transferunion gibt es doch schon. Nehmen Sie Island, Lettland, Irland, die alle mit großen Wirtschaftskrisen zu kämpfen hatten. Die nördlichen Länder der EU haben sich zusammengeschlossen und mehrere Milliarden Euro für die drei Krisenstaaten bereitgestellt. Und wissen Sie was? Wir haben das Geld nie ausbezahlt, sondern lediglich nur die Garantien dafür ausgestellt. Allein diese Garantie hat geholfen, dass sich die Märkte schnell beruhigten und die Kreditwürdigkeit der Krisenstaaten wiederhergestellt wurde.

profil: Aber ist das nicht das Problem: Die Märkte glauben offenbar nicht wirklich, dass die reichen Länder der Europäischen Union Griechenland am Ende helfen werden, und sie befürchten, dass sich die Krise auf Italien, Spanien und letztlich auf die gesamte Eurozone überträgt.
Bildt: Das war eine Zeit lang so, ja. Doch die Stimmung an den Märkten hat sich in den vergangenen Wochen geändert. Mittlerweile glaubt man wieder an den Fortbestand des Euro. Und warum? Wegen des Sparpakets und der Strukturreformen in Italien, Spanien und Griechenland.

profil: Die internationalen Finanzmärkte werden oft als Gefahr für Europa dargestellt, weil sie angeblich völlig irrational handeln. Sehen Sie das auch so?
Bildt: Das stimmt schlichtweg nicht. Wer die Logik der Märkte nicht mag, sollte sich nicht so stark verschulden. Wir Schweden haben einen Bilanzüberschuss und müssen uns auch deshalb nicht verschulden. Wenn man sich den Fall Griechenland ansieht und findet, die Märkte seien viel zu brutal, darf man nicht außer Acht lassen: Die Märkte waren doch lange Zeit naiv und viel zu milde gegenüber Athen. Die Kreditwürdigkeit Griechenlands blieb die längste Zeit stabil, auch als feststand, dass dieses Land de facto zahlungsunfähig ist.

profil: Europa ist in zwei Kategorien geteilt: Da gibt es Länder, die eine stärkere Integration, also mehr Macht für die Kommission fordern, und jene, welche die Erweiterung vorantreiben wollen. Schweden gehört eindeutig zur zweiten Kategorie, oder?
Bildt: Nicht ganz. Lange Zeit wurde die Kommission geschwächt. In den vergangenen Monaten hat sie aber mehr Macht bekommen, und wir wollen, dass sie diese Macht beibehält - im Gegensatz zu vielen anderen Ländern. Und natürlich sind wir für die Erweiterung der Union.

profil: Auch für die Erweiterung durch einen Beitritt der Türkei?
Bildt: Selbstverständlich.

profil: Damit haben Sie über 90 Prozent der Österreicher gegen sich.
Bildt: Ich war kürzlich in Wien in einem Buchgeschäft und habe bemerkt: Gleich drei Bücher in der Auslage handelten von der Türkenbelagerung im Jahr 1683. Ich habe den Eindruck, dass dieses Datum bis heute enorm wichtig ist in den Köpfen der Österreicher.

profil: Dann klären Sie uns auf: Warum sollte die Türkei, ein vorwiegend muslimisches Land, das instabile Nachbarländer wie den Iran, Syrien oder den Irak hat, Teil der EU werden?
Bildt: Die Welt ist so klein geworden, diese Länder sind doch schon jetzt quasi unsere Nachbarn. Grundsätzlich unterstütze ich den Türkei-Beitritt aus geopolitischen Gründen: Als ich auf die Welt kam, gab es knapp 2,5 Milliarden Menschen, heute sind es sieben Milliarden, in wenigen Jahrzehnten werden es neun Milliarden sein. Europa macht nur noch sieben Prozent der Weltbevölkerung aus. Um weiterhin eine wichtige Rolle auf der globalen Ebene spielen zu können, brauchen wir politisch, wirtschaftlich und demografisch mächtige Mitglieder wie die Türkei.

profil: Also spielt der kulturelle Unterschied für Sie keine Rolle?
Bildt: Was in Österreich die Türkenbelagerung ist, das ist für Schweden der Dreißigjährige Krieg (1618-1648, Anmerkung), wo es um die Reformation und Gegenreformation ging. Bis ins 18. Jahrhundert war der Katholizismus bei uns strengstens verboten, Kirchen wurden enteignet. Die Errichtung katholischer Klöster wurde erst vor knapp 20 Jahren wieder erlaubt. Wir haben dieses Trauma überwunden - und so müssen die Europäer jetzt die Angst vor dem Islam überwinden.

profil: Aber es gibt auch einen politischen Aspekt: Der türkische Premierminister Erdogan neigt zu einem autoritären Führungsstil, die Kurdenfrage ist bis heute nicht gelöst, das Verhältnis zu Israel ist auf einem Tiefpunkt.
Bildt: Erdogan ist wohl der weltweit erfolgreichste Politiker der vergangenen 15 Jahre. Er kam aus dem Gefängnis, gründete eine politische Partei, die bis heute enormen Zuspruch hat. Er wurde dreimal hintereinander von großen Mehrheiten gewählt.

profil: Sind Sie also nicht besorgt über seinen politischen Stil?
Bildt: Nein, denn realpolitisch ist das Land auf dem richtigen Weg: Der Reformprozess wird fortgesetzt, die Modernisierung schreitet voran, mit der Opposition werden Kompromisse gemacht, die Kurdenfrage macht weiter Fortschritte.

profil: Haben Sie das auch unserem Außenminister Michael Spindelegger gesagt, mit dem Sie auf dem Opernball in einer Loge saßen?
Bildt: Nein, aber bei einem anderen Anlass seiner Vorgängerin Ursula Plassnik. Sagen wir so: Sie war nicht meiner Meinung.

profil: Was Österreich und Schweden dafür verbindet, ist die Neutralität. Aber hat dieser Begriff realpolitisch noch irgendeine Bedeutung?
Bildt: Nein, die Neutralität hat gar keine Bedeutung mehr, in Schweden verwenden wir dieses Wort schon länger nicht mehr. Die Frage ist ja: Neutral wem gegenüber? So eine Position ist ja in der heutigen Welt gar nicht mehr möglich. Nehmen wir den Jugoslawien-Krieg, in den sich Schweden, aber auch Österreich eingemischt haben. Beide Länder waren in dem Konflikt alles andere als neutral. In dem Moment, als Schweden der EU beigetreten ist, war für uns klar: Der Begriff Neutralität ist obsolet geworden. Die EU ist eine politische Union, ihre Mitglieder sind daher auch nicht neutral.

Carl Bildt, 62,
ist seit 2006 schwedischer Außenminister. Der konservative Politiker von der gemäßigten Sammlungspartei war von 1991 bis 1994 schwedischer Ministerpräsident. 1995 wurde er zum Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina ernannt, zwischen 1999 und 2001 war er UN-Sonderbeauftragter für den Balkan. Bildt ist in dritter Ehe mit der Europaparlamentarierin Anna Maria Corazza verheiratet.

Georg Hoffmann-Ostenhof