US-Demokraten: Hillzilla gegen Obambi

USA: Hillzilla gegen Obambi

Das Duell entwickelt sich zum Richtungsstreit

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Der Mann bleibt seinen Anhängern nichts schuldig. „Es bewegt sich etwas in Amerika. New Hampshire, wenn ihr an den Wandel glaubt, ist unser Moment jetzt gekommen!“, ruft Barack Obama in der Nacht vor der Vorwahl, und sein melodiöser Bass füllt die Turnhalle der Highschool in Concord. „O-ba-ma, O-ba-ma“, skandiert das Publikum: Junge wie Alte strahlen vor Glück, die Augen einer schwarzen Schülerin leuchten, so als würde nun alles gut. Spontan beginnt sie, mit einem weißen Jungen zu tanzen, der neben ihr steht. „The dream is all about you“, dröhnt es aus den Lautsprechern: Der Traum handelt von euch.

24 Stunden später ist dieser Traum vorerst einmal ausgeträumt: Die demokratischen Wähler in New Hampshire, die laut Umfragen mit klarer Mehrheit Obamas Neuaufbruch zuneigten, sprechen sich für Hillary Clinton aus, knapp zwar nur, doch gegen alle Prognosen gewinnt die ehemalige First Lady nach der überraschenden Niederlage in Iowa die zweite Etappe im Vorwahlkampf, der darüber entscheiden wird, wer für die Demokraten zur Präsidentenwahl im November antritt. Während dem Sieg des Republikaners John McCain kaum Aufmerksamkeit geschenkt wird, zeichnet sich bei den Demokraten ein interner Kampf um die Identität der Partei ab. Ein Kampf zwischen Barack Obamas Aufbruch und Hillary Clintons Realismus. Die Frauen avancieren dabei zur Schlüsselklientel, und anders als in Iowa haben sie in New Hampshire die Bodenständigkeit der Euphorie vorgezogen.

In diesem Duell hat bisher stets Barack Obama die Richtung vorgegeben. Schon durch seine Biografie steht er für die Hoffnung, dass Amerika den Kulturkrieg der vergangenen Jahrzehnte endlich überwinde. Obama war der Sohn einer allein erziehenden weißen Mutter und eines schwarzen Vaters aus Kenia, er wuchs in Hawaii auf und lebte in Indonesien, studierte in Harvard und organisierte die Bewohner armer Nachbarschaften in Chicago. Als Erwachsener fand er zum Christentum und ist doch ein weltlicher Intellektueller geblieben.

Dass Obama die tiefen gesellschaftlichen Gräben der Vereinigten Staaten ganz persönlich überbrückt hat, versetzt die Amerikaner in Staunen und teilweise Euphorie – zumindest jene, die sich diese Emotionen leisten wollen, sowie die Mehrheit der professionellen Auguren, die von frischen Gesichtern und begnadeten Rednern immer angetan sind. Nach Obamas Sieg in Iowa legten sie jede professionelle Vorsicht ab: „Ich gehe davon aus, dass Obama der nächste Präsident der Vereinigten Staaten ist“, sagt David Brooks, Kolumnist mit einer Vorliebe für die politische Mitte. Und am Rande einer Wahlveranstaltung meinte Robert Novak, der Veteran unter den konservativen Kommentatoren: „Seit Bobby Kennedy habe ich nie mehr einen Kandidaten gesehen, der so viel Begeisterung auslöste.“

Neuaufbruch. Begeistert sind junge Wähler wie Studenten, aber auch Unabhängige, neue Immigranten und Menschen mit guter Ausbildung und überdurchschnittlichem Einkommen. Sie waren nicht nur gegen den Irak-Krieg, sondern haben auch den bitteren Streit über Themen wie Abtreibung ebenso satt wie die Kluft zwischen Schwarzen und Weißen. Nach eineinhalb Dekaden extremer Polarisierung unter Bill Cinton und George W. Bush sehnen sie sich nach Obamas partei-, rassen- und klassenübergreifendem Neuaufbruch, hoffen auf ein besseres Amerika.

