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USA: Die Wut der Demokraten

Die Wut der Demokraten

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Joe Rhames hatte soeben ein demokratisches Parteitreffen des Landkreises Albemarle im Herzen des amerikanischen Bundesstaats Virginia besucht. Rhames, ein demokratischer Aktivist und Linksliberaler, war erstaunt, wie aufgebracht das Parteivolk gewesen war. Alles habe die Versammelten aufgeregt: die Person Bush, die Republikaner insgesamt, der Kurs der amerikanischen Außen- wie Wirtschaftspolitik. „Sie haben unseren Präsidenten wegen Lewinsky angeklagt, sie haben uns die Präsidentschaftswahl 2000 gestohlen, sie haben diesen Krieg im Irak angezettelt – jetzt reicht es“, beschrieb Rhames den überschäumenden Zorn des demokratischen Fußvolks.

In der Tat: An der Basis der ältesten Partei der Welt brodelt es seit geraumer Zeit; längst haben die Getreuen die Nase voll vom vorsichtigen Taktieren, von der politischen Geschmeidigkeit der Parteioberen im Washingtoner Kongress. Tiefe Verachtung empfinden sie für George W. Bush und seinen radikalen Konservatismus. Und ihr Mann der Stunde ist Howard Dean, Ex-Gouverneur des neuenglischen Kleinstaats Vermont, jetzt einer der neun demokratischen Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur der Partei.

Mit seinen markigen Attacken auf den republikanischen Präsidenten und seiner resoluten Ablehnung von Bushs Irak-Feldzug hat Dean eine latente Stimmung in der Partei getroffen, und wenn er bei demokratischen Parteiversammlungen behauptet, „den demokratischen Flügel der Demokratischen Partei“ zu vertreten, brandet ihm tosender Beifall entgegen – und verdeckt doch nur, wie innerlich zerstritten und ruderlos die Partei ist. „Ich gehöre keiner organisierten Partei an, ich bin Demokrat“, hatte einst der amerikanische Komödiant Will Rodgers über die Partei Thomas Jeffersons und Andrew Jacksons gewitzelt.

Dabei ist es geblieben, vor allem jetzt, da der linke – oder „progressive“ – Flügel verlangt, Amerikas Demokraten hätten sich gefälligst auf ihre Seele zu besinnen. Denn stets habe sich die für den „kleinen Mann“ verströmt, so wie es der große Franklin Roosevelt eben vorgemacht hatte. Dass Roosevelt den „Durchschnittsmann“ gegen die „Prinzen des Privateigentums“ verteidigte oder dass er wie Harry Truman, sein Nachfolger im Präsidentenamt, einen Populismus spezifisch amerikanischer Prägung verkörperte, rührt zwar ans demokratische Herz – aber nicht Arbeiter und verarmte Bauern gilt es heute zu fangen, sondern die postindustriellen Bewohner von Suburbia.

Zerriebene Partei. Zudem war Roosevelts und Trumans Demokratische Partei noch nicht von den Erdbeben der sechziger Jahre heimgesucht worden. Verärgert über schwarze Bürgerrechte und von den Republikanern mit subtilen rassistischen Losungen geködert, verließen weiße Wähler im amerikanischen Süden die Partei in Scharen. Lyndon B. Johnson hatte es kommen sehen: „Ich glaube, wir haben den Süden soeben den Republikanern ausgehändigt“, schwante dem Präsidenten, nachdem er 1964 die Bürgerrechtsgesetze unterzeichnet und damit afroamerikanischer Gleichberechtigung den Weg bereitet hatte.

Die Partei wurde förmlich zerrieben: Einerseits verlor sie weiße Südstaatler, andererseits scherte sie unter dem Druck von Gegenkultur, Vietnamkriegsgegnern und Feministinnen so weit nach links aus, dass ihr Präsidentschaftskandidat George McGovern bei den Präsidentschaftswahlen 1972 eine verheerende Schlappe erlitt. Nicht anders war es der Republikanischen Partei 1964 ergangen, als ihr rechtsradikaler Präsidentschaftskandidat Barry Goldwater massiv gegen Lyndon B. Johnson verlor.

