Irak: Wie Amerika den Krieg verlor

USA/Irak: Wie Amerika den Krieg verlor

Der Irak-Politik von Bush droht das totale Fiasko

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Was hatte die Welt nicht gespottet über den Präsidenten: dass der sich schwer tut, die richtigen Worte zu finden – und meist auch Schwierigkeiten hätte, sie richtig auszusprechen. In der womöglich tiefsten Krise seiner Amtszeit zeigte sich George W. Bush vergangene Woche aber wie ausgewechselt. „Ich finde diese Praktiken abscheulich“, sagte Bush im Gespräch mit den beiden arabischen TV-Stationen al-Arabiya und al-Hurra.

In einer verzweifelten Anstrengung, zu retten, was noch zu retten ist, wandte Bush sich direkt an die arabische Öffentlichkeit: „Was in dem Gefängnis passiert ist, stellt nicht das Amerika dar, das ich kenne.“ Auch in einer Demokratie sei „nicht alles perfekt, es werden Fehler gemacht“, so der Präsident. „Aber in einer Demokratie werden die Fehler aufgedeckt und die Verantwortlichen der Gerechtigkeit zugeführt.“ Wer sich in Demokratien an Häftlingen vergreift, kann – anders als in Diktaturen – nicht darauf bauen, davonzukommen. Schlechte Figur hat Bush da nicht gemacht.

„Sorry“. Einen Tag später, am Donnerstagabend vergangener Woche, legte Bush noch einmal nach. Im Beisein von Jordaniens König Abdullah entschuldigte er sich ausdrücklich bei jenen, „die Demütigungen erdulden“ mussten. In Richtung Abdullah gewandt, meinte Bush: „Ich habe ihm gesagt, wie Leid es mir tut.“ Bush kämpfte, um das Fiasko irgendwie zu begrenzen.

Gebracht hat es vorerst nur wenig. War die US-Besatzung des Irak schon in den vergangenen Wochen immer tiefer in die Sackgasse geraten – die Veröffentlichung der widerwärtigen Fotos von Misshandlungen und sexuellen Erniedrigungen irakischer Gefangener durch US-Militärpersonal verwandelte die gesamte US-Politik gegenüber der moslemischen Welt innerhalb weniger Tage in ein totales Desaster. Angesichts von Fotos, wie jenem der Soldatin Lynndie R. England, die einen nackten Gefangenen an einer Hundeleine hält, erscheinen die USA auch manchen wohlmeinenden Beobachtern nun wie ein abstoßendes „Evil Empire“, ein „Reich des Bösen“.

Seit der ersten Veröffentlichung in einer Sendung der TV-Station CBS öffnete sich ein immer erstaunlicheres Panorama systematischer Erniedrigung und Quälerei – sowie eines kaum fassbaren Dilettantismus hoher Militär- und Regierungschargen im Umgang mit dem Skandal.

Menschen wurden geschlagen, in Todesangst versetzt; sie mussten sich nackt ausziehen, wurden zu Paketen verschnürt; moslemische Gefangene wurden gezwungen, vor weiblichem Wachpersonal zu masturbieren, während diese riefen: „Er wird hart!“ Mit Gewalt wurden den Häftlingen Gegenstände in den After gerammt.

Mitte vergangener Woche dann die nächste Schockmeldung: Mindestens 25 Häftlinge sind in Afghanistan und im Irak zu Tode gekommen, während sie sich in US-Gewahrsam befanden. Zwölf Todesfälle werden „natürlichen Ursachen“ zugeschrieben; eines der Opfer sei rechtmäßig, während eines Fluchtversuches, getötet worden. Zehn Todesfälle werden noch untersucht. Bei zwei der Todesfälle haben Militärstellen schon „kriminelles Vorgehen“ der beteiligten Soldaten festgestellt. Einzige Konsequenz bisher: Ein US-Militär wurde unehrenhaft aus der Armee entlassen.

Auch in Lagern der Briten sind sieben Gefangene ums Leben gekommen. Britische Zeitungen berichten, ein Opfer sei regelrecht zu Tode geprügelt worden, und veröffentlichten Bilder, die Misshandlungen an Irakern durch Soldaten zeigen sollen. An der Authentizität der Fotos werden allerdings Zweifel geäußert. Zur Verantwortung gezogen wurde bisher niemand.

