Usability: Mensch im Mittelpunkt

Usability: Mission Mensch

Kluge Technik für besondere Zielgruppen

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Wo sich sonst eine Tabuzone für wissenschaftlichen Forschungseifer erstreckt, beginnt der Wirkungskreis einer speziellen Expertengruppe der Technischen Universität (TU) Wien. Unter dem Titel „Friendly Rest Room“ arbeiten sie am Institut „integriert studieren“ daran, Komfort und Benutzerfreundlichkeit von Toiletten zu verbessern – mit dem Ziel, ein „intelligentes“ WC zu entwickeln. Dutzende freiwillige Versuchspersonen haben bereits an entsprechenden Testreihen teilgenommen.

„Das normale Klo ist ein alter Hut“, sagt Projektleiter Wolfgang Zagler. „Seit 120 Jahren ist es in seiner Standardausführung nahezu unverändert. Wir haben die Toilette grundsätzlich infrage gestellt und sind auf völlig neue Ideen gestoßen.“ Die einzige Konstante und zugleich der Hauptfokus des Projekts: Die Neuentwicklung soll besonders präzise auf die individuellen Erfordernisse ihrer Benützer abgestimmt sein.

Im Wesentlichen funktionieren die Prototypen der intelligenten Toilette wie automatisch verstellbare Autositze: Beim „Friendly Rest Room“ können Parameter wie Sitzhöhe, Position der Haltegriffe und Helligkeit im Raum je nach persönlicher Präferenz gewählt werden. Zusätzlich kann bei Bedarf eine Mechanik in Gang gesetzt werden, die Hilfestellung bei verschiedenen Tätigkeiten leistet. Vor dem Aufstehen beispielsweise lässt sich die WC-Muschel anheben und in Schräglage versetzen, damit der Benutzer leichter auf die Beine kommt.

Toilette mit Hirn. Die Entwicklung soll vor allem Personen mit Behinderungen alltägliche Tätigkeiten erleichtern. Die ersten Reaktionen der Tester, berichtet Zagler, seien durchwegs positiv ausgefallen, und besonders die Möglichkeit der automatischen Aktivierung der vom Benutzer präferierten Einstellungen werde geschätzt.

Sämtliche dafür benötigten Daten sind auf einem Funk-Chip gespeichert, der bei Betreten des Raums mit der Toiletten-steuerung Kontakt aufnimmt und selbstständig die bevorzugten Einstellungen in Gang setzt. Ein Jahr lang sollen die Toilettenprototypen noch im Labor getestet werden; danach soll die neue Technologie auf den Markt gebracht werden, zunächst als Innovation für den öffentlichen Raum. Die Experten der TU arbeiten eng mit der Wirtschaft zusammen. „Die Kooperation umfasst Unternehmen aus Deutschland, Ungarn und Österreich“, so Zagler. „Es handelt sich um renommierte Firmen, die bereits in der Branche tätig sind und uns jene Teile liefern, die wir brauchen.“

Vor der Markteinführung wird allerdings noch eine weitere und im Grunde für den gesamten Sanitärmarkt bedeutsame Funktion getestet: Mittels Kamera werden die Bewegungen der Menschen im WC verfolgt (allerdings nicht gefilmt). Bei abrupten, ruckartigen Vorwärtsbewegungen soll die Kamera erkennen können, ob es sich um einen Sturz handelt, und gegebenenfalls Alarm bei einer Servicestelle auslösen.

Zielgruppen-Orientierung. Das Toilettenprojekt ist nur einer von mehreren Forschungsschwerpunkten, auf die sich die Experten des Instituts „integriert studieren“ zurzeit in Kooperation mit internationalen Partnern und unterstützt von EU-Förderungen konzentrieren. Gemeinsam ist den Projekten, dass Produktprototypen nach zuvor erhobenen Bedürfnissen der jeweiligen Zielgruppe entwickelt werden. Während der Testphase liefern die Probanden Rückmeldungen, welche wiederum in den Entwicklungsprozess einfließen.

