Krisen-Mission im Tschad: Hitz-Parade

Tschad: Hitz-Parade

Was das Bundesheer bei seinem Einsatz erwartet

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Eine Wetterprognose für das kommende halbe Jahr? Es wird brüllend heiß. Über 40 Grad im Schatten sollen es diese Woche sein, und daran dürfte sich bis weit in den Frühling hinaus nicht viel ändern.

Am Himmel über dem Osten des Tschad hat sich die Regenzeit verzogen, die Wadis führen kein Wasser mehr, das weite Grasland ist wieder befahrbar. Und mit der Sonne sind auch die Pickup-Trucks zurückgekehrt, die sich in den vergangenen Monaten nur selten sehen ließen.

Die Jagdsaison hat begonnen.

Auf den Ladeflächen der Wägen sind Maschinengewehre aufgepflanzt, dahinter lümmeln Männer in abenteuerlichen Monturen. Sie halten Ausschau nach leichter Beute, und sie wissen genau, wo sie suchen müssen: in den Flüchtlingslagern entlang der Grenze zum Sudan, in denen mehr als 400.000 Menschen Zuflucht gesucht haben – vor dem Bürgerkrieg in der benachbarten Krisenregion Darfur, aber auch vor bewaffneten Auseinandersetzungen im Tschad selbst.

Man sollte meinen, dass es bei ihnen nicht viel zu holen gibt. Aber auch das Wenige ist den Jägern gut genug. Und wenn sie kein Geld oder sonstigen Besitz kriegen, dann nehmen sie sich eben die Frauen. Oder die Kinder.

Wer die Trucks fährt, ist von Fall zu Fall verschieden, im Grunde aber auch egal: Milizionäre aus dem Sudan sind um nichts schlimmer als einheimische Rebellen, marodierende Soldaten der Armee oder einfache Kriminelle.

Einen „Zustand der Gesetzlosigkeit“ bescheinigt das österreichische Außenministerium der Region, ebenso wie das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) und andere Hilfsorganisationen.

In wenigen Wochen soll Österreich dabei helfen, diesem Zustand ein Ende zu bereiten. Das Bundesheer schickt 160 Soldaten nach Zentralafrika – als Teil einer bis zu 3000 Mann umfassenden EU-Militärmission, die mit einem Mandat der Vereinten Nationen ausgestattet ist und entlang der sudanesischen Grenze im Tschad und in der südlich davon gelegenen Zentralafrikanischen Republik für Sicherheit sorgen soll. Es ist die 14. Militärmission in Afrika, an der sich das Bundesheer seit 1960 beteiligt – aber erst die zweite groß angelegte (siehe Kasten Seite rechts).

Aufmarsch. Ende November werden die ersten Österreicher, 42 Jagdkommandospezialisten, in der Stadt Abéché landen. Sie sollen gemeinsam mit den Polen Flüchtlingscamps beschützen, die rund 200 Kilometer nordöstlich in der Region um Iriba und Bahia liegen. Dann folgt der Rest der Truppe: Mediziner und Sanitäter für ein Lazarett, daneben Logistiker und Techniker. Zeitweise werden sich über 200 Bundesheersoldaten im Tschad aufhalten.

Die französische Fremdenlegion ist schon dort, sie hat vergangenes Jahr der Regierung des Tschad dabei geholfen, eine Rebellion niederzukämpfen. Die Legionäre, ohnehin nicht besonders verzärtelt, bleiben längstens vier Wochen am Stück in der Krisenzone – was nicht gerade für einfache Lebensumstände spricht.

Das klingt alles ziemlich übel, und deshalb finden es die Österreicher auch gar nicht gut. Wenig überraschend sprechen sich in Umfragen fast zwei Drittel gegen die Beteiligung Österreichs an der EU-Mission aus.

Am Freitag musste Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) deswegen dem Nationalen Sicherheitsrat Rede und Antwort stehen. Danach stimmten FPÖ und BZÖ im Parlament gegen die Mission. Wie auch die Grünen. Für deren Verteidigungssprecher Peter Pilz deutet alles darauf hin, „dass das Bundesheer im Tschad in einen Kampfeinsatz hineinläuft“.

UN-Flüchtlingshochkommissar Antonio Guterres teilt diese Einschätzung keineswegs: „Diese Truppe wird das Schlüsselinstrument für die Sicherheit der Flüchtlinge und einen effizienteren humanitären Einsatz sein“, erklärte er kürzlich.

Laut UN-Resolution 1778 soll die Mission dazu beitragen, „gefährdete Zivilisten, besonders Flüchtlinge und Vertriebene“ ebenso zu schützen wie „Mitarbeiter, Einrichtungen und Anlagen der UN“. Und sie soll humanitäre Hilfe erleichtern, indem sie die „Sicherheitslage im Operationsgebiet verbessert“.

Ein gefährlicher Einsatz? Auf jeden Fall. Der gefährlichste in der Geschichte des Bundesheeres? Wohl kaum, wenn man an jene Situation im Jahr 2002 denkt, in der Österreich nach dem Sturz der Taliban Soldaten nach Afghanistan schickte.

Wenn Militärs und Hilfsorganisationen schon selten einer Meinung sind, dann zumindest darüber, dass im Osten des Tschad kein Krieg herrscht. „Im Tschad selbst ist die Sicherheitslage nicht besonders erbaulich, aber auch nicht brandgefährlich: Sie ist auf niedrigem Niveau stabil“, sagt Generalmajor Christian Segur-Cabanac, als Leiter des Führungsstabes im Verteidigungsministerium verantwortlich für die Planung der Operation. Ähnlich Roland Schönbauer, Sprecher des UNHCR in Österreich: „Im Moment herrscht dort angespannte Ruhe“, berichtet er.