Und all das ist wohl nur zum kleinen Teil der Eigeninitiative brutalisierter Soldaten zuzuschreiben – mittels „aggressiver Befragungen“ Informationen zu erhalten, durch Demütigungen Gefangene mürbe zu machen ist offenkundig Standard im US-Lagerarchipel zwischen Guantanamo Bay auf Kuba, dem Gefängnis Abu Ghraib in Bagdad und der Bagram Airbase in Afghanistan (siehe auch Kasten). Die Mischung aus Machtlust, Kameraderie und der Freude an der sexuellen Unterwerfung anderer kam wohl nur noch verschärfend hinzu.

Rumsfelds Verantwortung. Eine „Katastrophe“ nannte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld Freitag vergangener Woche die Quälereien vor dem Streitkräfteausschuss des US-Senats. Dabei war er es, der die Bedingungen geschaffen hat, die den Menschenschindern ihr Vorgehen ermöglichten. Rumsfeld hat das Prinzip etabliert, des Terrorismus verdächtige Gefangene als „feindliche Kämpfer“ zu behandeln, die der Genfer Konvention nicht unterstünden. Die Internierten werden in abgeschiedenen Camps festgehalten, über die es kaum zivile Kontrollen mehr gibt. Damit habe der Verteidigungsminister „die Grundlagen für die Verbrechen von Abu Ghraib gelegt“, so das Urteil der angesehenen „Washington Post“.

Das Resultat waren Menschenrechtsverletzungen, die im Pentagon-Establishment allenfalls als lästige Petitesse wahrgenommen wurden. Von Problembewusstsein war in den hohen Militärkreisen nichts zu erkennen, jedenfalls bis sich der Skandal zum Super-GAU auswuchs. Denn weder Generalstabschef Richard B. Myers noch Verteidigungsminister Rumsfeld selbst hatten es bis Montag vergangener Woche der Mühe wert befunden, den internen Untersuchungsbericht über die Misshandlungen auch nur kursorisch zu studieren. Präsident Bush war von seinem Minister über die Vorfälle gar nicht informiert worden. Der Umstand, dass er von den Taten aus dem Fernsehen erfahren musste, habe Rumsfeld eine scharfe Rüge eingetragen, ließ Bush wissen.

Die Demokratie sollte in den Nahen Osten exportiert, das irakische Volk befreit werden, hat die US-Regierung versprochen – tatsächlich wurden die Folterkeller Saddams aber nicht stillgelegt, sondern nur das Management gewechselt.

Nicht nur ein Skandal. Und doch gibt es auch eine andere Geschichte: die Geschichte vom Amerika des Respekts vor dem Recht und der menschlichen Würde. Denn wer hat dafür gesorgt, dass die Folterer nicht unentdeckt blieben? Normale, kleine amerikanische Militärangehörige, welche die Vorgänge von Abu Ghraib ihren Vorgesetzten meldeten. Etwa der Militärpolizist Matthew Wisdom: „Was ich sah, erschien mir als Unrecht.“ Wer hat dafür gesorgt, dass der Skandal nicht einer organisierten Vertuschung anheim fiel? Militärisches Inspektionspersonal, das die Vorwürfe prüfte, die Opfer ausfindig machte, ihr Vertrauen gewann, ihre Aussagen aufnahm und die Täter ermittelte. Und wer hat die Untersuchungsergebnisse in einen großen Report zusammengefasst? Der US-Generalmajor Antonio M. Taguba, der in seinem 53-seitigen Ermittlungsbericht ein vernichtendes Urteil über die Vorgänge in dem Militärgefängnis fällte – dort seien „sadistische, eklatante, wüste kriminelle Misshandlungen“ vorgefallen.

Offenbar waren die Selbstreinigungsmechanismen einer liberalen Demokratie auch unter den Bedingungen von Okkupation und täglichen Kämpfen mit Aufständischen stark genug: Ihnen ist zu verdanken, dass der Skandal öffentlich wurde.

