Zuallererst möchte ich Gott danken, begann George Allen, Virginias republikanischer Senator, das Eingeständnis seiner Niederlage gegen den Demokraten Jim Webb am vergangenen Donnerstagnachmittag, fast zwei Tage nach dem Schließen der Wahllokale. Er sprach damit wohl aus, was die Mehrzahl der Amerikaner, ob religiös oder nicht, im selben Moment dachte: Gott sei Dank! Gott sei Dank, dass der Anfang vom Ende der Ära George W. Bush endlich gekommen ist.
Die Demokratische Partei hat den Republikanern die Kontrolle über beide Kammern des Kongresses entrissen. Dank (vorläufig) 29 hinzugewonnener Sitze im Repräsentantenhaus und weiterer sechs im Senat verfügen sie nun über eine doppelte Mehrheit. Und seit Langem wieder stellen sie nach dem Zugewinn von sechs Gouverneuren die Mehrheit der obersten politischen Repräsentanten in den Bundesstaaten.
Zwölf Jahre nach ihrer monumentalen Niederlage gegen die Republikaner 1994 unter Präsident Bill Clinton und sechs Jahre nach dem Amtsantritt von George W. Bush können die Demokraten wieder die Politik mitgestalten und vor allem Präsident Bush daran hindern, in den letzten beiden Jahren seiner Amtszeit noch größeren Schaden anzurichten.
Die Welle der Erleichterung, die dieser Tage durch amerikanische Haushalte und nicht nur durch demokratische schwappte, war fast physisch spürbar. Vielleicht, so die Hoffnung vieler, wissen die Demokraten ja einen Ausweg aus dem Fiasko im Irak.
Der Wahlabend hatte sich wieder ewig hingezogen: Die Fernsehsender hüteten sich peinlich vor verfrühten Siegesmeldungen, die Zuseher unterdrückten den Jubel lang. Allzu frisch sind vor allem bei den Demokraten die Erinnerungen an die vergangenen Präsidentschaftswahlen: 2000 hatte Al Gore wie der sichere Gewinner ausgesehen, bevor sich Bush mithilfe der Gerichte die Präsidentschaft sicherte. Und 2004 wiesen Nachwahlbefragungen auf einen deutlichen Sieg von John Kerry hin was die Enttäuschung über Bushs Wiederwahl am Ende umso herber machte.
Doch diesmal hat das Volk sich knapp, aber unmissverständlich für die Demokraten ausgesprochen und ihnen ein Ergebnis beschert, das vor wenigen Monaten mathematisch noch unmöglich schien. Die berühmten Checks and Balances, die Kontrollmechanismen der amerikanischen Demokratie, scheinen endlich zu greifen. Unter demokratischer Führung kann sich der Kongress wieder vom mächtigsten Weißen Haus seit Richard Nixon emanzipieren: George W. Bush hatte Repräsentantenhaus und Senat in seiner Präsidentschaft zu einer Versammlung von Abnickern und Jasagern degradiert.
Tracht Prügel. Als Senator Allen auf eine Neuauszählung des knappen Rennens in Virginia verzichtete und damit das Schicksal der Republikaner endgültig besiegelte, hatte Präsident Bush die Niederlage seiner Partei längst eingeräumt. Schon tags zuvor war er im Ostflügel des Weißen Hauses vor die Presse getreten und hatte in verblüffender Offenheit über die Tracht Prügel gesprochen, die er bezogen hatte: Ich trage einen großen Teil der Verantwortung. Und er fügte hinzu: Eigentlich dachte ich, dass wir uns gut schlagen würden. Das zeigt, wie viel Ahnung ich habe.
Die Freude in der Demokratischen Partei ist groß. Ein historischer Tag, jubilierte Nancy Pelosi, die nun als erste Frau Sprecherin des Repräsentantenhauses werden wird (siehe Kasten Seite 102). Solche Tage hatten wir in den letzten zwölf Jahren nicht oft, strahlte auch Howard Dean, der Vorsitzende des demokratischen Nationalkomitees.