Das große Nichts. Das Gebiet, in dem die EU-Truppe in den kommenden Monaten Dienst tun wird, erstreckt sich über fast 2000 Kilometer: Der nördliche Teil, in den die Österreicher geschickt werden, gehört zur Sahelzone, also zum Übergang von der Wüste zur Savanne, weiter im Süden wird das Klima tropisch. Eines gilt für das gesamte Einsatzgebiet: Es existiert keinerlei Infrastruktur. Im gesamten Tschad, der mit knapp 1,3 Millionen Quadratkilometer Fläche mehr als 15-mal so groß ist wie Österreich, gibt es lediglich 267 Kilometer befestigte Straße. Also weniger als die Strecke Wien–Salzburg.

Was es sonst noch gibt, ist rasch aufgezählt: viel Gegend, in der sich kleine Dörfer verlieren. Nomaden mit ihren Herden. Flüchtlinge und bewaffnete Banden.

Die Region ist von zwei Konflikten geprägt, die nicht voneinander getrennt werden können – einerseits vom Krieg im Sudan, vor dem 250.000 Menschen über die Grenze nach Westen geflohen sind. „Der Hot Spot liegt immer noch in West-Darfur“, sagt Militärstratege Segur-Cabanac: Dort kommt es ständig zu Kämpfen und Überfällen.

Andererseits ist auch der Tschad selbst von einer Rebellion betroffen, die sich gegen den umstrittenen Präsidenten Idriss Déby richtet und schätzungsweise 170.000 Menschen zu Vertriebenen im eigenen Land gemacht hat. Vergangenes Jahr stießen Aufständische bis in die weit im Westen liegende Hauptstadt N’Djamena vor, unterstützt vom Sudan, mit dem der Tschad im Clinch liegt – während der Tschad wiederum die sudanesischen Rebellen gewähren lässt, die sein Territorium als Rückzugsraum verwenden.

Hinzu kommen Soldaten der regulären Armee des Tschad, die seit Monaten kein Geld mehr bekommen haben und sich ihren Sold deshalb auf andere Art und Weise beschaffen wollen.

Banden und Milizen. Egal, auf welcher Seite die Milizen stehen: Sie drangsalieren die Flüchtlinge. „In den Lagern leidet in der Regel niemand Hunger oder Durst, die medizinische Versorgung ist gewährleistet“, sagt Segur-Cabanac. „Aber die Armee und die Exekutive des Tschad sind zu schwach, um die Leute dort vor Eingriffen von außen zu schützen.“

Auch laut UNHCR-Sprecher Schönbauer ist es in der Vergangenheit immer wieder vorgekommen, dass Rebellen Kinder aus den Camps entführt haben, um sie als Kämpfer einzusetzen.

Mit diesen Banden werden es die österreichischen Soldaten wohl oder übel zu tun bekommen. Lagebeurteilungen, die profil zugänglich gemacht wurden, gehen ebenso wie die Einschätzungen westlicher Diplomaten aber nicht davon aus, dass sich die Banden bewusst mit der EU-Truppe anlegen wollen.

„Die Milizen haben weder die Ausrüstung noch die Ausbildung für gezielte militärische Aktionen“, ist Segur-Cabanac überzeugt. „Die Übergriffe im Einsatzgebiet gehen von entwurzelten Desperados aus, die nach der Strategie des günstigen Augenblicks dort zuschlagen, wo sich eine leichte Gelegenheit dazu bietet. Wir gehen davon aus, dass sie die Konfrontation mit EU-Soldaten nicht suchen, sondern ihr eher ausweichen.“ Zufällige Scharmützel seien aber durchaus möglich.

Allerdings schaffen es auch die Nachrichtendienste nicht, sich einen Überblick über die Vielzahl der bewaffneten Gruppen zu verschaffen, geschweige denn über ihre Haltung zu den Soldaten aus Europa. „Es ist unmöglich, kompetente Ansprechpartner für Verhandlungen zu finden oder zu Vereinbarungen zu kommen, die über einzelne Kleinstfraktionen hinausgehen. Und selbst diese haben dann eine äußerst geringe Haltbarkeitsdauer“, klagt ein Tschad-Fachmann aus Brüssel.

Für FPÖ, BZÖ und Grüne sind all das Gründe, den Einsatz abzulehnen. „Das Bundesheer ist nicht entsprechend vorbereitet“, sorgt sich der freiheitliche Generalsekretär Harald Vilimsky. „Dürfen wir an der Mission teilnehmen?“, fragt der Grüne Peter Pilz. „Ja, es gibt ein UN-Mandat. Sollen wir? Ja, die Mission dient dem Schutz der Flüchtlinge. Können wir? Nein, dafür fehlt sowohl die strategische als auch die operative Vorbereitung.“

Bei den Militärs herrscht hingegen Zuversicht. „Die klimatischen Bedingungen sind absolut heavy, die gesundheitlichen Gefahren nicht zu unterschätzen“, resümiert Segur-Cabanac die Problemlage abseits der Sicherheit. „Aber die Angehörigen des Jagdkommandos trainieren seit Jahren intensiv, wie man unter klimatisch extremen Bedingungen überlebt – unter anderem auch in Afrika.“

Und die Hilfsorganisationen? Wollen mit den Militärs direkt lieber nichts zu tun haben, haben aber auch nichts gegen den Einsatz. „Damit wir unseren Job tun können“, sagt UNHCR-Sprecher Roland Schönbauer, „müssen andere dort für Sicherheit sorgen.“

Von Martin Staudinger