Unkraut, Penis, Lockenwickler

Unkraut, Penis, Lockenwickler: Österreich- Pavillon bei der Kunst-Biennale

Österreich-Pavillon bei der Kunst-Biennale

Drucken

Schriftgröße

Von Nina Schedlmayer

Betritt man dieser Tage die venezianischen Giardini, so würde man nicht vermuten, dass in knapp einem Monat hier eines der bedeutendsten Kunstfestivals der Welt eröffnet wird. Ab dem 4. Juni werden sich auf der 53. Biennale Venedig neben tausenden akkreditierten Journalisten Massen von Künstlern, Kuratoren, Sammlern, Kunststudierenden, Mitarbeitern und sonstigen Kunstinteressierten tummeln, um die Ausstellungen in den zahlreichen Länderpavillons zu besichtigen. Schon seit Monaten gilt es als Kunststück, für die Zeit der Biennale-Eröffnung noch ein Zimmer in Venedig zu finden.

Doch von dem demnächst hereinbrechenden Ansturm ist in der Idylle, die hier herrscht, einstweilen nichts zu spüren. Ab und zu treten Menschen aus den Gebäuden, queren Arbeiter mit Bauteilen die Schotterwege. Stress herrscht keiner. Der österreichische Pavillon, 1934 von Josef Hoffmann erbaut, befindet sich im hintersten Winkel des Areals – der Biennale-Teilnehmer des Jahres 2005, Hans Schabus, hat seinen Beitrag folgerichtig „Das letzte Land“ genannt. Das Gras steht kniehoch, Salamander huschen über Steine, Vögel zwitschern – die Stimmung ist geradezu arkadisch. Plötzlich unterbricht das Kreischen einer Säge den Dornröschenschlaf: Vor dem „letzten Land“ zerschneidet ein Arbeiter im Blaumann gerade Bretter. Ein anderer saugt im Inneren Staub, ein Dritter steht auf einem fahrbaren Gerüst und putzt die Fenster. Vor dem Pavillon drängen sich Leitern, Werkbänke, Böcke, Bretter und Holzlatten.

Dieses Jahr wird Venedigs Österreich-Gebäude von der 38-jährigen Elke Krystufek, der drei Jahre älteren Dorit Margreiter sowie Franziska und Lois Weinberger, geboren 1953 und 1947, bespielt – und die Medien ihrer Kunst könnten unterschiedlicher kaum sein: Elke Krystufek malt, Dorit Margreiter macht Filme, und die Weinbergers beschäftigen sich im weitesten Sinn skulptural mit Pflanzen. Nominiert wurden die vier von der Kunsthistorikerin Silvia Eibl-mayr – die bis Ende 2008 verdienstvolle ­Leiterin der Innsbrucker Galerie im Taxispalais war – und der Künstlerin Valie ­Export, deren feministisch-medienkritische Arbeiten zu den bedeutendsten Positionen öster­reichischer Kunst des 20. Jahrhunderts ­zählen.

Wild und kunstlos. Der Pavillon wurde strikt geteilt: Im rechten Flügel logiert Elke ­Krystufek, im linken sind es Dorit Margreiter und die Weinbergers, die zudem eine Installation außerhalb des Gebäudes aufgebaut haben. „Wichtig war die klare räumliche Trennung, in der sich die drei unterschiedlichen Ansätze zeigen“, erklärt Eiblmayr: Tatsächlich sind Elke Krystufeks konzeptuelle Malerei und Dorit Margreiters Bewegtbildarbeiten der Kunst der Weinbergers fern, „die hier mit der Situation in den Giardini interagieren“, wie Eiblmayr meint. Das Biennale-Werk von Lois und Franziska Weinberger (Titel: „Laubreise“), die erst seit 2003 offiziell als Künstlerpaar auftreten, ist bereits weit gediehen: In einem Holzbau verbirgt sich ein Objekt, das nach dem Willen der Künstler bis zur Eröffnung streng geheim bleiben soll. Auf einem Schild steht in Druckbuchstaben „Ruderal Society“: Mit den Ruderalpflanzen beschäftigt sich das Duo schon lange; der Begriff leitet sich vom lateinischen „rudis“ ab, was „wild“ und „kunstlos“ bedeutet – er bezeichnet die „Underdogs der Pflanzengesellschaften, die auf Schotter und Ödland wachsen, also das, was man landläufig Unkraut nennt“, stellt Franziska Weinberger fest.

Das Paar legt Hand an: Mit gelben Gummihandschuhen und Rechen ausgestattet, schaffen die Weinbergers Pflanzenabfall weg – Teile jener Zierhecken, die soeben mit der Kettensäge entfernt wurden. In ihrem Teil des Pavillons haben die beiden bereits eine kleine, aber dichte Ausstellung aufgebaut. Da sind etwa die frühen „Fundstücke“ von Lois Weinberger zu sehen: ein Ast, der so aufgestellt ist, dass er wie eine voranschreitende Figur aussieht. Oder die Fotografie einer Straße, auf der Pflanzen den Asphalt völlig aufgebrochen haben. Und auch die Bilddokumente einer „Home Voodoo“-Aktion, in deren Rahmen sie mit Ritualen unterschiedlicher Religionen ironisch experimentierten. „Hier zeigen wir unsere Beschäftigung mit der Mythologie, mit der Volkskunst, der Religion, aber auch mit politischen Themen“, erläutert Franziska Weinberger, während ihr Mann, auf eine Kiste gestützt, hinzufügt: „Damit wollen wir die Verbindung zur Arbeit draußen herstellen.“ Einige kleinere neue Werke haben sie eigens für die Biennale produziert – etwa den Aluminiumabguss eines Holzstücks, das von einem Biber abgenagt wurde.

