Uganda: Leonhards liebster Aussenposten

Uganda: Pater noster

Ein Osttiroler Missionar im blutigen Herzen Afrikas

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In der Steppe des nördlichen Uganda regnet es selten, und im November regnet es eigentlich nie. Doch Pater Leonhard steht mit schwarzen Halbschuhen im roten Schlamm vor seiner Missionsstation. Die Unwetter, die seit Tagen das benachbarte Kenia überschwemmen, haben auch die Provinzhauptstadt Kotido erreicht. Trotz der schwülen 25 Grad, die sich schon am frühen Morgen breitmachen, trägt er eine dicke Strickjacke. Seit vier Jahrzehnten friert der Osttiroler im heißen Afrika.

Aus Richtung Süden ist quer durch die Regenwand Donnergrollen zu hören. Da rollt aber keine weitere Gewitterfront heran. „Wahrscheinlich bombardiert die Armee wieder ein paar Dörfer“, erklärt der Pater scheinbar ungerührt. „In den letzten beiden Wochen ist der Konflikt heftiger geworden.“

Der Konflikt ist ein ausgewachsener Bürgerkrieg, der von der Welt kaum beachtet wird. Denn die Wahrnehmungsschwelle des Westens beginnt beim Blick auf Afrika erst mit dem Völkermord. Den gab es in Uganda ganz spektakulär unter Idi Amin und gleich zweimal unter dem Regime von Milton Obote. Davon abgesehen braucht es schon besondere Schlüsselreize, die Europa oder die USA auf Schlächtereien in dieser Gegend aufmerksam machen. So ein großes Schauspiel ist dem Hauptakteur des zweiten Krieges, der in Uganda schwelt, ganz gut gelungen. Joseph Kony, ein christlicher Fanatiker und Anführer der „Lord’s Resistance Army“ (LRA), treibt, ebenfalls im Norden, seit 20 Jahren sein Unwesen, was einige hunderttausend Afrikaner das Leben gekostet hat.

Mittendrin arbeitet seit 40 Jahren der österreichische Missionar Leonhard Wiedemayr aus Sillian im Pustertal. Gemeinsam mit einer Hand voll anderer Geistlicher und christlicher Organisationen gibt er den entlegensten Winkeln des Landes jenen Rest an Stabilität, der den endgültigen moralischen und sozialen Zusammenbruch verhindert. Pater Leonhard ist jetzt 76, hat also mehr als die Hälfte seines Lebens hier verbracht. „Ich habe mir das doch nicht ausgesucht“, vermerkt er trocken. „Wir Missionare werden geschickt.“

Im Jahr 2000 brach er seine Zelte in der Hauptstadt Kampala ab und übersiedelte in den gottverlassenen Norden. Selbst der „Bradt Travel Guide“, Orientierungshilfe für die weißen Flecken der Erde, vermerkt über die Gegend zwischen Kotido und der noch weiter in Richtung der sudanesischen Grenze gelegenen Ansiedelung Kaabong: „Aus Sicherheitsgründen konnten wir unsere alten Informationen nicht auf einen neuen Stand bringen. Wir wären froh, von jemandem zu hören, der es bis dorthin schafft.“

Tatsächlich ist die Situation in diesen Tagen besonders heikel. Der mit der LRA im August geschlossene Waffenstillstand wurde mehrfach gebrochen. Doch Joseph Kony soll sich jenseits der Grenze im Kongo versteckt halten, sodass Ugandas Präsident Yoweri Museveni siegessicher ist: „Falls Kony diese Chance auf Frieden nicht nützt, macht es auch nichts. Unsere Armee kann den Frieden garantieren, egal was mit den Verhandlungen passiert.“

Diesen temporären Ruhezustand an der LRA-Front nützt die Armee freilich, um den anderen Konflikt mit besonderer Härte zu verfolgen. Pater Leonhard erzählt: „Vor zwei Wochen sind zehn Kilometer von hier 40 Soldaten und ein hoher Offizier von Nomaden getötet worden.“ Daraufhin, so hat er gehört, soll die Armee zu Vergeltungsmaßnahmen gegriffen haben. „42 Menschen in einer Schule und vier in einer Krankenstation wurden niedergemetzelt. Jetzt ist die Bevölkerung so erzürnt, dass es kein Soldat nachts lebend von einem Ende Kotidos zum anderen schaffen würde.“ Von Ende zu Ende in diesem nördlichen Hauptort sind es höchstens zwei Kilometer, für einen Soldaten zurzeit eine tödliche Entfernung.