Während in angloamerikanischen Ländern solche zum Fachgebiet der so genannten Usability zählenden Initiativen bereits seit Jahrzehnten in großzügig dotierten Instituten betrieben werden, steckt die Wissenschaft hierzulande vergleichsweise noch in den Kinderschuhen. Seit einigen Jahren werden allerdings auch in Österreich Usability-Zentren betrieben (siehe Kasten rechts). Wolfgang Zaglers 1986 gegründete Arbeitsgruppe „Forschungsgruppe Rehabilitationstechnik“ zählt dabei zu den Pionieren auf diesem Gebiet. Anfang des Jahres ging diese Arbeitsgruppe im Institut „integriert studieren“ auf, das sich neben der Forschung vorwiegend der Beratung von behinderten Studenten widmet. Das verspätete Interesse an solchen Einrichtungen führt Zagler auf Besonderheiten in der Vergangenheit zurück: „Im deutschsprachigen Raum gab es nach dem Zweiten Weltkrieg grundlegendere Probleme zu lösen als die Schaffung benutzerorientierter Produkte.“

Gerhard Schwed von der Donau-Universität Krems erklärt das einsetzende Interesse an Usability im Allgemeinen mit dem heute vermehrt als evident erachteten Zusammenhang zwischen der Bedienungsfreundlichkeit eines Produktes und dessen ökonomischem Erfolg. „Es wird immer klarer, dass Funktionsvielfalt allein zu wenig ist“, konstatiert Schwed. Ein besonderer Zweig der Usability-Forschung befasst sich mit der Entwicklung intelligenter Produkte, die Alltagsaktivitäten für bestimmte Personengruppen oder deren Angehörige leichter, sicherer oder komfortabler gestalten sollen – beispielsweise für Kleinkinder, ältere Personen oder Menschen mit Behinderungen.

Vital-Anzug. Nicht selten handelt es sich bei derartigen Innovationen um Produkte, die ursprünglich für spezielle Zwecke erarbeitet wurden. So hat das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), ausgehend von Anzügen für Astronauten, einen Baby-Strampelanzug mit integrierten Vital-Sensoren entwickelt. Zusammen mit anderen Kontrolldaten können mithilfe dieses Anzugs Herz- und Atemfrequenz von Kleinstkindern überwacht werden. Besonders bei von Ärzten als „Risiko-Babys“ eingestuften Neugeborenen besteht dadurch die Möglichkeit einer lückenlosen Überwachung – die Gefahr eines plötzlichen Kindstodes wird reduziert. Bei kritischen Werten wird automatisch ein Notrufsignal zum zuständigen Spital gesandt und eine Sprechverbindung zwischen Arzt und Eltern aufgebaut. Ursprünglich war die Technologie verwendet worden, um den Gesundheitsstatus von Astronauten bei Weltraumeinsätzen zu kontrollieren.

Das 1999 gegründete deutsche Telemedizin-Unternehmen Vitaphone wiederum will demnächst auch in Österreich mit einem einfach zu bedienenden Senioren-Mobiltelefon auf dem Markt präsent sein, das gleichzeitig als mobiles EKG-Gerät verwendet werden kann. Die auf der Rückseite des Telefons angebrachten Elektroden ermitteln die erforderlichen Daten, indem das Gerät einfach auf die Brust gelegt wird. Patienten sollen derart bei relativ stabiler Gesundheitslage früher nach Hause entlassen werden können, ohne sich dadurch Risiken auszusetzen. Schließlich kann der behandelnde Arzt ein EKG und andere biochemische Parameter abrufen, ohne beim Patienten vor Ort sein zu müssen. Optional kann das Vitaphone-Handy mit einem GPS-System ausgestattet werden, um etwa an Demenz leidende Menschen aufzuspüren, die mitunter ihren Heimweg vergessen. „Den Träger eines solchen Geräts finden Sie praktisch überall wieder“, behauptet Benjamin Humberg von Vitaphone.

Seniorentechnik. An der österreichischen TU wird an einem ähnlichen System für gebrechliche Menschen geforscht: Unter dem Titel „Supporting Independently Living Citizens“ wird daran gearbeitet, biometrische Daten zu erheben. Diese werden per Bluetooth-Übertragungstechnik über eine Computer-Basisstation direkt an die zuständigen Stellen geschickt. Zudem wird, kaum merkbar, ein Sensor am Menschen angebracht, der bei einem Sturz automatisch Hilfe anfordert. Überdies kann über Bluetooth-Chip und Computer telefonisch Kontakt mit einem Servicezentrum aufgenommen werden. So können etwa kranke Menschen regelmäßig dazu aufgefordert werden, ihre Medikamente einzunehmen.

Dass Usability nicht nur in der Medizin von erheblichem Wert sein kann, soll am Institut für Produkt- und Prozessgestaltung der Universität der Künste Berlin demonstriert werden: Bei zwei Design-Wettbewerben im Rahmen des Forschungsprojekts „Seniorengerechte Technik im häuslichen Alltag“ wurden „Produkte für eine neue alte Generation“ entworfen. Eine der Gewinnerinnen des Projektes, Antonia Roth, entwarf den so genannten „A-Knopf“. Die Jury lobte das „clevere und zugleich ästhetische Design“ dieses Knopfes. Vor allem Senioren mit Gelenksproblemen soll das Ein- und Ausfädeln des Knopfes durch Knopflöcher aufgrund der leicht geschwungenen Gestaltung des Produkts erheblich erleichtert werden.

