USA: Wo Gott wohnt

Primaten als Anlass ideologischer Schlachten

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Der Tiergarten in Tulsa, Oklahoma, hat einen Kinderzoo mit Kängurus, einen neuen Pinguin-Pool und lässt Besucher zuschauen, wenn dem Jaguar die Zähne geputzt werden. Der Tiergartendirektor ließ, nach Interventionen des gottesfürchtigen Bürgermeisters, auch eine Schautafel aufhängen, welche die Schöpfung der Tierarten darstellt. Daraufhin ließ der Tiergartendirektor, entnervt vom Aufruhr, den dies wiederum provozierte, die Tafel wieder abhängen. Warum wird da die Schöpfung thematisiert und nicht die darwinistische Evolutionstheorie, wetterten die einen. Warum wird da die christliche Genesis gewürdigt, echauffierten sich andere – nicht aber der chinesische Schöpfungsmythos vom kosmischen Ei oder der Raubvogel, der nach Überlieferung der Cherokee-Indianer die Täler in die Landschaft gehackt hat?

Kontroversen wie diese würden es, nach vernünftigen Maßstäben, anderswo wohl nicht einmal in das Bezirksblatt schaffen. Es gelten aber keine vernünftigen Maßstäbe – jedenfalls nicht in den USA und nicht in Fragen der Schöpfung. Lurche, Dinosaurier und Primaten sind hier in einen Kulturkampf eingebettet, in dem es um alles geht: die Trennung von Staat und Kirche sowie die Hegemonie christlicher Moral in Politik und Gesellschaft.

Dieser Kampf wird auf allen Ebenen geführt: in den Schulbehörden, vor Bezirksgerichten, im Obersten Gerichtshof und im Weißen Haus – und zwar keineswegs von spirituellen Obskuranten, sondern von gut organisierten evangelikalen Lobbying-Gruppen. Diese sind fest verwurzelt im ländlich-kleinstädtischen Amerika, professionell vernetzt und wissen die millionenfache Rückendeckung durch Sympathisanten als Druckmittel einzusetzen. Seit dem zweiten Wahlsieg von George W. Bush im November 2004 spüren sie wieder Rückenwind.

Die katholische Kirche war in diesen Feldzug bisher kaum involviert. Mit den vielen protestantischen Kirchen in den USA verbindet sie der „Respekt vor der Schöpfung“ im weitesten Sinn: Gemeinsam verdammen alle Christen Abtreibung, Sterbehilfe (wie jüngst im Fall Terri Schiavo) und Pornografie. Sie wenden sich gegen Forschung an Stammzellen, die aus Embryos gewonnen werden, und gegen die Legalisierung homosexueller Partnerschaften.

Wenn es um die Todesstrafe oder um Patriotismus geht, gibt es jedoch Differenzen. Die Katholiken verstehen sich als Weltkirche, die Evangelikalen hingegen als Ur-Amerikaner. Die „Christian Coalition“ steht fest auf der Seite der US-Truppen im Irak und will einen Verfassungszusatz durchdrücken, der jeden Einfluss internationaler Organisationen – sei es UNO, Völkerrecht oder Gerichtshöfe – auf amerikanische Gesetze ausschließt. Papst Johannes Paul II. hingegen hatte sich bei strammen US-Patrioten keine Freunde gemacht: Erst verurteilte er den Irak-Krieg, dann fuhr er zum Erzfeind nach Kuba.

Schwache Position. Auch die soziale Basis der Kirchen ist unterschiedlich. Die 67 Millionen US-Katholiken, ein Fünftel der Bevölkerung, sind oft Nachfahren von Iren oder Italienern, leben mehrheitlich in der Stadt und bildeten bisher eine solide Basis der Demokraten. Die Gemeinde wächst, als eine von wenigen weltweit, vor allem durch Einwanderer aus Lateinamerika. Doch ihr gesellschaftlicher Einfluss schwindet. Eine von zehn Priester-Planstellen ist unbesetzt, unter den Armee-Seelsorgern hat sich die Zahl der Katholiken binnen zehn Jahren gar halbiert. Zusätzlich geschwächt ist die Kirche durch mehrere Missbrauchsskandale.

Die Evangelikalen hingegen formulieren ihren Anspruch, Einfluss auf Gesetze zu nehmen, selbstbewusster. Im Brennpunkt steht dabei die Trennlinie zwischen Kirche und Staat, die in der US-Verfassung festgeschrieben ist. Sie wird jeden Tag neu verhandelt und zentimeterweise hin- und hergerückt: Darf ein Bürgermeister „frohe Weihnachten“ wünschen? Wo dürfen Tafeln mit den Zehn Geboten stehen? Wo darf gebetet werden? Und wo darf man behaupten, Gott habe die Welt erschaffen?

Die Methoden dieser Auseinandersetzung haben sich im Lauf der Jahre verfeinert. Ihr wichtigstes Exerzierfeld sind die Lehrpläne für die Schulen, die von gewählten Funktionären in den einzelnen Bezirken erstellt werden. Kansas, im geografischen Mittelpunkt Amerikas, wurde 1999 damit berühmt, jede Erwähnung von Darwin überhaupt verboten zu haben. Heuer veranstalteten die Schulgremien ein öffentliches Hearing, bei dem die Verfechter des „Intelligent Design“ gegen Darwinisten antreten sollten. Die Wissenschafter verweigerten sich, der Ausgang des Hearings ist offen.