In striktem Gegensatz zur präzise austarierten Kabinettausstellung der Weinbergers herrscht in Elke Krystufeks Flügel fröhliches Chaos. Farbtuben, Stühle, Werkzeugkoffer, Fotografien, Zeitungen, Kübel, Glühbirnen, Handschuhe und eine nicht geringe Anzahl von noch in Luftpolsterfolie verpackten Gemälden: Hier sieht es aus wie in einem Atelier, und nichts anderes ist dieser Pavillon-Flügel derzeit auch. Die Künstlerin steht auf einer Leiter, sie hat soeben begonnen, eine Glasfront zu bemalen. Sie setzt einen lila Strich – zehn Minuten später wird schon eine beträchtliche Fläche mit Farbe bedeckt sein, am nächsten Tag die ganze Front. Trotz ihrer imposanten Produktivität wirkt Krystufek entspannt.

Tabu-Pavillon. Krystufek hat für Venedig, und das gilt Anfang des 21. Jahrhunderts noch immer als Sensation, eine ganze Reihe männlicher Akte gemalt – immer wieder nach demselben Modell: ein schöner junger Mann, der mit wehendem dunklem Haar und großen, manchmal starren Augen aus dem Bild blickt. Die Malerei tritt über die Ränder der Leinwand auf die Mauer, wird von gepinselten Texten ergänzt. Als eine ­Inspirationsquelle für ihre Arbeit führt ­Krystufek das Südseemelodram „Tabu“ des deutschen Regisseurs Friedrich Wilhelm Murnau an. Mit dem titelgebenden Wort hat sie den Schriftzug „Austria“ auf der Fassade ersetzt, den Österreich-­Pavillon also kurzerhand in einen „Tabu-Pavillon“ verwandelt.

In seinem Film setze Murnau immer wieder „nackte Männerkörper überaus erotisch ins Bild“, meint die ehemalige Skandalkünstlerin fasziniert. Als sie sich auf Recherche in Sachen Männerakte begeben habe, sei ihr aufgefallen, „dass es in der Kunstgeschichte ganz wenige Künstlerinnen gibt, die den heterosexuellen Mann abbilden“. Vom Foto-shooting mit ihrem Modell berichtet sie: „Es gab keine geplanten Positionen – mich hat interessiert, was passiert, wenn ich die Kamera in die Hand nehme, welche Ausschnitte entstehen.“ Und mit einem verschmitzten Lächeln setzt sie nach: „Es gibt auch Bilder, wo der Penis an der Bildkante abgeschnitten ist.“

Krystufeks Malerei ist unmittelbar, wild, direkt, breitet sich bis zum Plafond aus. Dort, im Durchgang des Pavillons, stößt sie auf den Saal, in dem Margreiter ihren Film präsentieren wird. Im Vergleich zum temporären Studio ihrer Kollegin wirkt dieser richtiggehend klinisch. Zwischen den monumentalen Bögen ragt ein großer weißer Kubus hoch, der eine minimalistische Skulptur sein könnte, sich jedoch als Behältnis für einen großen Filmprojektor entpuppt. Das Innere des Raums, den Margreiter gemeinsam mit der Architektin Gabu Heindl gestaltet hat, ist zur Gänze in Grau getaucht: graue Wände, grauer Boden, graue Leinwand.

Auf die große Fläche soll Margreiters Film projiziert werden, den sie im Februar gedreht hat. Eine Arbeit über den Pavillon selbst wurde es, der für Margreiter, „überspitzt formuliert, so etwas wie ein historisches Gartenhaus“, ein „Hybrid zwischen Ausstellungsraum, Skulptur und Architekturmodell“ darstellt: „Er ist offen und entspricht überhaupt nicht zeitgenössischen Ausstellungsbedingungen, schon aufgrund der klimatischen Situation.“ In ihrem Schwarz-Weiß-Film fährt die Kamera durch das Gebäude, gibt jedoch kein korrektes Bild davon wieder. Elemente wie Kugeln oder Sockel – sie könnten schlichte Kunstwerke ebenso wie Bühnenelemente sein – tauchen auf; eine Performerin posiert in üppiger Federboa, die auch aus der Zeit stammen könnte, in der Josef Hoffmann seine Biennale-Architektur plante; eine andere prüft, angetan mit riesigen Lockenwicklern, ihr Make-up in einem Spiegel. Es ist, als bereiteten sie sich auf einen Auftritt vor, doch „gleichzeitig sind die Gesten so überspitzt, dass man sieht, dass sie inszeniert sind“, so Margreiter. Zur Eröffnung muss sie nur noch den Film im Projektor einrichten. Bis dahin bleibt der Raum grau und kühl.

Margreiter, die in nüchterner Klarheit an ihre Themen herangeht; Krystufek, die ihr Publikum mit ausdrucksstarker Malerei überwältigt; Franziska und Lois Weinberger, die Prozesse in der Natur beobachten. Die Auswahl, die Eiblmayr und Export getroffen haben, wurde bereits mehr als einmal als „unentschlossen“ kritisiert. Doch es ist vielleicht gerade deren vermeintliche Entscheidungsschwäche, die nichts anderes als den Pluralismus gegenwärtiger Kunstproduktion reflektiert.