Tschad: Die Hintergründe der Krise

Haben die Eufor-Truppen eine Chance?

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Noch beim Anflug am Abend des 30. Jänner hatten die Österreicher – Mitglieder der Eufor-Militärmission zum Schutz der Flüchtlingslager im Ost-Tschad – geglaubt, die Lage sei ruhig. Ein paar Stunden nach ihrer Landung wurde schon gekämpft, es gab hunderte Tote, zehntausende Menschen mussten aus dem Land flüchten. Am Montag vergangener Woche war der Spuk bereits wieder vorüber. Präsident Déby erklärte: „Die Lage ist im ganzen Land unter Kontrolle.“

Inzwischen befinden sich die Österreicher in der französischen Militärbasis Camp Cossei am Flughafen von N’Djamena und warten darauf, dass der vorerst gestoppte Eufor-Aufmarsch fortgesetzt wird. Ihr Kommandant vor Ort, Oberst Heinz Ass­mann, ist zuversichtlich: „Derzeit scheint es, dass sich der Einsatz lediglich um ein paar Tage verzögert hat.“ In Wien sagt Verteidigungsminister Norbert Darabos, die Mission sei wichtiger denn je, weil sich die Situation der Flüchtlinge verschlechtert ­habe. Ähnlich Generalleutnant Christian Segur-Cabanac, Leiter des Bundesheer-Führungsstabes: „Der Auftrag hat sich nicht geändert. Solange die Eufor nicht anders entscheidet, wird daran festgehalten.“

Beunruhigend bloß: Die Eufor wurde vom Ausbruch der Rebellion völlig überrascht. Von den Franzosen, auf deren Geheimdienst sie angewiesen ist, kamen offenbar auch keine verlässlichen Informationen. profil hat die Ereignisse durch Recherchen bei mehreren Konfliktparteien rekonstruiert: und dabei versucht zu klären, wie groß die Gefahr ist, dass sich ein derartiges Schlamassel wiederholt.

Freitag, 4.1.2008. Drei Rebellenfraktionen geben ihren Zusammenschluss unter gemeinsamem militärischem Kommando bekannt.
Montag, 21.1. Rebellensprecher Abderaman Koulamallah in einem Interview: „Die Entsendung von Eufor ist ein leicht zu durchschauendes Manöver der französischen Regierung, um Déby zu retten. Aber wer wird als Ers­ter in N’Djamena sein? Die Eufor-Truppen oder unsere Truppen?“
Dienstag, 29.1. Erste Eufor-Soldaten aus Italien treffen in N’Djamena ein. Rebellen im Internet: „Wir sind bereit zurückzuschlagen.“ Diplomaten melden, dass Aufständische aus dem Sudan in den Tschad vorgedrungen sind.

Die Rebellen: nimmermüde
Sie rasen auf den staubigen Sandpisten dahin, mindestens zehn Mann auf einem Geländewagen, dazu noch fest auf der Ladefläche montierte Maschinengewehre oder Fliegerabwehrgeschütze. Die Fahrt geht im Konvoi mit mehr als 200 Fahrzeugen gen Westen, wo der Feind herrscht. Wieder einmal unternehmen die Rebellen des Ost-Tschad einen Versuch, den verhassten Diktator Idriss Déby zu stürzen. Gescheitert sind sie schon oft, zurückgeworfen an die sudanesische Grenze, ehe sie sich erneut in Richtung der Hauptstadt N’Djamena aufmachten, mit der Beharrlichkeit eines Yo-Yos. Diesmal scheint der bewaffnete Aufstand unaufhaltsam. Nie zuvor waren die Rebellenfraktionen so einig. Sie wollen nicht dasselbe Debakel erleiden wie im April 2006, als sie schon einmal bis nach N’Djamena vorgedrungen, im Kampf um die Hauptstadt der von französischen Truppen unterstützten Regierungsarmee aber zahlenmäßig unterlegen waren.

Adoume Hassaballah, der in dieser Rebellenunion die Position des Vizepräsidenten innehat, nennt im Telefonat mit profil einen weiteren Grund für einen möglichen Erfolg des Unterfangens: „Die Leute jubeln uns zu, wenn wir in ihre Stadt kommen.“ Das klingt nach Propaganda, aber tatsächlich hat Präsident Déby einiges getan, um einen Aufstand geradezu herauszufordern: Nach zwei geschobenen Wahlen machte er 2005 durch eine Verfassungsänderung eine neuerliche Kandidatur möglich, brach sein Versprechen abzutreten und gewann 2006 erneut höchst zweifelhafte Wahlen.

