US-Wahlkampf

US-Wahlkampf: Die Visionen des George W.

Die Visionen des George W.

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Im Weißen Haus strotzen sie jetzt wieder vor Selbstbewusstsein und Siegeszuversicht: Toll hat er das gemacht, der Karl. „Karl ist ganz schön umtriebig dieser Tage“, meint ein hoher Beamter der Bush-Regierung. „Ich weiß gar nicht, wie er das schafft.“ Karl Rove, Mastermind unter den Bush-Strategen, von dem es heißt, er sei der Genialste aller Spin-Doktoren, hat wieder einmal ganz brillant an den Strippen gezogen – davon sind jedenfalls alle fix überzeugt.

Dem Geraune zufolge lässt sich die Geschichte etwa so erzählen: Während sich die Präsidentschaftsaspiranten der Demokraten im Vorwahlstress zunehmend nervös gegenseitig ans Leder gehen, versucht Rove den Amtsinhaber als Visionär zu positionieren, der über kleinliches Parteigezänk präsidial erhaben ist. Und weil die Wählerschaft entlang der Parteigrenzen schroff in zwei Teile gespalten ist, „müssen wir über ein wichtiges Ziel unserer Nation sprechen, das groß genug ist, um die Menschen zusammenzuführen“, meint ein Präsidentenberater. Es war also ein Thema gesucht, um die paar Wechselwähler zwischen den großen politischen Lagern auf die Seite des Präsidenten zu ziehen.

„Think Big“ war somit die Parole der vergangenen Monate; eine regelrechte Utopie sollte es sein, mit welcher der US-Präsident in das Wahljahr starten kann.

Seit vergangener Woche kennt die Welt diese Utopie, mit der die US-Wählerschaft elektrisiert werden soll. Für George W. Bush war es nur ein kleiner Schritt auf die Bühne im NASA-Hauptquartier in Washington, doch er versprach einen kühnen, großen Schritt für die Menschheit. Bis zum Jahr 2020 soll eine US-Raumkolonie am Mond entstehen, von der aus dann „die Welten dahinter“ erobert werden sollen. Ehrgeiziges Ziel: eine bemannte Mars-Mission, in vielleicht schon 25, 30 Jahren. „Es ist Zeit für die nächsten Schritte“, verkündete der Präsident in visionärem Tonfall.

Technisch möglich ist das Projekt vermutlich. Wie sinnvoll die bemannte Raumfahrt im Roboterzeitalter ist und wie realistisch der Plan zur Errichtung einer Mondkolonie sowie zum Start einer Mars-Mission mit den vergleichsweise eher bescheidenen finanziellen Mitteln, die nun zur Verfügung gestellt werden, ist freilich eine andere Frage.

Begeisterungs-Faktor. Hauptsächlich will der Präsident wohl die menschliche Eroberungs- und Abenteuerlust wecken, um jenen Optimismus zu inspirieren, der den Amerikanern zwischen Terrorwarnungen und den täglichen Nachrichten von der Irak-Malaise beinahe schon verloren gegangen schien. Ein Ziel, für das sich alle begeistern können, soll den miesepetrigen Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen. Das Muster hat übrigens Geschichte: Schon John F. Kennedy verkündete das Ziel, zum Mond zu fliegen, kurz nach der kläglich gescheiterten Invasion in der kubanischen Schweinebucht.

Diesmal also soll es zum Mars gehen. Dass der Planet nach dem römischen Gott des Krieges benannt ist, dürfte nur eine zufällige, aber trotzdem bemerkenswerte Koinzidenz sein.

Wenige Tage vor der letzten „Rede zur Lage der Nation“ seiner ersten Amtszeit, welche George W. Bush diese Woche vor einer gemeinsamen Versammlung von Senat und Kongress halten wird, ist der Präsident in einer recht komfortablen Position. Er geht ziemlich unangefochten ins Wahljahr – seit der spektakulären Gefangennahme Saddam Husseins melden die Meinungsforschungsinstitute wieder stabile Werte für Bush. 54 Prozent der Amerikaner sind derzeit mit seiner Amtsführung zufrieden, wie eine Umfrage des Nachrichtenmagazins „Newsweek“ ergab. (Eine repräsentative Befragung im Auftrag von CNN und USA Today kam gar auf 59 Prozent.) 70 Prozent der Amerikaner unterstützen die Politik der Regierung im Zusammenhang mit dem „Krieg gegen den Terror“. Dagegen liegen die Demokraten in praktisch allen innenpolitischen Kompetenzbereichen voran – bei den Themen Wirtschaft, Budget und Steuern ebenso wie bei Fragen der Bildungspolitik.

