Rat und Schläge

Türkei-Proteste: Österreich trainiert Erdogans Polizei

Türkei. Österreich trainiert Erdogans Polizei

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Absurd: Anders kann man die Situation kaum nennen, in der sich jene österreichischen Polizeitrainer, Menschenrechtsexperten und Juristen befinden, die derzeit in der Türkei tätig sind - während sie dort im Rahmen eines sogenannten EU-Twinning-Projekts 450 Exekutivbeamte in der "Vermeidung von unverhältnismäßiger Gewaltanwendung“ unterrichten, lässt die Regierung von Recep Tayyip Erdogan draußen die Protestbewegung vom Taksim-Platz mit äußerster Brutalität niederschlagen. 130.000 Tränengaspatronen haben die türkischen Sicherheitskräfte in den vergangenen drei Wochen verschossen, hunderte Demonstranten wurden verletzt, mindestens fünf getötet.

+++ Die Türken haben ihrem Regierungschef viel zu verdanken - aber auch viele Gründe, warum sie ihn jetzt loswerden wollen. +++

Die Österreicher, die einen Gegenentwurf zu dieser Vorgangsweise predigen, sind Mitarbeiter der Sicherheitsakademie und des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte. Auch das Bundeskriminalamt Wiesbaden und andere deutsche Stellen beteiligen sich an dem mit zwei Millionen Euro dotierten EU-Programm, das bereits fast zwei Jahre läuft. Derzeit ist die entscheidende Trainingsphase in Gang, die drei Monate dauert und Ende Juli enden soll.

De-Eskalationstechniken
"Die Mehrzahl der türkischen Polizisten, mit denen wir zu tun haben, sind wirklich motiviert, europäische Menschenrechtsstandards bei der Anwendung von Zwangsgewalt umzusetzen“, sagt ein österreichischer Ausbildner: "Sie zeigen sich auch ehrlich betroffen über das, was derzeit vor sich geht.“ Unter anderem entdeckten die Trainer auf einem YouTube-Video einen Projektteilnehmer, der bei einer Demonstration versuchte, gerade gelernte De-Eskalationstechniken anzuwenden. Er scheiterte dabei allerdings an seinen eigenen Kollegen, die ihn nach kurzer Zeit einfach überrannten.

+++ „Erdogan muss als Diktator bezeichnet werden” +++

„Frust herauslassen”
Die Gründe für die Gewaltexzesse der Exekutive seien vielfältig, berichtet ein Schulungsteilnehmer: "Es hapert schon an der Organisation. Die Beamten machen bis zu 120 Stunden ohne Ablösung Dienst, müssen sich währenddessen selbst mit Essen und Trinken versorgen und schlafen teilweise irgendwo am Gehsteig. Wenn es dann zu einer Konfrontation kommt, lassen sie ihren ganzen Frust heraus.“ Zudem sehe die türkische Polizei ihre Aufgabe bei Protesten in erster Linie darin, die damit verbundene Störung der öffentlichen Ruhe zu beenden - im Gegensatz zur europäischen Exekutive, die zunächst darauf bedacht sei, das Demonstrationsrecht zu ermöglichen. In den vergangenen Jahren habe die Personalpolitik des türkischen Innenministeriums auch dazu geführt, dass der Anteil der religiös geprägten Polizisten merklich gestiegen sei.

Verloren geben wollen die EU-Trainer die Türkei deswegen aber noch nicht: "Bei aller berechtigten Empörung ist doch augenfällig, dass sich die Macht weg vom Militär hin zur zivilen Polizei verschoben hat“, sagt ein Schulungsteilnehmer: "Jetzt geht es darum, die Polizei weiter zu zivilisieren. Und diesen Versuch sollte man gerade angesichts der aktuellen Ereignisse nicht aufgeben.“

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