Folter gegen Gewehre. Bei dem Kampf zwischen Musevenis Militär und der lokalen Bevölkerung geht es um 40.000 Gewehre. Sie sind in den Händen der Nomaden, die behaupten, man brauche sie, um Viehdiebe zu vertreiben. Der Diebstahl von Rindern, Schafen und Ziegen ist zwar wirklich eine Angelegenheit von großer Wichtigkeit, folgt schwer durchschaubaren Regeln und wird auch über die Grenze zu Kenia hinweg betrieben. Aber die Regierung in Kampala nimmt offensichtlich an, dass von den Waffen nicht nur eine Bedrohung für Diebe ausgeht. „Die Armee umzingelt Dörfer. Wer mit einer Waffe herumläuft, wird erschossen. Wer sich aus dem Staub machen will, wird brutal gefoltert, bis ihn seine Familie durch die Übergabe eines Gewehrs freikauft“, so der Pater. Das führe wiederum zum Import von neuem Schussgerät. Darüber hinaus würden die Dörfer von der Armee bombardiert und ausgeräuchert.

Für den Wahrheitsgehalt dieser Erzählungen gibt es abseits des Lärms von morgendlichen Detonationen weitere gute Indizien. Naka Pelimoru ist mit 12.000 Einwohnern das größte Haufendorf Ostafrikas. Die wenigen Ausländer, die sich hier jemals durch die löcherartigen Tore in den Dornenzäunen gezwängt haben, werden schnell von zwei Eindrücken erfasst. Zum einen liegt der dichte Geruch von Fäkalien über dem Gewirr der Hütten und Gehege. 12.000 Menschen benutzen die gesamte Siedlung als Latrine. Zum anderen sind nur Frauen, Kinder und alte Männer zu sehen. Ein Jugendlicher mit grellgrünem Filzhut erklärt, die restlichen Männer seien „tot oder vor den Soldaten über die Grenze geflohen“.

John Olet Watson kann mit seinen Beobachtungen das Bild vom Bürgerkrieg abrunden. Der 68-jährige hagere Herr im speckig-braunen Anzug arbeitet als Lehrer in Kotido. Die Schule wie auch ein Kindergarten wurden von der Kärntner Caritas errichtet. Es sind Projekte des legendären Kärntner Caritas-Mannes Peter Quendler. Vor Kurzem hat Quendler mithilfe des Linzer Unternehmers und Entwicklungshelfers Otto Hirsch eine Tischler- und eine Fahrzeugwerkstätte hinzugefügt. John Olet Watson berichtet, dass die Schule nachts oft als Zufluchtstätte gebraucht würde: „Die Kinder und ihre Verwandten schlafen hier, wenn ihre Dörfer unter Feuer liegen. Zuletzt war das vor zwei Wochen so.“

Pater und Bischof. Bischof Denis Kiwanuka, ein sehr freundlicher kleiner Mann, der rund um Kotido über 250.000 Gläubige wacht, kommentiert den Bürgerkrieg resignierend. Eine Spirale der Aggression: „Mir ist nicht mehr klar, wer damit angefangen hat. Es geht um die Entwaffnung der Nomaden, aber die brauchen die Waffen jetzt natürlich erst recht.“

Pater Leonhard lässt sich bei seinem Werk von all der Gewalt nicht beeindrucken. Empfindet er es als ein Opfer, sein Altenteil in einer der blutigsten Weltgegenden verbringen zu müssen? „Unsinn. Unter Idi Amin und vor allem unter Obote war das viel schlimmer.“ Wäre er nicht zumindest lieber im vergleichsweise komfortablen Kampala geblieben, wo nicht alle paar Augenblicke ein Missionar erschossen wird? Die Frage wischt er unwirsch vom Tisch: „Ich wollte genau hierher. Das ist das Herz Afrikas.“

Ein blutiges Herz. Aber es ist so weit weg von Rom und von allen andern weltlichen Autoritäten, dass niemand auf die Idee kommt, dem eigenwilligen Tiroler etwas dreinzureden. Er schmunzelt breit über das wettergegerbte Gesicht: „Ja. Hier ist der Priester der Bischof, und der Bischof ist der Papst.“

Und selbst diese Hierarchie stellt Pater Leonhard gerade auf den Kopf. Mitten im Hof seiner Missionsstation hat er einen gewaltigen Rundbau mit vierzig Meter Durchmesser hochgemauert. Noch fehlen Verputz und Inneneinrichtung. Es ist die neue Bischofskirche.

So erhält der kleine Bischof von Kotido bald das größte Gotteshaus in Norduganda. Aber er wird für seine Gottesdienste quer durch die Stadt fahren müssen, zum Haus des Paters Leonhard Wiedemayr aus Sillian im Pustertal.