In Dover, Pennsylvania, wurde Schülern im Januar vor dem Biologieunterricht eine Erklärung vorgelesen, wonach die Evolutionstheorie „nicht bewiesen“ sei; in Cobb County, Georgia, mussten nach einem Gerichtsurteil Aufkleber ähnlichen Inhalts jüngst wieder von den Schulbüchern entfernt werden.

Die katholische Kirche hat sich in derlei Scharmützel bislang kaum eingemischt. „Katholiken dürfen an die Evolution glauben“, so der pragmatische Leitsatz von Theodore McCarrick, Kardinal von Washington. „Solange anerkannt wird, dass dabei die Hand Gottes im Spiel ist, können wir das akzeptieren.“ Allem anderen hätten seine Schäfchen auch nicht folgen können: Nach einer Umfrage von 2004, laut welcher 35 Prozent der Amerikaner die Evolutionslehre für bewiesen, ebenso viele jedoch für unbewiesen hielten, gehörten Katholiken, gleichauf mit Atheisten, zu den treuesten Anhängern der Wissenschaft.

In Europa zeigt sich ein ähnliches Bild. Bei der Stammzellenforschung kann sich Rom auf verbreitetes gesellschaftliches Unbehagen stützen, in den Fragen Schwulen-ehe und Abtreibung zumindest auf die christlich-sozialen Parteien. Das Thema Evolution hingegen ist kein Renner. Sein Einzugsbereich beschränkt sich auf obskurantistische Gruppen, missionarische Einzelpersonen oder amerikanische Lobbyisten: In Nordengland etwa sponsert Sir Peter Vardy, ein schwerreicher Autohändler, mehrere Schulen, welche die Schöpfungsgeschichte lehren; in Deutschland erschien ein Darwin-kritisches Schulbuch – das jedoch nicht als Lehrmittel zugelassen wurde.

Somit stellt sich die Frage: Warum versucht die katholische Kirche nun, ein Feld zu besetzen, das in den USA bereits besetzt ist – und auf dem es in Europa nichts zu gewinnen gibt?

Möglicherweise will der neue Papst Benedikt XVI. in Amerika Terrain zurückgewinnen. Johannes Paul II. hatte Präsident Bush in Sachen Krieg, Todesstrafe und Kuba nachhaltig verstimmt. Ein Indiz für eine inhaltliche Abgrenzung seines Nachfolgers könnte jener Brief sein, den Ratzinger, damals noch Präsident der Glaubenskongregation, vor der vergangenen Präsidentenwahl in die USA schickte: „Nicht alle moralischen Fragen haben das gleiche Gewicht wie Abtreibung oder Euthanasie. Bei den Themen Krieg oder Todesstrafe mag es selbst unter Katholiken legitime Meinungsverschiedenheiten geben“, wurde eine Neupositionierung angedeutet. Inhaltlich vertraute Ratzinger dem wiedergeborenen Protestanten Bush mehr als dessen Herausforderer, dem Katholiken John Kerry. In demselben Brief mahnte er alle US-Bischöfe, jedem katholischen Kandidaten, der für das Recht auf Abtreibung eintrete, die Kommunion zu verweigern. Tatsächlich stimmte die Mehrheit der weißen Katholiken diesmal nicht für „ihren“ Kandidaten Kerry, sondern für den andersgläubigen Bush.

Möglicherweise versuchen der neue Papst und der frisch gebackene „New York Times“-Kommentator Kardinal Schönborn aber auch nur, sich von der emotionalen Verve der protestantisch-evangelikalen Kirchen in den USA etwas abzuschauen – im Kampf um die moralische Hegemonie, die in Europa stetig schwindet.

Relativismus. In der Wortwahl zumindest sind Parallelen bereits auszumachen. Die Verfechter des „Intelligent Design“ haben von ihren weltlichen Gegnern gelernt und sich deren Terminologie zu Eigen gemacht. In den USA ist es ihnen bereits gelungen, den Ideologievorwurf umzudrehen: Engstirnig und intolerant seien nicht die Gläubigen, sondern die Wissenschafter – die sich anmaßten, die Erklärung der Welt gepachtet zu haben. Man müsse „offen sein“, „Meinungsfreiheit zulassen“ und Kinder „zum kritischen Denken anregen“.

In bester 68er-Diktion wenden sich die Kreationisten heute gegen „Dogmen und Denkverbote“ und gegen „abgehobene Eliten“, die den Relativismus zur „neuen Religion“ erhoben hätten. Dass Wissenschaft schon dem Prinzip nach ständig auf dem Prüfstand steht, wird dabei geflissentlich ausgespart.

Die „Diktatur des Relativismus“ hat auch Papst Benedikt XVI. bereits gegeißelt. In einem großen Interview mit Marco Politi, wenige Monate bevor er zum Papst gewählt wurde, ließ Kardinal Ratzinger tief in sein Weltbild blicken: Es gebe einen „aggressiven Säkularismus mit recht intoleranten Zügen“, erklärte er. „Laizismus beginnt sich in eine Ideologie zu verwandeln, die sich mithilfe der Politik in den öffentlichen Raum drängt.“ In diesem Sinne habe „wahrhaftig ein Kampf begonnen“.

Im Zoo von Tulsa zumindest ist der Kampf schon geschlagen, die „Diktatur des Relativismus“ hat gesiegt – fürs Erste.

Sibylle Hamann