Das Trauma von 1994 sitzt bei den Demokraten noch tief. Seit den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatte die linkere der beiden amerikanischen Großparteien praktisch ununterbrochen beide Kammern des Kongresses kontrolliert, nur im Präsidentenamt wechselten sich Republikaner und Demokraten regelmäßig ab. Doch dann, zwei Jahre nach dem Amtsantritt von Bill Clinton, erschien Newt Gingrich mit einem konservativen Erneuerungsprogramm, dem Vertrag mit Amerika, auf der Bildfläche und schwemmte die trägen und korrupten demokratischen Mehrheiten aus dem Kongress.
Korruption und Irak. Im folgenden Jahrzehnt eilte das weiße Vorstadtamerika, ideologisch geeint und religiös inspiriert, im Kampf gegen Multikulturalismus und Werteverfall, gegen gottlosen Säkularismus und liberale Richter von Wahlsieg zu Wahlsieg. Nach Bushs Wiederwahl 2004 träumten die Vordenker der Republikaner gar schon von einer permanenten Mehrheit, einer Hegemonie, die Jahre oder Jahrzehnte währen würde.
Doch schneller, als sie dachte, scheiterte die konservative Bewegung an sich selbst: Nicht weniger als 15 republikanische Abgeordnete waren in den vergangenen Monaten in Korruptionsskandale und andere Affären verwickelt, einige von ihnen sitzen inzwischen im Gefängnis. Die Demokraten haben nicht gewonnen. Die Republikaner haben verloren, sagte vergangene Woche Tom DeLay, der ehemalige Führer der Republikaner im Repräsentantenhaus, der nach einer Anklage wegen Geldwäsche zurücktreten musste. Laut Wählerbefragungen spielte die Korruption beim letztwöchigen Wahlgang eine ebenso große Rolle wie der Irak-Krieg. Und wem beides nicht reichte, der fand genügend andere Gründe, gegen die Republikaner zu stimmen: die rasant steigenden Kosten für Krankenversorgung, das explodierende Budgetdefizit, die Untergrabung der Bürgerrechte oder die Inkompetenz der Regierung beim Hurrikan Katrina im Vorjahr.
Den Demokraten ist der Sieg in den Schoß gefallen wie eine überreife Frucht, nach der sie sich zuvor vergeblich gestreckt hatten. Sie mussten gar nicht erst eine überzeugende Alternativstrategie für den Irak-Krieg entwickeln die haben sie genauso wenig wie die Republikaner. Mit großer Vorsicht und Behutsamkeit machen sich Nancy Pelosi und Co nun daran, die Gesetzgebung zu übernehmen. Wir wurden nicht gewählt, um Revanche zu nehmen, betonte Pelosi in den Tagen nach der Wahl immer wieder. Die Demokraten unterdrücken jede Häme, es dominieren staatstragende Ansagen und Appelle an nationale Geschlossenheit und Zusammenarbeit.
Ein Amtsenthebungsverfahren gegen Bush, wie es sich die demokratische Basis sehnlich wünscht, schließt die demokratische Führung von vornherein aus. Stattdessen will Pelosi schon in den ersten hundert Sitzungsstunden des neuen Kongresses Anfang Jänner 2007 eine ganze Reihe von wenig kontroversiellen Gesetzesentwürfen beschließen lassen von einem verpflichtenden Budgetausgleich über eine Erhöhung des schon lange eingefrorenen Mindestlohns bis zur Implementierung der Empfehlungen der 9/11-Kommission. Statt das Land nach links zu führen, wollen die Demokraten erst einmal zurück in die Mitte. Das sind alles moderate, ja fast konservative Vorschläge, meint James Thurber, Politikwissenschafter an der American University in Washington.