Würde heute gewählt, würde Bush gegen Howard Dean, dem zurzeit favorisierten Bewerber der Demokraten, mit 51 zu 43 Prozent reüssieren.

Wie aussagekräftig die Zahlen tatsächlich sind, ist jedoch umstritten. Dass Bush mehr als zehn Monate vor den Wahlen einen deutlichen Vorsprung vor seinen Konkurrenten aufweist, die ihren nationalen Bekanntheitsgrad erst langsam aufbauen, ist nicht verwunderlich. Und wie sehr der Irak-Krieg und die Außenpolitik die Wahl beeinflussen werden, ist unklar. Die letzte Präsidentenwahl, die während eines Kriegs stattfand, liegt immerhin schon 32 Jahre zurück. Damals, 1972, gewann Richard Nixon, obwohl der Vietnamkrieg höchst unpopulär war. Traditionell pflegen die Amerikaner aber ohnedies gemäß innenpolitischer Erwägungen zu votieren. Diesmal könnte dies freilich anders sein: Noch nie waren außenpolitische Herausforderungen und innere Bedrohungen so verschränkt wie heute, im Zeitalter globalisierten Terrors. Eine Konstellation, für die es schlicht kein Präjudiz gibt.

Neue Diplomatie.Eine Reihe jener Länder, die von Washington dem Reich der Schurkenstaaten zugeschlagen werden, sandte jüngst teils spektakuläre, teils subtile Verständigungssignale. Besonders radikal war die Kehrtwende von Libyens Machthaber Muammar Gaddafi, der mit den Worten, es gehe um „den Aufbau einer Welt frei von Massenvernichtungswaffen“, das Ende aller umstrittenen Waffenprogramme seines Landes annoncierte – und internationalen Inspektoren die Türen öffnete. Auch Nordkorea stellte ein Ende seines Nuklearprogramms in Aussicht und gestattete US-Inspektoren den Zutritt zu seinen Atomanlagen. Ähnliche Signale kommen aus Teheran. Und Syriens Staatschef Bashar al-Assad lässt seit seinem jüngsten Türkei-Besuch wieder Entspannungssehnsucht erkennen – nicht nur gegenüber Washington, sondern sogar gegenüber Israel.

Haben sich die harte Linie und die Invasion des Irak also doch ausgezahlt? Die Entschlossenheit, mit der die US-Kriegsplaner Saddam Hussein von der Macht vertrieben haben, hat anderen übel beleumundeten Regimen eindeutig zu erkennen gegeben, dass man Uncle Sam ein bisschen ernster zu nehmen hat als bisher, räumen jetzt auch Analytiker ein, die Bush bisher eher kritisch gegenüberstanden. Indem sie ein Regime wegräumten, von dem sich jetzt herausstellt, dass es über keine Massenvernichtungswaffen verfügte, zwangen die Amerikaner Potentaten zur Kooperation, die erwiesenermaßen solche Waffensysteme in ihrem Arsenal haben – nach solch schräger Logik kann die internationale Politik bisweilen funktionieren.

Ganz verstummen will die Kritik an der Außenpolitik von George W. Bush dadurch natürlich nicht. Dass für den „Krieg gegen den Terror“, der eine Auseinandersetzung mit transnationalen Djihad-Zellen ist, die Invasion im Irak ein Bärendienst war, wird jetzt sogar in einer Studie des War College des US-Verteidigungsministeriums eingestanden (siehe Kasten). Libyen, Nordkorea, der Iran und Syrien waren auch vor dem Irak-Krieg längst auf die Verbesserung der Beziehungen zum Westen aus – die Irak-Krise habe, so wenden Bush-Kritiker ein, diesen Prozess eher gestört als gefördert. Um zu erreichen, was auch auf diplomatischem Wege erreicht werden hätte können, habe die US-Regierung die westliche Allianz, die Vereinten Nationen und das internationale Recht unterminiert – eine Erfolgsstory sei das nicht. „Ein paar gute Nachrichten entschuldigen nicht diese unehrliche, verantwortungslose Art zu regieren“, kritisiert der renommierte Ökonom und Publizist Paul Krugman in der „New York Times“.

Doch wie auch immer die Deutungen kontrastieren mögen, die außenpolitische Großwetterlage hat sich für George W. Bush merklich verbessert. Seit der Gefangennahme von Saddam Hussein haben die Amerikaner das Gefühl, dass es auch im Irak aufwärts geht, auch wenn die Angriffe auf US-Soldaten nur geringfügig zurückgegangen sind – jüngst wurde der 495. US-Soldat im Irak getötet.

