Die magischen 48,7 Prozent in Umfragen

Umfragen: Die magischen 48,7 Prozent

Das Rennen wird eine verdammt knappe Sache

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Aus der Ferne betrachtet, sehen die Dinge etwas verwirrend aus. Da gewinnt John F. Kerry die TV-Debatten, holt gegenüber Amtsinhaber George W. Bush auf – und liegt dann trotzdem in den Umfragen zurück. Kleiner Trost: Aus der Nähe betrachtet, liegen die Dinge nicht viel klarer.

Wie kommt’s?
Die für Kerry alarmierendste der in den letzten Tagen veröffentlichten Umfragen ist die, die das Meinungsforschungsinstitut Gallup im Auftrag von CNN/„USA-Today“ erhob: Darin liegt Kerry acht Prozentpunkte hinter Bush. Eine Umfrage im Auftrag der „Washington Post“ hatte den Präsidenten um fünf Prozentpunkte, eine „New York Times“-Erhebung um drei Prozentpunkte vorne, die Umfrage des TV-Senders NBC und des „Wall Street Journal“ hatte die Rivalen gleichauf. Zuletzt holte Kerry in einer neuen Gallup-Erhebung leicht auf, die Differenz verringerte sich auf fünf Prozentpunkte. Der Sender ABC hatte Kerry sogar einen Punkt vorne.

Alles frisiert, sagen Kritiker. Denn die wirklichen Daten, die die Institute bei registrierten Wählern erheben, sehen ganz anders aus. Tatsächlich: In der CBS/„New York Times“-Umfrage lagen die Kandidaten Kopf an Kopf, in der der „Washington Post“ lag Bush einen Prozentpunkt, bei Gallup zwei Prozentpunkte vorne. Der Grund für die Differenz ist ein Kunstgriff: Die Institute befragen registrierte Wähler, wissen aber, dass nie all jene, die sich zuvor als Wähler eintragen ließen, am Wahltag auch wirklich zur Abstimmung gehen. Sie filtern aus diesem Kreis eine leicht geschrumpfte Gruppe, die „wahrscheinlichen Wähler“ heraus. Für diese Operation benützen sie historische Vergleichsdaten und, ja, einen kreativen Interpretationsspielraum.

Verzerrte Daten. So nimmt Gallup an, unter jenen, die sich zwar registrieren ließen, die aber doch nicht zur Wahl gingen, wären diesmal mehr Demokraten als Republikaner, eine Annahme, die von den anderen Instituten geteilt, aber weniger stark gewichtet wird. Den jüngsten historischen Vergleichsdaten entspricht dies freilich nicht: Im Jahr 2000 war es umgekehrt. Kritiker der Erhebungen monieren auch, die Daten seien verzerrt, weil bei den Telefoninterviews nur Menschen erfasst werden, die abends neben ihrem privaten Festnetzanschluss sitzen. Mobilere, Workaholics oder Wähler, die nur mehr ein Mobiltelefon besitzen, werden gar nicht erfasst.

Speziell das Gallup-Institut ist in die Kritik geraten: Traditionell den Republikanern freundlich gesonnen, rechne die Firma Bush absichtlich hoch, heißt es. Dadurch könne ein Sog zum Amtsinhaber entstehen, weil Wähler ohne starke eigene Überzeugungen gerne zu den angenommenen Siegern gehören.

Besonders schwer tun sich alle Demoskopie-Institute mit den erstmals registrierten Wählern. Das ist deshalb bedeutsam, weil es sich bei ihnen um die Bataillone John F. Kerrys handelt. In einzelnen Umfragen liegt der Herausforderer in dieser Gruppe 25 Prozentpunkte voran. Wird diese Gruppe am Wahltag eine durchschnittliche Beteiligungsrate aufweisen, oder wird sie eher besonders motiviert sein? Gesichertes Wissen gibt es darüber nicht.

Unabhängige Interpreten der vorliegenden Daten weisen auf eine andere Referenzzahl hin: auf den Anteil derer, die sagen, George W. Bush mache einen eher guten Job als Präsident. Auch diese Zahl variiert bei den einzelnen Umfragen von 45 bis 52 Prozent, der Durchschnittswert liegt bei 48,7 Prozent. Vergleicht man diese Zahl mit dem Durchschnitt jener, die angeben, sie wollen Bush wählen, so springt die Übereinstimmung der Daten ins Auge. Demnach würde Bush irgendwo zwischen 48 und 48,7 Prozent landen. Eine Zahl, die im Hinblick auf den Wahlausgang nicht sehr viel klüger macht: 48,7 Prozent können Bush zur Wiederwahl reichen, müssen aber nicht. Kurzum: Alle Daten weisen gegenwärtig auf ein Patt hin – bei den heute entschlossenen Wählern.

Ein unorthodoxes Verfahren spricht für Kerry: Bei einem Online-Voting, an dem sich 400.000 Kinder unter zwölf Jahren beteiligten, gewann John F. Kerry mit satten 57 Prozent der Stimmen. Das Verfahren sei zwar total unwissenschaftlich, aber dennoch aussagekräftig, so die Organisatoren: Kleine Kinder bieten einen unverfälschten Zugang zu den Meinungen der Eltern.

Das Resümee lautet also: Bis zum Wahltag wird sich wohl kaum plausibel prognostizieren lassen, wer gewinnen wird. Allerdings: Die traurige Erfahrung des Jahres 2000 lehrt, dass sich das bisweilen auch nach dem Wahltag nicht sicher sagen lässt.