„Diese verdammten weißen Arschlöcher in Washington”

US-Shutdown: „Diese verdammten weißen Arschlöcher in Washington”

US-Shutdown. Ein Land sperrt zu

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Die South Bronx, im Herbst der Unsicherheit: "Entschuldige, darf ich dich was fragen?“ "Klar.“ "Stimmt es, dass die Regierung zugesperrt hat?“ "Ja, das stimmt.“ "Und was heißt das?“ "Das heißt zum Beispiel, dass die Nationalparks geschlossen sind, im ganzen Land. Und dass niemand mehr bestimmte Denkmäler besuchen kann. Oder die Museen, um die sich die Regierung kümmert. Oder dass …“ "Okay, okay. Aber betrifft das irgendwie mich und meine Schule? Dort haben sie heute alle darüber geredet.“ "Nein, die betrifft es nicht … da bin ich mir ziemlich sicher.“

A., die 15-jährige Tochter meiner Freundin, sitzt in ihrem Zimmer und schaut mich komisch an, sagt aber nichts mehr. Ich stelle das Radio in der Küche an. Wie erwartet dreht sich auf WNYC, dem lokalen Ableger des öffentlich-rechtlichen National Public Radio (eine Art Ö1 minus klassische Musik), alles um den "Shutdown“ und um die politischen Kämpfe unten in der Hauptstadt Washington.

Ich gehe ins Kinderzimmer und drücke ihr das Radio in die Hand: "Wenn du wissen willst, um was es geht, hör einfach zu.“ Keine zwei Minuten später klopft es an der Tür. "Danke. Aber ich glaube nicht, dass ich das verstehe“, sagt A. und gibt mir den Apparat zurück: "Jeder redet darüber, wie furchtbar das alles ist, aber offenbar geht mich das trotzdem alles nichts an.“

Soweit es ihren Alltag betrifft, hat A. recht. Draußen vor der Tür ist alles wie immer. Die U-Bahn und der Schulbus fahren, die Lehrer unterrichten, die Postler tragen die Briefe aus. Die Müllabfuhr kommt, die Straßenprediger schreien und die Polizisten greifen sich beliebig Leute vom Gehsteig und durchsuchen sie nach Waffen und Drogen. Business as usual auf den Straßen der größten Stadt Amerikas. Ich überlege, ob ich auf www.usa.gov gehen soll, die offizielle Website der Regierung, auf der alle Informationen über den Ausfall der öffentlichen Dienstleistungen aufgelistet sind, um ihr genau zeigen zu können, was los ist. Aber A. ist längst wieder am Weg zurück ins Kinderzimmer.

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Am nächsten Abend kommen zwei Bekannte meiner Freundin auf Besuch. F. und S., beide Anfang 40, leben seit ein paar Jahren in der kleinen Stadt Greenville, North Carolina. Verschlagen hat es sie dorthin, weil sie irgendwann die Kreditraten für ihr Haus im Süden Floridas nicht mehr zahlen konnten. Nette Menschen, auch wenn sie vielleicht einmal zu oft betonen, dass sie "nur ganz einfache Leute vom Land“ auf Besuch in der großen Stadt sind.

Ihre Fahrt zur Freiheitsstatue ist ausgefallen, weil die Fähre wegen des Shutdowns außer Betrieb ist: "Und das alles nur wegen dieses Packs, dessen Krankenversicherung von meinen Steuern bezahlt wird. Unfassbar“, sagt F.

Die beiden sind Hardcore-Republikaner. Sie jagen und fischen, glauben an Gott und dass Nixon ein guter Präsident war. Entsprechend halte ich mich zurück und versuche es, statt sie stante pede rauszuschmeißen, auf die Linke: "Ja wirklich, eine Sauerei. Diese ganzen armen Leute, die es sich plötzlich leisten können, zum Arzt zu gehen, wenn sie krank sind. Eine Tragödie. Dieses Land geht den Bach hinunter.“

Nachdem sie den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden haben, entwickelt sich eine heftige, aber im Ton zivilisierte Diskussion mit klar verteilten Rollen: besserwisserischer europäischer Pseudointellektueller gegen sich ihrer Sache gewisse, aber schlecht informierte Rednecks.

Wenn man ihnen länger zuhört, erkennt man weniger an ihren Argumenten als an ihrer Sprache, daran, welche Worte sie zur Beschreibung des Casus Belli verwenden, wo sie sich ihre "Informationen“ holen. Es ist der Duktus des reaktionären Senders Fox News, dessen Moderatoren den "Shutdown“ lieber "Slimdown“ nennen - und als harte, aber gesunde Abmagerungskur verkaufen, die den Amerikanern endlich klarmache, wie überflüssig viele öffentliche Dienstleistungen seien.

"Gerade jetzt sieht man doch, wie viel Geld verschwendet wird. Okay, die Freiheitsstatue ist geschlossen. Aber sonst? Merkt irgendeiner was davon, dass große Teile der Regierung nicht mehr arbeiten?“, fragt F.

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Meine Freundin ist 37 Jahre alt und ein Kind New York Citys. Sie ist hier geboren, in den Kindergarten und in die Schule gegangen, hier hat sie geheiratet und die ersten zwei ihrer drei Kinder bekommen; hier hat sie sich scheiden lassen und hier arbeitet sie, als Versicherungsagentin auf der Upper West Side.