Längst hat sich, zunächst unbemerkt, das Konzept der Bush-Außenpolitik verändert. Die Regierung setzt wieder auf Diplomatie. Der Durchbruch in den Beziehungen zu Libyen wurde gemeinsam mit der britischen Regierung ermöglicht. Alles klar gemacht hat dann ein 30-minütiges Telefonat, das Tony Blair, gewiss nicht ohne das Einverständnis von Bush, mit Gaddafi geführt hat. Auch im Verhältnis mit Nordkorea dürfte mehr über vertrauliche Kommunikationskanäle als über Drohgebärden laufen. „Es ist die Macht der Realität, die sie zu diesem Wandel gezwungen hat“, sagt Anatol Lieven vom Washingtoner Carnegie Endowment, einem angesehenen, liberalen Think Tank. Auch Colin Powell ist wieder häufiger zu sehen.

Bush soft. Dahinter steht freilich auch Wahlstrategie. Solange die US-Truppen im Irak gebunden sind, ist an einen neuen, spektakulären Krieg ohnehin nicht zu denken. Siege wird es im Wahljahr für Bush höchstens auf diplomatischer Ebene geben – es sei denn, es gelänge, nach Saddam Hussein auch noch Osama Bin Laden zu fangen. Außerdem versuchen sich Präsidenten am Ende ihrer ersten Periode praktisch immer in der politischen Mitte zu positionieren. Wer drei Jahre radikal regiert hat, bemüht sich vor der Wahl, ein wenig „soft“ zu erscheinen. Das hat schon Ronald Reagan vorexerziert, der nach drei Jahren Kalte-Kriegs-Politik 1984 auf eine „Morning in America“-Kampagne – „Morgenröte in Amerika“ – setzte, in der wenig von konkreter Politik, dafür viel von Begeisterung für eine rosige Zukunft die Rede war; mit durchschlagendem Erfolg.

Bush wird, wenn er wiedergewählt werden will, ebenso auf Image, Stimmung und Gefühl setzen müssen, wie es der begnadete Polit-Schauspieler Reagan getan hat. Dass die Wirtschaftsentwicklung zeitgerecht Unterstützung liefert, darauf kann Bush sich nicht verlassen. Gerade eben kamen vom Arbeitsmarkt eher schockierende Nachrichten. Weil die Konjunktur im dritten Quartal des Vorjahres wieder angesprungen war, war allgemein eine leise Entspannung der Jobkrise erwartet worden. 130.000 neue Jobs dürften entstanden sein, war von Wall-Street-Analysten geschätzt worden. Tatsächlich sind im Dezember netto nur 1000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen worden. Der Dollar fiel nach dieser Hiobsbotschaft auf ein Rekordtief gegenüber dem Euro.

So ist nicht zu erwarten, dass Bush am Ende des Jahres auf der Welle eines neuen Aufschwungs zu einem leichten Sieg getragen wird. Umso raffinierter muss er in der politischen Mitte um die Wechselwähler kämpfen. Und er wird sich, darauf deuten alle Äußerungen aus dem inneren Kreis der Bush-Administration hin, wieder mehr als Mann des Friedens zu positionieren versuchen.

Gefüllte Kasse. Jedenfalls geht Bush mit deutlichen Vorteilen ins Wahljahr. Sein vielleicht größter: Für seine Kriegskasse hat er derweil 120 Millionen Dollar gesammelt. Howard Dean, der unter den Demokraten der am besten gepolsterte Kandidat ist, verfügt nur über etwas mehr als 40 Millionen – und die wird er auch noch zum Großteil für die heftige Vorwahlkampagne ausgeben müssen.

Im Wahlkampf selbst wird es dann um jeden Dollar gehen – und buchstäblich um jede Stimme, wie die Demoskopen ausführen. Seit Jahrzehnten ist die „Loyalität der amerikanischen Wähler zu Demokraten und Republikanern beinahe perfekt aufgeteilt“, wie der New Yorker Kampagnenprofi Stanley Greenberg formuliert. „Es herrscht praktisch ein Patt.“ Bei der letzten Präsidentenwahl ist dies besonders augenfällig zu beobachten gewesen: Vor vier Jahren stimmten 50.992.897 Amerikaner für den Demokraten Al Gore und 50.458.002 US-Bürger für George Bush. Auch heute liegen, fragt man nicht nach den Sympathiewerten der Akteure, sondern nach politischen Präferenzen, die beiden Parteien praktisch gleichauf.

Wer in dem derart gespaltenen Amerika am Ende die Nase vorn haben will, der muss im Wahljahr weite Wege gehen.

Wenn nötig, bis zum Mars.