Peinlich für Bush. Der Grund für die Zurückhaltung der Demokraten sind die Präsidentschaftswahlen 2008. Bis dahin müssen sie konstruktive Arbeit vorweisen können: Eine totale Blockade von Präsident Bush käme bei den Wählern nicht gut an. Mit ihrer doppelten Mehrheit können die Demokraten nun Gesetzesvorschläge auf Präsident Bushs Schreibtisch legen, sagt Thurber.
Auch von ihrem zweiten Druckmittel, der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen, wollen die Demokraten nur gezielt Gebrauch machen, um ihre Glaubwürdigkeit nicht zu verspielen. Die Republikaner haben auf dieses Recht praktisch vollständig verzichtet und Bush freie Hand gelassen. Zu einigen aufklärungswürdigen Themen etwa zur Auftragsvergabe beim irakischen Wiederaufbau tragen die Demokraten bereits Material zusammen. Das wird für Bush sehr peinlich werden, prophezeit Thurber.
Auch wenn Bushs Spielraum in den letzten zwei Jahren seiner Amtszeit stark eingeschränkt sein wird noch ist er nicht abzuschreiben. Schon am Tag nach den Kongresswahlen überraschte er das ganze Land mit dem Rücktritt seines umstrittenen Verteidigungsministers Donald Rumsfeld (siehe Kasten Seite 101) und riss damit die Initiative wieder an sich.
Rumsfeld ist kein simples Bauernopfer: Seit Wochen bereitet die Bush-Administration einen längst überfälligen Kurswechsel im Irak vor. Der Präsident greift dabei auf das außenpolitische Team seines Vaters George H. W. Bush zurück frei nach dem Motto Der Papa wirds schon richten, insinuiert die scharfzüngige Maureen Dowd in der New York Times.
Schon im Frühjahr beauftragte die Regierung die zehnköpfige Iraq Study Group rund um Bush seniors ehemaligen Außenminister James Baker damit, alternative Strategien für den Irak zu entwickeln. Der Bericht wird erst in einigen Wochen der Öffentlichkeit präsentiert, gerüchteweise soll er aber zwei Optionen enthalten: Die erste, Stabilität zuerst, sieht laut Medienberichten vor, die Aufständischen in die irakische Politik einzubinden sowie Verhandlungen mit dem Iran und Syrien aufzunehmen. Die zweite, Umgruppieren und Eindämmen, soll einen Rückzug der US-Truppen in Basen außerhalb des Irak vorschlagen, von wo sie bei Bedarf schnell wieder eingreifen können.
Erwarteter Schwenk. Bob Gates, Bush seniors CIA-Chef und Bush juniors neuer Verteidigungsminister, war von Beginn an Mitglied der Iraq Study Group. Im Gegensatz zu Rumsfeld ist von ihm kein Widerstand bei der Umsetzung der Baker-Empfehlungen zu erwarten. Gates selbst hat schon im Jahr 2004 direkte Verhandlungen mit dem iranischen Erzfeind gefordert.
Der radikale Schwenk von den hochtrabenden Ideen der Neokonservativen hin zum nüchternen Realismus von Bush seniors alten Haudegen kündigt sich auch schon in der Wortwahl von Bush junior an: Seit Ende August spricht er nicht mehr vom Kurshalten im Irak, und auch alle Verweise auf einen demokratischen Irak sind jenen auf einen stabilen Irak gewichen.
Kann sich der Präsident also in den letzten zwei Jahren seiner Amtszeit noch neu erfinden, um sich einen halbwegs würdigen Platz in den Geschichtsbüchern zu sichern? Wird er ernsthaft mit den Demokraten zusammenarbeiten, wie er das bei der Erhöhung des Mindestlohns und bei der Reform der Einwanderungsgesetze bereits in Aussicht gestellt hat?
Das ist nicht mein erstes Rodeo, sagte Bush bei seiner Pressekonferenz am vergangenen Mittwoch. Es ist in jedem Fall sein letztes.
Von Sebastian Heinzel, New York