US-Wahlen: Bush in der Bredouille

Bangen wegen Irak-Chaos und Terror-Diskussion

Drucken

Schriftgröße

Am Tag nachdem Saddam im vergangenen Dezember aus dem Erdloch nahe seiner Heimatstadt Tikrit herausgeholt wurde, besprach James Harding, ein Journalist der „Financial Times“, im Hauptquartier der US-Truppen in Bagdad mit einem hohen amerikanischen Regierungsbeamten den politischen Terminplan für das Jahr 2004.

Die Synchronisierung der Irak-Politik mit der Wahlkampagne von George W. Bush war gut geplant: Im Februar, wenn die Vorwahl der Demokraten in vollem Gang wären, würde ein „Fundamental Law“ unterschrieben werden, das den Weg des Zwischenstromlandes zurück zur Souveränität vorzeichnen sollte.

Dann im März, so der Bush-Mann in Bagdad, wenn der demokratische Präsidentschaftskandidat feststünde, würde ein irakisch-amerikanisches Abkommen über den Rückzug der amerikanischen Truppen unterzeichnet werden: Schnell sollte dann die Anzahl der US-Soldaten im Irak von 120.000 auf wenige zehntausend Mann gesenkt werden. Und schließlich Ende Juni – kurz vor den demokratischen und republikanischen Parteikonventen – würde die US-Besetzung beendet, das vom Diktator befreite Land in die Unabhängigkeit entlassen und auf den Weg der Freiheit und Prosperität gebracht werden. Der Wiederwahl von George W. Bush stünde nichts mehr im Wege.

Der Plan war gut, nur aufgegangen ist er nicht. Der Irak versinkt in Chaos. Die Gewalt, die anfangs von Plünderern, frustrierten Anhängern Saddam Husseins und Terroristen in der Art der al-Qa’ida ausging, verbreitet sich zunehmend und droht langsam den Charakter eines Volksaufstandes gegen die Besatzung anzunehmen. Und am Ende des blutigsten Monats der irakischen Nachkriegszeit verlangen die amerikanischen Militärs mehr und nicht weniger Truppen am Golf.

Zwar hält die US-Regierung weiter daran fest, die Macht am 30. Juni „den Irakern“ zu übergeben. Unklar bleibt, wie das passieren soll, wer „die Iraker“ sind und ob die Menschen im Land eine Regierung, die von Ausländern installiert, eine Wirtschaft, die von US-Dollars angetrieben, und einen Staat, der nach wie vor von US-Truppen kontrolliert wird, akzeptieren.

Phrasen. Die Perspektive der US-Politik im Irak kann diffuser und unklarer nicht sein. Und sechs Monate vor den Wahlen sinken die Umfragewerte für den Präsidenten. In der Mehrzahl der Meinungsbefragungen liegt er knapp hinter seinem demokratischen Herausforderer John Kerry. Die republikanischen Wahlkampfstrategen konnten sich noch einige Zeit trösten: Wahlentscheidend sei der Irak ohnehin nicht. Auf die Frage, was das wichtigste Problem in den USA sei, antworteten noch vergangenes Jahr nur neun Prozent: der Krieg am Golf. Jetzt freilich sind es bereits 17 Prozent.

Und offensichtlich hat vor allem Bushs Glaubwürdigkeit als souveräner Kriegsherr beim Kampf gegen den Terrorismus gelitten. Bereits in den Monaten nach den Septemberanschlägen hatte Bushs innepolitischer Chefberater und Consigliere Karl Rove angekündigt, der Präsident werde den Wahlkampf 2004 als erfolgreicher Oberbefehlshaber eines groß angelegten „Kriegs gegen den Terrorismus“ führen.

Seit den sensationellen Anschuldigungen von Richard Clarke, Bushs ehemaligem Koordinator der Terrorbekämpfung, aber haben sich die Zweifel an der Kompetenz des Präsidenten und seines Teams verstärkt. Bush, so Clarkes Hauptvorwurf, habe die „Dringlichkeit der Bekämpfung von al-Qa’ida nicht erkannt“, mithin seien wertvolle Monate vor den Septemberanschlägen vergangen, ohne dass das Weiße Haus die sich mehrenden Anzeichen einer großen Attacke ernst genommen habe.

Nur Wochen vor den Massenmorden in New York und Washington war der Präsident am 6. August 2001 in einem CIA-Memorandum mit der Überschrift „Bin Laden entschlossen, in den Vereinigten Staaten anzugreifen“ gewarnt worden, aktive al-Qa’ida-Zellen befänden sich bereits im Land. Bushs Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice wies Clarkes Vorwürfe zwar zurück, doch ihr Auftritt vor jener vom Kongress eingesetzten Kommission, welche die Ursachen des Versagens der Sicherheits- und Geheimdienste im Vorfeld des 11. September aufklären soll, überzeugt nicht. So hatte Rice unter anderem behauptet, das CIA-Memorandum habe nur „historische Informationen“ enthalten.