Seither ist die Rebellion nicht mehr zu besänftigen.
Die Aufständischen erheben auch schwere Vorwürfe gegen die Franzosen, die das Regime Déby gemäß einem ­Beistandsvertrag beschützen. „Frankreich ­beruft sich auf die Demokratie und die ­republikanischen Werte und hält einen Diktator an der Macht. Wir nennen das Kolonisierung“, klagt Kommandant ­Hassaballah. Das Ziel seiner bewaffneten Bewegung seien freie Wahlen, die unter ­Déby nicht möglich seien. Er selbst wolle sich daran nicht beteiligen, sagt der 56 Jahre alte Berufsoffizier, denn „wir kämpfen nicht für die Machtübernahme, sondern für einen demokratischen Wechsel“.

Nach Einschätzung aller neutralen Beobachter jedoch ziehen sich die Rebellen nach jedem Angriff an die sudanesische Grenze zurück, weil sie aus dem Nachbarland mit Fahrzeugen, Waffen und Munition versorgt werden. Die Gegner bezeichnen die Tschad-Rebellen deshalb als Marionetten des sudanesischen Regimes von Omar al-Bashir. Sie selbst sehen sich als tschadische Patrioten auf dem langen Weg zur Befreiung von N’Djamena. Während die Rebellen noch am Weg in die Hauptstadt sind, lässt das Regime bereits erste Oppositionelle im Gefängnis verschwinden.

Mittwoch, 30.1. Das österreichische Eufor-Vorkommando fliegt um 9.00 Uhr in Linz ab. Gegen Mittag nehmen die Rebellen die Stadt Oum Hadjer rund 450 Kilometer östlich von N’Djamena ein. Rebellensprecher Koulamallah um 17.00 Uhr: „Triumphaler Empfang“ für die Aufständischen am Weg in die Hauptstadt. Um 18.30 Uhr landen die Österreicher in N’Djamena.
Donnerstag, 31.1. Die Rebellen sind nach eigenen Angaben am Nachmittag bereits 100 Kilometer vor der Hauptstadt. Dort wird die französische Schule geschlossen, das Mobilfunknetz abgeschaltet. Das offizielle Tagebuch des österreichischen Kontingents im Internet: „Gestern in den Abendstunden erhielten wir die Lage­information, dass es zu Auseinandersetzungen zwischen Rebellengruppen und der Armee des Tschad gekommen ist.“ Die Truppen von Déby versuchen, einen Verteidigungsring um die Stadt zu ziehen. Rebellenankündigung: „Wir werden in den nächsten Stunden in N’Djamena sein.“

Idriss Déby, Präsident des Tschad: der Überlebenskünstler
Idriss Déby Itno, Präsident des Tschad, weiß, was es heißt, Rebell zu sein: Vor 17 Jahren war er selbst einer gewesen – als Sicherheitschef (Spezialgebiet: Bekämpfung von Aufständischen) von Diktator Hissène Habré in Ungnade gefallen und in den Sudan geflüchtet. Ende 1990 kehrte er an der Spitze eines Konvois von Osten her in den Tschad zurück.

N’Djamena fiel ohne Gegenwehr. Wenig später war der Putschist Präsident. Seither tut Déby alles, um an der Macht zu bleiben und den Einfluss seiner Volksgruppe, der Zaghawa, zu mehren. Die Folge: Im Laufe der Zeit haben ihm immer mehr Gefolgsleute den Rücken gekehrt, weil sie sich gegenüber den Zaghawa benachteiligt fühlten. Umso mehr, als das Regime seit einigen Jahren stattliche Gewinne aus dem Ölgeschäft zu verteilen hat. Als am Dienstag, 29. Jänner, erste Berichte über eine neue Offensive nach N’Djamena dringen, weiß Déby genau, mit wem er es zu tun hat. Einer der Kommandanten ist Timan Erdimi, sein eigener Neffe. Ein zweiter Mahamat Nouri, sein ehemaliger Verteidigungsminister. Was er – vermutlich – in seinem Palast am Ufer des Chari-Flusses noch nicht ganz sicher weiß: ob ihm Frankreich auch diesmal aus der Patsche helfen wird.