Am zweiten Tag des Shutdowns frage ich sie, ob sie in ihrem Job und in ihrer Familie etwas von der Krise merkt. "Machst du Scherze?“, fragt sie und setzt den gleichen Blick auf wie tags zuvor ihre ältere Tochter: "Wenn’s nur der Job wäre. Heute hat mich mein verrückter Onkel angerufen. Der hat Angst, dass sie ihm seine Pension einfrieren.“

Warum? Das Militär ist doch nicht vom Shutdown betroffen?

"Ja, ich weiß. Aber er hat Angst, dass das nicht mehr lange so bleiben wird und er dann seine Autoversicherung nicht mehr bezahlen kann. Ich hab ihm gesagt, dass er sich keine Sorgen machen soll. Aber du kennst ihn ja. Er war kaum zu beruhigen.“

Unter den an auffälligen Charakteren nicht eben armen Verwandten der Familie meiner Freundin ist C. der Auffälligste. Davon, dass er in Vietnam einmal über 24 Stunden lang unter einem Berg von Leichen Schutz vor dem Vietcong suchen musste, hat sich sein Geist nie mehr wirklich erholt. Wieder zuhause, fand C. Arbeit als Polizist. Dass er fast immer zu spät zur Arbeit kam, weil ihm nachts die Alpträume das Hirn zerfetzten, sah ihm das Department nach. Seit ihm ein paar Drogendealer aus Brooklyn den Unterleib mit einem halben Dutzend Kugeln perforiert haben, kassiert C. nicht nur Veteranen-, sondern auch Polizeipension. Ein Haufen Geld, rund 5000 Dollar im Monat, die er zunächst für alle erdenklichen und unerdenklichen Arten von Betäubungsmitteln verpulverte - worauf er auf der Straße landete.

Jetzt lebt er in einem Veteranenheim in Yonkers, einer knapp vor der nördlichen Stadtgrenze New Yorks gelegenen Kleinstadt, und führt ein halbwegs geordnetes Leben, dank von der Regierung bezahlter Unterstützung in Form von Kost, Logis und Medikamenten.

"Hast du C. gefragt, wie er die Sache mit dem Shutdown so im Allgemeinen sieht?“, frage ich meine Freundin. Wieder schaut sie mich an, als ob ich nicht ganz dicht wäre. "Na, was glaubst du, wem er die Schuld gibt? Er hat gesagt:, Wenn diese verdammten weißen Arschlöcher in D. C. nicht bald mit diesem Scheißdreck aufhören, dann knallt’s. Und zwar wirklich.‘“

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Weil meine Freundin von neun Uhr morgens bis sieben Uhr abends arbeitet und die Highschool ihre Schüler um vier entlässt, liegt es wochentags an mir, die jüngere Tochter von der Schule in Spanish Harlem abzuholen. Eine der neuen, sogenannten Charter Schools: formal private Schulen, die aber von der Stadt massiv subventioniert werden, weshalb praktisch kein Schulgeld anfällt und deren Lehrer angewiesen sind, nach dem gleichen Lehrplan zu unterrichten wie die öffentlichen Schulen.

In der Elternmenge, die sich täglich vor dem Seiteneingang versammelt, um ihre Kinder abzuholen, sind wir in der Regel die einzigen weißen Gesichter. Die Mutter einer Klassenkameradin meiner Stieftochter fragt mich: "Weißt du, was da grade in Washington passiert?“ "Ja“, sage ich, "ich denke schon.“ "Weißt du, was mit meinen Social Security Checks passiert?“ Von hinten mischt sich die Mutter eines Burschen aus der Parallelklasse ein. "Mach dir keine Sorgen“, sagt sie: "Was du im TV siehst, ist alles nur Panikmache. Obama wird sich darum kümmern.“

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"Das Problem ist ganz einfach“, sagt D.: "Solange die Leute die Folgen des Shutdowns nicht im eigenen Geldbeutel spüren, ist er ihnen scheißegal.“

D. ist nicht nur mein ältester, sondern auch der mit Abstand schönste Kumpel in jenem überschaubaren Kreis von Menschen in New York, die zu meinen echten Freunden zählen. 1,90 groß, Muskeln wie ein Stier, kahlgeschoren und schwarz wie die Nacht finster, dank vieler (unter teilweise nicht näher geklärten Umständen) an Orten wie Moskau, Seoul und Kathmandu verbrachter Jahre so lebenserfahren wie polyglott. D. hat einen College-Abschluss und arbeitet als Barkeeper in drei verschiedenen Fünf-Sterne-Hotels in Midtown und Lower Manhattan, schichtweise. Jeden Tag beginnt er um neun Uhr morgens, und er arbeitet in der Regel bis zwei, drei Uhr früh. Mindestens. Dank des Trinkgelds, das ihm seine Klientel liegen lässt, macht er ungefähr das Doppelte von dem, was die Lehrer in den Schulen meiner Stieftöchter verdienen.

"Ich hoffe, dass der ganze Wahnsinn so lange wie möglich dauert und sie alles kaputt machen. Bis die Regierung die Rechnungen nicht mehr bezahlen kann und uns der Arsch wirklich auf Grundeis geht“, sagt D.

Im Ernst?

"Bro’“, sagt D.: "Das ist Amerika. Bis die Leute hier aufwachen, muss der Karren erst einmal richtig an die Wand fahren.“

Klaus Stimeder lebt und arbeitet als freier Autor in New York City.