„Er aktiviert einen idealistischen Strang der amerikanischen Politik, den seine Gegnerin nicht anzusprechen vermag“, sagt Michael Gerson, ehemaliger Redenschreiber von George W. Bush und heute für den Think Tank Council on Foreign Relations tätig. Er ist vom Phänomen Obama derart fasziniert, dass er den Politiker zwei Tage in New Hampshire begleitete. Dort verzichtete der Kandidat meistens darauf, sich den Fragen des Publikums zu stellen, sondern verließ sich ganz auf sein Charisma, sein Talent, in einer Rede die Leute zu berühren und von den Sitzen zu reißen. Dabei sprach er nur selten an, was alle im Saal spürten: dass seine Wahl zum ersten schwarzen Präsidenten eine historische wäre. Mit einer Rhetorik und einem Sprachrhythmus, die nicht zufällig an den Bürgerrechtler Martin Luther King erinnern, ruft er die Amerikaner dazu auf, sich einer „Bewegung“ anzuschließen, die vor scheinbar unüberbrückbaren Hindernissen und Konflikten nicht kapituliert, sondern die Nation von unten her verändert – ein neuer Kommunitarismus, wie Brooks meint. Und Gerson sagt: „Es ist das Bild eines Amerika, das wir gern von unserem Land hätten: eine Nation der Hoffnung, des Idealismus und der Einigkeit.“

Der Gegensatz zur traditionellen Kampagne, die Hillary Clinton nach mehreren Strategiewechseln heute führt, könnte nicht größer sein. „Bei Hillarys Auftritten schläft sogar ein Hund ein“, höhnt Robert Novak über ihre Auftritte in New Hampshire. Dort nimmt sie Obamas Thema des Wandels zwar auf, aber nur, um ihre Fähigkeit zur Knochenarbeit und Durchsetzung zu demonstrieren, die Wandel erst ermöglichten. Typisch für sie ist eine Rede in einer Schule in Hampton: Hillary beantwortet vor einer riesigen US-Flagge Frage um Frage, erklärt Problem um Problem, verspricht Lösung um Lösung, bis der Saal kapituliert und sie die Leute erschöpft nach Hause entlässt. „Wandel klingt gut. Doch nur Clinton hat die enorme Erfahrung, die nötig ist, um für uns auch etwas zu erreichen“, meint ihr Anhänger Matthew Wallingren, der sich mit seiner Frau und den zwei Kindern den Frage-Antwort-Marathon angetan hat. Er erwartet vom neuen Präsidenten, dass er oder sie das Image Amerikas in der Welt verbessert, die Schulen stärkt und eine Krankenversicherung einführt.

Doch die ehemalige First Lady hat nach der Niederlage in Iowa verstanden, was viele Kommentatoren übersehen haben: Ein großer Teil der demokratischen Kernwähler – Gewerkschafter, Lehrer, die untere Mittelklasse, Familien, die sich im Multitasking durch die Woche kämpfen müssen – will sich keine großen, aber „falschen Hoffnungen“ machen, wie es Clinton formuliert. Man gibt zwar an, dass im Jahr 2008 die wichtigste Eigenschaft eines Kandidaten sein Wille zum Wandel sei, aber damit sind in erster Linie die Ablösung der Bush-Administration und konkrete Versprechen für den Alltag gemeint. Vielen fehlt die Muße für Obamas Visionen, wenn sie zwei Jobs gleichzeitig haben und die Kinder füttern und ins Bett bringen müssen.

Mutter der Nation. Hingegen sind sie beeindruckt, wenn ihnen Hillary Clinton den Plan zur allgemeinen Krankenversicherung bis ins letzte Detail erklärt, von Haus zu Haus geht, von Wähler zu Wählerin, auch wenn dies alles in erster Linie für die Fernsehkameras geschieht, die solche Bilder in Millionen von Wohnzimmern projizieren. Nachdem sich die ehemalige Kronfavoritin lange auf ihren Clinton-Nimbus verlassen hat, kandidiert sie seit New Hampshire als Mutter der Nation, die Ängste und Sorgen der Mittelklasse versteht, um jede Stimme kämpft und verlässlich ist. Es sind diese Wähler – die Bier- und nicht die Weißweintrinker plus die Frauen –, die in New Hampshire Hillary Clinton ihre Stimme gegeben haben, nachdem diese ob des drohenden Liebesentzugs erstmals eine verletzliche Seite gezeigt hatte. „Ein paar weibliche Tränen, das ist stärker als Säure“, zitiert die scharfzüngige Kolumnistin Maureen Dowd den Schauspieler Spencer Tracy in der „New York Times“.