Doch aus seiner vernichtenden Niederlage erhob sich wie ein Phönix aus der Asche ein neuer republikanischer Konservatismus, scharf, militant und voller Ideen zur Umgestaltung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Besonders mit gesellschaftspolitischen Themen wie dem Recht auf Schusswaffenbesitz, aber auch mit Frontalangriffen auf die seit 1973 verbriefte Abtreibungsfreiheit oder wüsten Ausfällen gegen Homosexualität und Pornografie spalteten Ronald Reagans Vordenker endgültig die historische demokratische Koalition Franklin Roosevelts: Weiße Arbeiter in den Industriestaaten des Mittleren Westens, so genannte „Reagan-Demokraten“, folgten den Südstaatlern aus der Partei; als elitär, unpatriotisch und obendrein als Verfechter einer Umverteilung zugunsten schwarzer Wohlfahrtsempfänger empfanden sie die Demokraten.
Der politische Diskurs, seit den dreißiger Jahren eine Domäne der Partei, wandelte sich fundamental, angetrieben von republikanischen Denkfabriken und neuen Medien in republikanischer Hand. Roosevelts New Deal mitsamt dem Staat war passé, in Mode kam Ronald Reagans Behauptung, der Staat sei nicht die Lösung, sondern das Problem. Und während sich Washingtons Kongressdemokraten an die politischen Spielregeln hielten, drosch die zusehends selbstbewusste Republikanische Partei rabiat auf alles ein, was als „links“ verschrien wurde.

Auch im politischen Alltag wurde man handgreiflich: Mal hintertrieben Nixons Schergen insgeheim Lyndon B. Johnsons Friedensverhandlungen mit Nordvietnam, mal wurde ins demokratische Parteihauptquartier im Washingtoner Watergate eingebrochen, mal fischte Ronald Reagans Wahlkampfmanager und späterer CIA-Direktor Bill Casey im Trüben, als während des Wahlkampfs 1980 in Teheran amerikanische Geiseln festgehalten wurden. Vor der Präsidentschaftswahl 1988 verkündete der republikanische Chefstratege Lee Atwater, man werde dem demokratischen Kandidaten Mike Dukakis „die Rinde abschälen“, worauf Dukakis in einer Schlammschlacht sondergleichen eingedampft wurde.

Linke Kaperung. Schon im Wahlkampf 1992 tasteten sich republikanische Schmutzfinken ins außereheliche Liebesleben Bill Clintons vor und versuchten den verhassten demokratischen Kandidaten als extrem kopulierenden Lebemann anzuschwärzen, ehe sie 1998 den Lewinsky-Skandal anzettelten und Clinton damit fast zu Fall brachten. Insgesamt erwiesen sich die republikanischen Raubeine als Jiu-Jitsu-Fighter der Extraklasse, denen die eher zimperlichen Demokraten ein ums andere Mal nicht gewachsen waren – so zuletzt bei dem Wahldebakel 2000 in Florida, als republikanische Rollkommandos in Miami eine Nachzählung der Stimmen verhindern wollten.

„Manche Leute lassen sich eben gern ficken“, hatte einst der demokratische Kongressabgeordnete Jack Brooks die fatale Tendenz seiner Partei charakterisiert, sich vom politischen Gegner allzu oft die Butter vom Brot nehmen zu lassen. Damit, so fordern viele Aktivisten, soll nun Schluss sein. Mit Blick auf den vielerorts verhassten George W. Bush gelüstet es sie nach einer Politik des „Auge um Auge, Zahn um Zahn“.
Vorher allerdings müsste sich der demokratische Haufen erst einmal zusammenraufen. „Wir veranstalten endlos geschwätzige Konferenzen über die ‚Zukunft der Demokratischen Partei‘, bevor wir auseinander gehen und tun, was immer wir wollen“, lamentiert etwa Bill Clintons ehemaliger Arbeitsminister Robert Reich. Längst sind die verbliebenen Südstaaten-Demokraten und das zersprengte Häuflein von Mandatsträgern in der Rocky-Mountain-Region zum Problemfall für die Partei geworden. Da sie in konservativen Bundesstaaten und Wahlkreisen kandidieren, betätigen sie sich als Bremser; ein Ruck nach links könnte sie ihre Ämter kosten.

Als ideologische Heimat der Gemäßigten gilt das „Democratic Leadership Council“ (DLC), das sich seit Mitte der achtziger Jahre mit einigem Erfolg daran versucht, die Partei strikt in der politischen Mitte und damit auf einem wirtschaftsfreundlichen Kurs zu halten. „Die Demokratische Partei“, mahnte kürzlich Senator Evan Bayh, ein DLC-Mitglied, „hat eine wichtige Wahl zu treffen: Wollen wir lästern, oder wollen wir regieren?“ So verstört hat die Partei-Moderaten inzwischen der Erfolg Howard Deans und das Gezeter der Basis, dass DLC-Chef Al From sogar vor einer „Kaperung“ der Partei durch die Linke warnte.

„Wir können nicht nur die wahren Gläubigen ansprechen“, argumentiert der DLC-Vordenker Will Marshall. Überzeugen müsse man vielmehr „Wechselwähler, die momentan vielleicht nicht planen, einen Demokraten zu wählen“. Im Klartext: Die Partei solle weniger über Bush meckern und ja nicht über die Kriegspolitik des Präsidenten oder seine Steuersenkungen herfallen. Genau das aber ist für die Parteilinke unannehmbar, denn wenn die Demokraten wie Republikaner daherkämen, entschieden sich die Wähler allemal fürs Original.