Zudem liegt Verrat in der Luft. Die Rebellen stoßen überraschend problemlos auf die Hauptstadt zu, sie scheinen über die Stellungen der Regierungstruppen genau informiert zu sein und sie einfach zu umfahren. Gibt es jemand, der geplaudert hat? Als die Aufständischen die Hauptstadt erreichen, verschanzt sich Déby in seinem Palast. Oppositionsmedien melden, dass er seine Minister und engsten Mitarbeiter zu sich in den Bunker holen lässt. Beim Angriff der Rebellen geht es für Déby schlicht um die Existenz: Werden sie nicht gestoppt, verliert er das Amt oder gar sein Leben. Und seine Volksgruppe die Pfründen.

Freitag, 1.2. Frankreich fliegt 150 Soldaten zur Verstärkung nach N’Djamena ein, vor dem Präsidentenpalast von Déby gehen Panzer in Stellung. Die Eufor stoppt weitere Truppenentsendungen.
Samstag, 2.2. Rebellen in der Stadt, blutige Gefechte mit Regierungstruppen. Die Österreicher verschanzen sich im Hotel Kempinski und beobachten die Kämpfe.
Sonntag, 3.2. Belagerung des Präsidentenpalastes, Plünderungen. Im UN-Sicherheitsrat will Frankreich eine Resolution, derzufolge Déby „mit allen notwendigen Mitteln“ – also auch militärisch – geschützt werden darf. Russland verhindert das.
Montag, 4.2. Massenflucht aus dem Tschad ins westlich gelegene Kamerun. UN-Sicherheitsrat spricht eine „scharfe Verurteilung“ der Rebellenangriffe aus und fordert Mitgliedsstaaten auf, die Regierung im Tschad zu unterstützen. Rebellen beginnen, sich aus
N’Djamena zurückzuziehen.

Frankreich: Freunde fürs Leben
Es sei die Pflicht Frankreichs, „die rechtmäßige Regierung des Tschad zu beschützen“, sagte der französische Außenminis­ter Bernard Kouchner vergangenen Mittwoch. Welche die jeweils rechtmäßige Regierung des Tschad ist, wird seit der ­Gründung des Staates im Jahr 1900 meist in Paris entschieden. Die französische Regierung plagt die nicht unbegründete Sorge, dass der Tschad ohne ihr Zutun im Chaos versinken würde. Der jahrzehntelange Bürgerkrieg, der sich aus dem Gegensatz zwischen arabisierten moslemischen Ethnien des Nordens und christianisierten Ethnien des Südens nährte und in den auch Libyen involviert war, war Paris eine Lehre. Seither herrschen in N’Djamena Diktatoren unter französischer Aufsicht. Erst Hissène Habré, der heute in Senegal wegen Menschenrechtsverletzungen vor Gericht steht, dann Idriss Déby. Beide dienten der Ex-Kolonialmacht als Garanten der Stabilität.

Seit 1976 besiegelt ein bilaterales Abkommen zur militärischen Kooperation die Beistandshilfe Frankreichs im Bedrohungsfall. Der französische Verteidigungsminis­ter ließ während der Krise der vergangenen Wochen denn auch keinen Zweifel an seiner Bündnistreue: „Wir halten uns an unsere Zusagen“, versicherte er. Doch Präsident Nicolas Sarkozy be­müht sich diesmal, zumindest die Fassade völkerrechtlicher Legitimität zu wahren. Die Unterstützung für Déby fällt sehr diskret aus, erweist sich aber als wirkungsvoll. Französische Soldaten halten die Rebellen mit Waffengewalt vom Flughafen in N’Djamena fern, von dem aus tschadische Hubschrauber Angriffe auf die Aufständischen unternehmen. Zudem ermuntert Paris nach Angaben der Zeitung „Le Monde“ Libyen dazu, Artilleriemunition für die tschadischen Kampfpanzer zu liefern. Der Tschad soll auf keinen Fall pro-sudanesischen Rebellen in die Hände fallen, sind sich die Franzosen und die Libyer einig.

Die von Frankreich erdachte EU-Friedensmission Eufor erweist sich als geniales strategisches Instrument. Paris kann damit sein etwas zweifelhaftes Image als postkoloniale Interventionsmacht verbessern und stattdessen als Initiator eines humanitären Militäreinsatzes glänzen. Zudem tut man mit der Eufor-Entsendung letztlich auch dem befreundeten Präsidenten Déby einen Gefallen. Der bat vergangene Woche um einen raschen Einsatzbeginn, um Regierungssoldaten von den Flüchtlingslagern abziehen und im Kampf gegen die Rebellen einsetzen zu können. Am Schluss sollte sich Déby noch bei Sarkozy revanchieren: Als alles vorbei war, kündigte er an, die wegen Kindesentführung im Tschad vergangenen Dezember zu acht Jahren Haft verurteilten Franzosen der Organisation Arche de Zoe begnadigen zu wollen.

