Peter Michael Lingens

USA: Kursziel null

USA: Kursziel null

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Barack Obama ist noch nicht im Amt, aber die jüngsten Wirtschaftsmeldungen aus den USA vermitteln einen Vorgeschmack dessen, was ihn erwartet: Die Deutsche Bank stufte das Kursziel der Aktie von General Motors auf „null“ herunter. Das Unternehmen sei praktisch bankrott. Was diese Meldung emotional bedeutet, kann man ermessen, wenn man sich an die Aussage eines US-Ministers aus dem Jahr 1953 erinnert, die zum geflügelten Wort wurde: „Was gut für General Motors ist, ist gut für Amerika.“ „Es geht um das Herz unserer produzierenden Wirtschaft“, erklärte jetzt die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, und forderte, das 700-
Milliarden-Hilfspaket der Regierung für den Finanzsektor auf die Auto­mobilindustrie auszuweiten.

Pelosi übertrieb ein wenig. Gott sei Dank verfügt die produzierende US-Wirtschaft auch über bestens funktionierende Großunternehmen – von Caterpillar bis Boeing –, aber in Summe charakterisiert GM sehr wohl den Zustand der traditionellen US-Industrie: schwache Produkte und veraltete Anlagen. Jeder Tourist vermochte das im Vorbeifahren zu sehen – nur die Berichterstatter der führenden Wirtschaftsblätter beobachteten einen angeblich wachsenden Produktivitätsvorsprung der USA.

General Motors konzentriert zugegebenermaßen alle denkbaren Fehlentwicklungen: Noch 1970 kam jedes zweite in den USA verkaufte Auto von seinen Montagebändern, jetzt ist es nicht einmal jedes vierte. Denn trotz der vorhersehbaren Verknappung des Erdöls baute man Benzinfresser um Benzinfresser. Eine im Jahr 2000 von der Regierung unterstützte Initiative für spritsparende Fahrzeuge wurde verworfen. Stattdessen entwickelte man den Hummer als Aushängeschild. Jetzt, da sich der Spritpreis auch in den USA verdreifacht hat, fährt man die volle Ernte ein: allein 17 Milliarden Verlust im letzten Quartal. Für diese unternehmerische Leistung ließ sich Rick ­Wagoner, der seit zehn Jahren an der Spitze des Unternehmens steht, pro Jahr zehn Millionen Dollar auszahlen. Etwa so viel wie Jürgen Schrempp, der Mercedes in die roten Zahlen führte. Dennoch ist der Unterschied noch immer charakteristisch: Mercedes stellt trotz Schrempp Spitzenprodukte her, hat sparsamste Dieselmotoren entwickelt und vermag sich von seinem Generaldirektor zu erholen – General Motors nicht.

Denn GM trug auch noch eine zweite Bürde, die dem Problem unserer verstaatlichten Industrie in den siebziger Jahren ähnelt: Die extrem starken Gewerkschaften des Unternehmens, das auch von der Regierung mit dem Staat identifiziert wurde und daher als unsinkbar galt, setzten, an US-Maßstäben gemessen, außergewöhnliche Sozialleistungen – etwa Krankenversicherungen für alle Familienangehörigen – durch, die bedingen, dass GM mit jetzt nur noch 74.000 US-Angestellten für 340.000 Versicherte aufkommen musste. Erst in den letzten Jahren, in denen das Unternehmen durchwegs Milliardenverluste schrieb, lenkten die Gewerkschaften ein.
Jetzt reicht auch das nicht mehr: GM bietet seinen US- Beschäftigten, je nach Qualifikation, 45.000 bis 62.000 Dollar „Ausstiegsprämie“ und hofft, mit neuen Angestellten neue, billigere Verträge zu schließen. An den 13 europäischen Standorten sollen 16.000 Beschäftigte abgebaut werden und die Angestellten der einzig gewinnbringenden Tochter, Opel, sollen sich mit einer Nulllohnrunde bescheiden. (Die in Österreich angesiedelte Getriebefertigung ist ebenfalls ein rares Profit-Center.)

Die Deutsche Bank glaubt trotzdem nicht, dass GM im nächsten Jahr auch nur einen Cent wert sein wird. Ford und Chrysler geht es ähnlich schlecht. Wenn die US-Autoindustrie sich durch Fusionen gesundschrumpft, betrifft das, die Zulieferindustrie eingeschlossen, mehrere hunderttausend Menschen. Sie alle erwarten Wunder von Obama.

Die zweite spannende Meldung betrifft American Express: Das viertgrößte Kreditkartenunternehmen der USA erhielt die Erlaubnis, sich in eine Bank umzuwandeln. Offiziell, um günstiger an Kredite heranzukommen, in Wirklichkeit, um mit Geld aus dem 700-Milliarden-Finanzmarktpaket der Regierung vor dem Kollaps bewahrt zu werden. Amerikaner kaufen grundsätzlich alles und jedes mit Kreditkarte, und die Rahmen sind größer als bei uns. Das gibt eine Ahnung davon, was sich bei den Kreditkartenunternehmen an derzeit uneinbringlichen Schulden angesammelt hat. Sie haben de facto ein Bankgeschäft betrieben – und so gut wie der Bankensektor stehen sie jetzt auch da. Und erwarten Wunder von Obama.

Der hat unterdessen eine wichtige Entscheidung getroffen: Sein wichtigster Berater in Wirtschaftsfragen wurde mit Paul Volcker der Vorgänger von Alan Greenspan als Chef der Fed. Ronald Reagan hatte ihn 1987 in dieser Funktion abgelöst, weil er, anders als Greenspan, eine konservative, an der Eindämmung der Inflation orientierte Geldpolitik à la EZB betrieb. Es begann jene „geniale“ Zinspolitik Greenspans, die von der Wirtschaftspresse als vorbildlich gefeiert wurde und der entscheidende Beitrag zur heutigen Schuldenkrise der USA gewesen ist. Volcker, so würde ich vermuten, wird wohl auf einen Fed-Chef drängen, der seine konservativen Prinzipien teilt. Also vermutlich kein billiges Geld und damit eine noch schärfere Rezession – die dafür hoffentlich kürzer dauert. Ihren Höhepunkt dürfte sie in etwa erreichen, wenn sich Obama den nächsten Wahlen stellt.