Zuerst ungläubig, dann mit wachsendem Ärger hatten progressive Demokraten verfolgt, wie viele demokratische Senatoren und Abgeordnete den sozial äußerst ungerechten Steuersenkungen des Präsidenten durch den Kongress verholfen hatten, um dann sogar den Krieg gegen Saddam abzusegnen – ohne dass sich derlei Entgegenkommen bei den Kongresswahlen 2002 ausgezahlt hätte. Im Gegenteil: Der Versuch, das leidige Thema Irak so schnell wie möglich vom Tisch zu bringen und sich sodann im Wahlkampf traditionellen demokratischen Themen wie Renten oder Bildung zuzuwenden, geriet zu einem Rohrkrepierer und bescherte der Partei eine unrühmliche Niederlage.

Scharfe Töne. Das DLC und den von Moderaten als Präsidentschaftskandidat favorisierten Senator Joe Lieberman – Al Gores Vizepräsidentschaftskandidat – focht der Reinfall allerdings nicht an: Die Partei, dozierte Lieberman, müsse „genau in der Mitte“ marschieren. Nur so, verkündet das DLC, ließen sich Clintons Siege bei zwei Präsidentschaftswahlen wiederholen. „Es gibt einige in der Partei, die uns in die Zeit vor Clinton zurückführen wollen, solche, die es ablehnen, aus Clintons Erfolg die Lehren zu ziehen“, bezichtigt DLC-Impresario Al From das gegnerische Lager.

Die Parteilinke hält dagegen, dass Clinton, weil ein überaus begabter Politiker, ein Sonderfall gewesen sei. Außerdem habe die Partei in der Clinton-Ära sowohl die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses verloren als auch zahlreiche Gouverneursposten und Mandate in den Bundesstaaten. Auch sei, so das Argument mancher Progressiver, Clinton gegen einen moderaten Republikaner wie George Bush senior angetreten und habe deshalb einen moderaten Wahlkampf führen können. Der jüngere Bush hingegen sei ein radikaler Konservativer, was eine radikale demokratische Antwort verlange.

Während das DLC Kassandrarufe ausstößt und eine krachende Niederlage im November 2004 befürchtet, gärt es im linken Parteiflügel. Es gebe eine Sammlungsbewegung „von Kräften, die versuchen, die progressive Tradition in der Demokratischen Partei wiederzuerwecken“, freut sich der linke Parteistratege Eric Hauser. Frontal wollen Hauser und seine Mitstreiter den Republikaner Bush angehen und unter anderem Bushs Steuersenkungen rückgängig machen, um damit eine umfassende Reform des Gesundheitswesens zu bezahlen und so das Problem von mittlerweile 45 Millionen unversicherten Amerikanern aus der Welt zu schaffen.
Howard Dean spricht ihnen aus der Seele, wenn er in neuen TV-Spots darauf verweist, er sei „gegen den Krieg im Irak gewesen, als viele Demokraten diesen Krieg befürworteten“, weil er eine Außenpolitik wolle, „die sich mit amerikanischen Werten deckt“. Unter dem Druck der Parteibasis, die bei den internen Vorwahlen den demokratischen Präsidentschaftskandidaten küren wird, haben auch andere Kandidaten im Feld der neun den Ton verschärft. Und obschon Senator Lieberman bei nationalen Umfragen gut im Rennen liegt, werden ihm in den vielleicht entscheidenden Vorwahlstaaten Iowa und New Hampshire kaum Chancen eingeräumt: zu vorsichtig, zu sehr ein Befürworter des Irak-Krieges, zu wenig brachial.

Eher könnte Senator John Kerry reüssieren, wenngleich auch er den Krieg ursprünglich unterstützte. Zwar ist nicht völlig auszuschließen, dass sich Hillary Clinton, fraglos der Liebling der Partei, zu einer Kandidatur 2004 überreden ließe. Antreten würde die Senatorin jedoch nur, wenn George W. Bushs Umfragewerte bald – und erheblich! – unter die 50-Prozent-Marke fielen. Denn Hillary rüstet sich für die Wahl 2008, weshalb ihr denkbar ungelegen käme, wenn 2004 ein Demokrat gewänne.

Im Moment ist jedenfalls Howard Dean der Star unter den Kandidaten; er schaufelt Wahlkampfspenden, er verfügt über eine Armee von Freiwilligen in wichtigen Vorwahlstaaten und betört vor allem jene Demokraten, die George W. Bush am liebsten auf den Mond schießen möchten. Sollte der Arzt aus Vermont gegen Bush kandidieren dürfen und die von Moderaten und Washingtoner Insidern befürchtete Mega-Niederlage erleiden, könnte die Demokratische Partei sich endlich dort finden, wo die Republikaner 1964 standen: vor einer grundlegenden Erneuerung infolge einer epochalen Niederlage.