Das ist immerhin eine erfreuliche Seite der Vorfälle, viel nützen wird das im „Krieg der Ideen“, im Kampf um die Herzen und Seelen der Irakis aber kaum mehr. Schon wird der Skandal von Abu Ghraib mit dem Massaker von My Lai verglichen, jenem Gemetzel amerikanischer Truppen an wehrlosen Dörflern, das als ein Wendepunkt des Vietnamkriegs gilt. Mit dem Blutbad des Jahres 1968 war jeder Anspruch, in Indochina um irgendein legitimes moralisches Ziel zu kämpfen, endgültig zerstört – und am Ende auch der Krieg verloren. Es waren auch im Vietnamkrieg zunächst die Bilder, die sich in den Köpfen festsetzten – die Bilder von dem nackten weinenden Mädchen, das dem Napalm entflieht; das Bild des gefangen genommenen Vietcong-Kämpfers, der vom Polizeichef Saigons vor laufender Kamera hingestreckt wurde. Bilder, an deren Wirkung jene aus dem irakischen Abu-Ghraib-Gefängnis nahezu heranreichen könnten.

„Totales Desaster“. Die Bilder von Abu Ghraib versetzen Amerika in einen Schock, weil sie das Image der Soldaten als – wenn auch vielleicht manchmal rüden, im Prinzip aber doch sauberen – Typen zerstören: Was auf den Fotos zu sehen ist, zeugt in erster Linie nicht von Brutalität, sondern von ausschweifender Niedertracht. Und die Bilder fügen dem US-Image in der arabischen Welt enormen Schaden zu – in einer Kultur, in der das Sexuelle so tabuisiert ist wie in der islamischen.

Schon vor Veröffentlichung der Fotos aus Abu Ghraib aber plädierte in einer im Auftrag von CNN und der Tageszeitung „USA Today“ unter den Irakern durchgeführten Umfrage eine Mehrheit von 60 Prozent dafür, dass die US-Soldaten ohne Zeitverlust abziehen mögen. Ein Anteil, der sich seither wohl noch erhöht hat. „Keine Werbeagentur hätte ein besseres Mittel finden können, al-Qa’ida neue Mitglieder zuzutreiben“, analysiert das US-Nachrichtenmagazin „Time“. Ein „totales Desaster für uns alle“ drohe nun, so Thomas Friedman, viel beachteter Kolumnist der „New York Times“. Und selbst Karl Rove, einflussreicher Berater von Präsident Bush, gestand ein, es könne sehr lange dauern, bis in der arabischen Welt die Auswirkungen dieses Skandals einigermaßen überwunden sein werden.

Das Allererste, was George Bush nun tun müsse, fordert Thomas Friedman, sei „Verteidigungsminister Donald Rumsfeld feuern, und zwar heute“. Gerüchte von einer Ablösung Rumsfelds hingen Ende vergangener Woche zunehmend dichter über Washington. Präsident Bush sah sich gezwungen, seinem Minister öffentlich das Vertrauen auszusprechen. Dennoch gilt als ziemlich sicher, dass es der Präsident diesmal nicht vermeiden können wird, einen Sündenbock zu opfern – und niemand bietet sich dafür so an wie Donald Rumsfeld.

„Rumsfeld muss gehen“, forderte die „New York Times“ vergangenen Freitag denn auch auf ihrer Kommentarseite.

Washington steht unter Schock. Ein Gerücht jagt das nächste. Der Präsident bittet das irakische Volk im Tagestakt um Verzeihung, in beinahe exzentrischem Ton werden die „Werte des amerikanischen Volkes“ beschworen, die von ein paar wenigen „amerikanischen Verbrechern“ (so die Boulevardzeitung „New York Post“) besudelt worden seien. Schließlich ein Verteidigungsminister, der noch Anfang der Woche auf die Journalistenfrage, ob eine Entschuldigung für den „Krieg der Ideen“ nicht hilfreich wäre, fatalistisch die Hände hebt, fast eine Minute in die Mikrofone schweigt und dann in beklemmender Hilflosigkeit sagt: „Ich habe keine Zeit gehabt, mich dem Krieg der Ideen zu widmen, seitdem diese Sache aufgetaucht ist.“ Nur um am Freitag dann vor dem Senatsausschuss eine solche „tiefe Entschuldigung“ auszusprechen und den Opfern der Misshandlungen überdies eine „angemessene Entschädigung“ in Aussicht zu stellen. Niedergeschlagenheit wechselt mit Panik. Nichtstun mit hektischer Betriebsamkeit.

Die Akteure spüren, dass ihnen das Gesetz des Handelns aus der Hand gleitet. Vor der Macht der Bilder von Abu Ghraib werden die Versuche der Schadensbegrenzung vermutlich wenig Erfolg zeigen. Kein Kniefall des Präsidenten oder seines Verteidigungsministers wird sie vergessen machen können.