Ein vom Erfinder Max Neumeyer entwickelter Seniorenschuh zielt auf ähnliche Effekte ab. Der Schlüpfer kann ohne Bücken und Einsatz der Hände an- und ausgezogen werden. Zunutze machte sich der Designer nach eigenen Angaben das Prinzip des „Knackfrosches“: In die Sohle des Schuhes wurde ein so genanntes bistabiles Element eingearbeitet, welches ab einer gewissen Spannung und Neigung umknickt – und den Fuß beinahe wie von selbst aus dem Schuh gleiten lässt. Bei herkömmlichen Gehbewegungen indes bleibt das Element steif.

Wie innovativ Alltagsgegenstände gestaltet werden können, bewiesen zwei weitere Forscher der Berliner Universität: Nicola Moebius und Karen Olze entwickelten einen Küchentisch, in dessen Arbeitsfläche mehrere Tools verborgen sind. Um etwa gefahrfrei mit Messern zu arbeiten, wurde eine Einbuchtung samt Schneiderille in die Tischplatte integriert. Verletzungen sind beinahe unmöglich – für ältere Menschen ein besonderer Vorteil.

Texterkennung. Dass mit dem Alter auch die Hörfähigkeit stark nachlassen kann, brachte britische Wissenschafter auf die Idee, eine Computer-Software zu entwickeln, die Schwerhörigen das Telefonieren erleichtern soll: Das „SimFace“ genannte Programm simuliert das Gesicht und die Lippenbewegungen des Gesprächspartners und zeigt dies grafisch auf dem Bildschirm an. Dabei kommt eine spezielle Programmiertechnik zum Einsatz: Die vom Gesprächspartner formulierten Wörter werden vom Programm in Laute (Phoneme) umgesetzt. Erste Tests mit dem Prototyp ergaben, dass 84 Prozent der Teilnehmer Wörter besser identifizieren und verstehen konnten, wenn sie neben den akustischen auch visuelle Signale erhielten.

Ein vergleichbares Projekt der TU Wien soll demnächst auf den Markt kommen: Eine Computer-Software namens „Fasty“ soll Menschen mit Behinderungen den Umgang mit Textverarbeitungsprogrammen erleichtern. Im Prinzip folgt das System dem so genannten T9-Modus, der dem Verfassen von Kurzmitteilungen auf Mobiltelefonen dient: Die Computer-Benützer geben lediglich die Anfangszeichen eines Wortes auf der Tastatur ein, danach schlägt das Programm automatisch vollständige Wörter für den Text vor.

Freilich soll das an der TU entwickelte System noch wesentlich mehr können: Denn auch der Sinn bereits benutzter Phrasen wird in die Textvorschläge eingebunden. „Wenn eines der vorhergehenden Wörter ‚der‘ war“, erläutert TU-Forscher Wolfgang Zagler, „folgt darauf sicher kein weibliches Hauptwort.“ Die bisherigen Tests seien ermutigend verlaufen, berichtet Zagler: „Durch die Software geht die für Texte aufgewandte Zeit um bis zu 60 Prozent zurück. Das stellt für Querschnittgelähmte, die pro Minute ein paar Zeichen auf herkömmliche Art und Weise schreiben können, eine enorme Verbesserung dar.“

An der Donau-Universität in Krems kommt Software ebenfalls in besonderer Art und Weise zum Einsatz. Nach dem Prinzip „Eye-Tracking“ werden etwa die Augenbewegungen von Internetsurfern untersucht, woraus zunächst Rückschlüsse auf die Wirkung von Homepages auf Surfer abgeleitet werden können. Die durch Eye-Tracking generierten Daten werden anschließend in eine Matrix eingetragen. Nach deren Auswertung können gut besuchte Areale einer Website identifiziert und weniger frequentierte Bereiche verbessert werden. Demnächst soll das Eye-Tracking-System mit Biosensoren verknüpft werden, die der Messung von Pulsfrequenz, Hautleitwert und Körpertemperatur dienen. Vor allem der Hautleitwert, so Projektleiter Erwin Bratengeyer, stelle einen maßgeblichen Wert zur Erfassung emotioneller Reaktionen dar – und in weiterer Folge zur Beurteilung der Funktionalität einer Homepage.

Beim Fußballklub Austria Wien sind derartige Erkenntnisse bereits in die Gestaltung einer so genannten barrierefreien Website eingeflossen – durch entsprechende Schriftgrößen und Farbgestaltung können auch Menschen mit eingeschränkter Sehkraft sämtliche Informationen zur Mannschaft und den Spielen abrufen.