„In den letzten Wochen habe ich euch zugehört und dabei meine eigene Stimme gefunden“, sagt Hillary Clinton, die vergangene Woche 60 wurde, in ihrer Siegesrede. Der knappe Sieg in New Hampshire hat der Kandidatin gezeigt, welche Hillary in den kommenden Wochen überhaupt eine Chance hat, die demokratische Nomination zu gewinnen. Die Amerikaner werden bis zum 5. Februar, an dem über 20 Bundesstaaten gleichzeitig abstimmen, einer weich gezeichneten Hillary begegnen, die „die Unsichtbaren“ sieht. Wie in

New Hampshire wird sie die schärfsten Attacken auf Obama ihrem Ehemann Bill überlassen, mit einer neuen Zugänglichkeit um die Frauen werben und konkrete Lösungen für handfeste Probleme versprechen. „Sie und ich müssen weiterhin mit unserem Herzen reden“, appelliert sie im jüngsten Spendeaufruf an ihre Anhänger. Ihr Vorteil ist, dass sich bei einem Teil der anstehenden Vorwahlen nur registrierte Demokraten beteiligen dürfen und Obama auf die Unterstützung der Unabhängigen verzichten muss. Außerdem hat sie das Parteiestablishment hinter sich: In ihrem Wahlkomitee sitzen Washingtoner Schwergewichte wie Chuck Schumer und Diane Feinstein, und in fast allen Bundesstaaten haben die Clintons langjährige Loyalisten in politischen Schlüsselpositionen wie etwa den Bürgermeister von Los Angeles, Antonio Villaraigosa.

Entgegen den Erwartungen, die Kommentatoren und Umfragen schürten, bleibt Barack Obama in diesem Rennen der Underdog. Er hat die übermächtigen Clintons in Bedrängnis gebracht, dabei jedoch, wie er selbst sagt, noch „gar nichts gewonnen“. – „Yes, we can“, nimmt er in seiner Rede nach der Niederlage sein Hauptthema des gemeinsamen Wandels von unten wieder auf. Es ist zugleich eine Mahnung an seine Anhänger in den Staaten, wo die nächsten Vorwahlen stattfinden, jetzt nicht aufzugeben, dass es in ihrer Hand liegt, die Energie aus Iowa und New Hampshire auszunutzen und zur nationalen Bewegung zu werden.

Doch Obamas Charisma und seine Fähigkeit, einen Draht zu allen Menschen zu finden, wird ihm in den kommenden Duellen weniger helfen als im kleinen Iowa oder New Hampshire. Dort konnte ihn jeder live reden hören, der wollte, und in den großen Bundesstaaten wird er seine Botschaft vermehrt über die Massenmedien verbreiten müssen. Bisher hat er, wie Redenschreiber Michael Gerson meint, seine Hoffnungsrhetorik auch nicht mit besonders aufregenden konkreten Vorschlägen geschärft, die sich von jenen seiner Rivalin unterschieden: „Ich vermisse die wirklich innovativen Lösungsvorschläge.“

Grabenkrieg. „Hillzilla gegen Obambi“, wie Maureen Dowd das Duell einst nannte, wird in den kommenden vier Wochen als knochenharter Grabenkrieg ausgefochten werden – Bundesstaat um Bundesstaat, Delegierter um Delegierte. Beide Lager haben im Gegensatz zum drittplatzierten John Edwards die finanziellen Mittel, um an den wichtigsten Orten zu konkurrieren und die Anhänger mithilfe von Freiwilligen auch wirklich an die Urne zu bringen. In Nevada, wo die nächste Vorwahl stattfindet, hat sich Obama trotz seiner Niederlage in New Hampshire die Unterstützung der von neuen Einwanderern dominierten Hotel- und Casinogewerkschaft gesichert.

Amerika muss sich entscheiden: Will es eine solide Pragmatikerin, oder vertraut es einem politischen Ausnahmetalent mit wenig Führungserfahrung, das mit inspirierender Rhetorik die großen Gräben der amerikanischen Gesellschaft überbrückt.

Von Alain Zucker