Dienstag, 5.2. Rebellen drohen einerseits mit neuer Offensive, bieten andererseits Waffenstillstand an – sie haben Nachschubprobleme. Mittwoch, 6.2. Präsident Déby erklärt, die Lage sei unter Kontrolle, aber vier Fünftel seiner Minister seien verschwunden.
Donnerstag, 7.2. Rebellen ziehen sich weiter Richtung Osten zurück: Sie wollen vermutlich wieder ihre Stützpunkte im Sudan erreichen.

Omar al-Bashir, Präsident des Sudan: der Zündler
Man kann nicht behaupten, dass sich Omar al-Bashir im Leben viele Freunde gemacht hätte: Der Staatschef des Sudan führt seit Jahren Krieg gegen seine Landsleute – mit dem Südsudan hat er nach brutalen Sezessionskonflikten im Jahr 2005 zwar ein (bis heute fragiles) Friedensabkommen geschlossen. In Darfur, an der Grenze zum Tschad, terrorisieren regimetreue Milizen aber weiter die Bevölkerung.

Dort versuchen Soldaten der Afrikanischen Union seit geraumer Zeit erfolglos, das Morden zu stoppen. Eigentlich sollten sie längst Unterstützung von Einheiten der Vereinten Nationen haben. Dass das bislang noch nicht möglich ist, liegt auch an der Hinhaltetaktik Bashirs. Er will offenbar weder Blauhelme in Darfur noch Eufor-Soldaten im Osten des Tschad. Zudem verbindet ihn eine herzliche Abneigung gegen seinen dortigen Amtskollegen Déby: Der lässt zum Beispiels Bashirs Erzfeinde, die Aufständischen vom „Justice for Equality Movement“ (JEM), unbehelligt in N’Djamena wohnen und dort Aktionen gegen den Sudan vorbereiten.

Vor zwei Jahren hat Bashir mit Déby zwar einmal Frieden geschlossen – bei den Feiern zu Beginn der (halblegalen) dritten Amtszeit des Tschad-Präsidenten. Im vergangenen Oktober war der Sudanese noch am Zustandekommen eines von Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi verhandelten Abkommens beteiligt, das den Tschad-Rebellen die Rückkehr in ihre Heimat ermöglichen sollte. Bashir erhoffte sich davon offenbar, dass Déby dafür aufhören würde, die antisudanesischen Milizen im Tschad zu hätscheln. Der machte dazu aber keine Anstalten. Worauf beide wieder zu einem kriegsähnlichen Verhältnis zurückfanden.

Das Mitleid von Bashir mit Déby hält sich also in Grenzen. Im Gegenteil – wenn es die Aufständischen tatsächlich schaffen, die Macht im Nachbarland zu übernehmen, ist er auf einen Schlag mehrere Probleme los: Im Tschad wären Leute an der Regierung, die ihm mehr als einen Gefallen schuldig sind, weil er sie jahrelang beherbergt und wohl auch unterstützt hat. Er könnte vieles von ihnen verlangen: die sudanesischen Rebellen aus dem Tschad zu werfen, zum Beispiel. Oder die Eufor gar nicht hineinzulassen. Und damit den UN-Einsatz in Darfur, mit dem die EU-Mission verbunden ist, weiter behindern.

Freitag, 8.2. Französische Spezialeinheiten sollen entgegen allen Beteuerungen aktiv in die Kämpfe gegen die Rebellen eingegriffen haben. Die Aufständischen befinden sich letzten Meldungen zufolge in Mongo, einer Stadt etwa 400 Kilometer östlich von N’Djamena.

Damit ähnelt die Lage verdächtig der Ausgangssituation von Ende Jänner. Die Regierung ist geschwächt, die Rebellen sind nicht geschlagen. Frankreich und Libyen lassen keinen Zweifel daran, dass sie weiterhin das Regime Déby stützen werden. Ein politischer Ausweg ist nicht in Sicht. Die Eufor kann inzwischen nur hoffen, ein Zeitfenster ohne Kämpfe zu finden, um ihre Mission auf den Boden zu bringen. Und darauf, dass sie nicht zwischen die Fronten gerät. Denn die nächste Offensive ist nur eine Frage der Zeit.