Gerieten die Anhörungen vor der Kommission der vergangenen zwei Wochen bereits zu einem politischen Problem für Bush, so verstärkte die Eskalation des Aufstands im Irak den Eindruck, der Präsident habe die Kontrolle über die Ereignisse verloren und reagiere nur mehr.

Derart politisch angeschlagen, beraumte das Weiße Haus eine Pressekonferenz an – erst die zwölfte des Präsidenten, der solche Veranstaltungen hasst; gar erst die dritte, die zur Prime Time live ausgestrahlt wurde.

Es sieht nicht so aus, als ob ihm sein Rendezvous mit den Medien beim Publikum sehr geholfen hat. Er wiederholte in kräftigen, kurzen Sätzen die Prinzipien, die hinter seiner Politik im Irak und seinem Kampf gegen den Terrorismus stehen, weigerte sich aber standhaft zuzugeben, dass er Fehler gemacht hätte, und war nicht in der Lage zu erklären, wie er sein Ziel eines freien und stabilen Irak erreichen will.

Die Rezensionen in den Medien, die George W. Bush lange Zeit mit harter Kritik geschont hatten, waren keinesfalls begeistert. Vor allem wurde moniert, er dresche seine allgemeinen Phrasen, die man schon aus der Zeit vor dem Krieg gegen Saddam kennt, aber wenn es um konkrete Fragen seiner Politik gehe, dann bleibe er die Antwort schuldig.

So macht sich die „Washington Post“ über Bushs oft geäußerte und auf der Pressekonferenz wieder vorgebrachte Versicherung: „Wenn ich etwas sage, meine ich das auch“, lustig: „Niemand hat gerufen: Und wann sagen Sie etwas? Das Pressecorps des Weißen Hauses hat zu gute Manieren für so einen Zwischenruf – aber einige Reporter und einige Zuseher müssen sich das gedacht haben.“

Nahost-Schwenk. Auf die Frage, ob er die Truppen im Irak aufstocken werde, sagte er, das müssten die Generäle vor Ort entscheiden. Auf die Frage, wie lange die US-Streitkräfte am Golf bleiben werden, erwiderte er: „So lang wie nötig, aber keinen Tag länger.“ Auf die Frage, wem die Macht am 30. Juni übergeben werden sollte, verwies er auf die Arbeit von Lakhdar Brahimi, dem Irak-Beauftragten der UN, der eine irakische Koalition zusammenzustellen versucht, die von allen Fraktionen im Irak akzeptiert wird.

Hart ging Joseph Biden jr., der prominente demokratische Senator, mit dem Präsidenten ins Gericht: „Hinter Bushs Plattitüden, mit denen jeder Amerikaner übereinstimmt, ist keine Spur eines Plans zu erkennen, wie wir unsere Ziele im Irak erreichen können.“ Und Biden spricht dem Präsidenten unmittelbar nach der Pressekonferenz die Führungsqualität ab: „Dieser Typ entscheidet einfach nicht: Er wartet auf den General, der ihm sagen soll, ob er mehr Truppen braucht. Er wartet auf Brahimi. Der soll ihm sagen, wem er im Irak die Macht übergeben soll. Und er wartet auf die Vereinten Nationen, die ihm sagen sollen, ob er eine neue Sicherheitsratsresolution braucht.“

Und plötzlich taucht auch in den Mainstream-Medien wieder ein Thema auf, das für lange Zeit nicht mehr angesprochen wurde: Bushs mangelnde sprachliche Kompetenz (siehe Kasten nächste Seite) und die Frage, ob der Republikaner aus Texas dem Amt intellektuell überhaupt gewachsen ist.

Das Bild des Präsidenten mit Entscheidungsschwäche wurde einen Tag nach der Pressekonferenz noch verstärkt. Da traf Bush mit dem israelischen Premierminister Ariel Scharon im Weißen Haus zusammen – und übernahm vollständig dessen Sicht der Dinge im Nahen Osten. Er gab vor allem die Zustimmung für den Plan Sharons, große Teile des besetzten Westjordanlands zu annektieren. In einigen Kommentaren amerikanischer Zeitungen wurde gefragt, ob sich Bush nun von Jerusalem seine Nahost-Politik diktieren lässt.

Unmittelbar freilich dürfte der Schwenk in der Nahost-Politik Bush wahlstrategisch nützen. Damit, so wird analysiert, befriedige er die christliche Rechte, die fanatisch proisraelisch ist. Er hält die Israel-Lobby, die den Rechtskurs Scharons unterstützt, bei der Stange und kann im jüdischen Wählerreservoir fischen, das traditionell zu neunzig Prozent demokratisch wählt. Mittelbar freilich verringert er durch seinen Schulterschluss mit Scharon die Chancen, den Irak doch noch zu stabilisieren. Die arabische Welt ist jedenfalls empört. Und auch die Europäer, die ihm aus dem irakischen Schlamassel helfen könnten, sind über den neuerlichen Alleingang Bushs – diesmal in der Nahost-Politik – zutiefst verärgert.

Kerrys Schwäche. Sosehr sich Bush und sein Wahlkampf in einer prekären Lage befinden, ganz so katastrophal sieht die Lage auf den zweiten Blick dann doch noch nicht aus. Die Kollision seiner Wahlstrategie mit seiner Irak-Politik ist so dramatisch nicht, wie man angesichts der furchtbaren Bilder aus Bagdad, Fallujah und Najaf annehmen würde, die jeden Abend über die amerikanischen Bildschirme flimmern: Immerhin liegen Bush und John F. Kerry, sein Kontrahent von den Demokraten, ungefähr gleichauf. Und noch sieht eine Mehrheit der Amerikaner in ihrem Präsidenten einen effektiven Kämpfer gegen den Terrorismus.

Übermäßig stark konnte Kerry von Bushs Irak-Malaise bislang nicht profitieren – nicht zuletzt, weil er selbst seinerzeit im Senat für die Ermächtigung des Präsidenten gestimmt hat, die Nation in den Krieg gegen Saddam zu führen. Aber nicht nur deshalb: „Kerry kann Bush nicht wichtige Wechselwähler überlassen, indem er, wie seinerzeit Howard Dean (der Linkspopulist in den demokratischen Vorwahlen, Anm.), dafür plädiert, die Soldaten nach Hause zu bringen“, analysiert Ivo Daalder, ein prominenter Intellektueller und ehemaliger Clinton-Berater. „Das würde Kerry den Ruf der Unverantwortlichkeit einbringen.“

So einfache und eingängige Slogans wie „Bring our boys home“, die seinerzeit so erfolgreich in der Anti-Vietnam-Bewegung wirkten, zu verwenden ist Kerry versagt. Wenn vergangene Woche das Pentagon zugeben musste, dass im Irak mehr US-Soldaten gebraucht werden, dann kann Kerry dagegen nicht opponieren.

Dass nun etwa 20.000 Mann, die schon ein Jahr am Golf stationiert sind, entgegen den ursprünglichen Planungen weitere drei Monate im Irak bleiben müssen, ist allerdings für Kerry eine gute Nachricht. Die amerikanischen Militärangehörigen – 1,4 Millionen im aktiven Dienst – und ihre Familien tendieren traditionellerweise zur amerikanischen Rechten. Zwei Drittel von ihnen wählen republikanisch. Daran könnte sich einiges ändern.

Zwar laufen die Soldaten nicht in Scharen zu den Demokraten über. Aber mehrere Dutzend Soldatenfamilien, von denen einige um ihre im Irak gefallenen Söhne, Brüder und Väter trauern, protestierten vergangene Woche medienwirksam vor dem Weißen Haus gegen die Politik von G. W. Bush. Das drückt, so wird vielfach reportiert, ein allgemeines Gefühl der Frustration in der amerikanischen Armee aus.

Sosehr, von außen betrachtet, der amtierende Präsident sich eindeutig auf der Verliererstraße befindet, so unübersichtlich bleibt dennoch die politische Gemengelage. Zwar ist es in Zeiten des Krieges nicht mehr so einfach wie zuvor, als der Slogan der Clinton-Wahlwerbung Anfang der neunziger Jahre, „It’s the economy, stupid“, galt. Aber die Wirtschaftslage hat dennoch maßgeblichen Einfluss auf das Wahlverhalten. Und da kann Bush ein wenig Hoffnung schöpfen. Lange wurde der US-Wirtschaftsaufschwung als „jobless growth“ bezeichnet, als Wachstum, das keine Arbeitsplätze schafft. Die Zahlen von März zeigen aber erstmals, dass sich auch auf dem Arbeitsmarkt etwas tut. Angeblich entstanden im Vormonat 300.000 neue Jobs. Das ist zwar noch nicht viel, verglichen mit den etwa 2,5 Millionen in den vergangenen Jahren verlorenen Arbeitsplätzen. Aber immerhin ein Anfang. Ob aber die Wähler bis zum Urnengang bemerken, dass es einfacher geworden ist, Arbeit zu finden, ist nicht sicher.

Eine freilich ist gewiss: Auch wenn Bush das Rennen doch noch machen sollte: Als strahlender Kriegsherr, als den ihn seine Spindoktoren präsentieren wollten, wird der Republikaner wohl nicht ins Weiße Haus wieder einziehen.