Hinter den Mauern des Vatikan

Vatikan: Hinter den Mauern - Wer offiziell regiert, wer diskret die Fäden zieht

Wer offiziell regiert, wer diskret die Fäden zieht

Drucken

Schriftgröße

Die Kanüle, der Schleim in den Bronchien. Blutarmut und Antibiotika. Der Vatikan, gewohnt, im Horizont von Jahrhunderten und Erdteilen zu denken, ist dieser Tage ganz klein geworden. Es geht um einen 85-jährigen Mann, seinen gebrechlichen Körper, die Sorge, wie lange er noch durchhält.

Es wird für die katholische Kirche auch ein Leben nach Johannes Paul II. geben. Doch nicht nur die Demut verbietet es, öffentlich darüber nachzudenken, sondern auch das Kirchenrecht. Das zuletzt 1974 formulierte „Papstgeheimnis“ verlangt von allen vatikanischen Beamten unter Eid, über fast alles, was hinter den leonischen Mauern geschieht, zu schweigen. Sonst droht die fristlose Entlassung.

Natürlich wird dennoch nachgedacht – in diskreten Zirkeln, hinter den Türen prächtiger Paläste oder sonstwo. Man weiß es nicht. Seit es den sowjetischen Kreml und die „Kreml-Astrologie“ nicht mehr gibt, ist der Vatikan das letzte große, fantasieanregende Geheimnis der Weltpolitik. Der Pressesprecher des Vatikans, Joaquin Navarro-Valls, entzieht sich derzeit seinem Job und hält sich von Journalisten fern. Sogar das Fernsehen geht auf Distanz – und zeigte das gezeichnete Gesicht des Heiligen Vaters bei dessen letzten Auftritten nicht mehr in Großaufnahme.

Es ist um den Vatikan herum noch leiser geworden dieser Tage, und die Mauern, die die geistliche von der weltlichen Welt trennen, sind noch undurchdringlicher als sonst. Was geschieht hinter ihnen?

I. Der kleine große Staat
0,44 Quadratkilometer, ein Hügel aus Tuffstein, viele Kunstwerke, viele Bäume: Die irdischen Eckdaten des päpstlichen Reiches sind eher bescheiden. Hier ist dennoch ein ganzer Staat zu Hause – und so rührend minimalistisch dessen Alltagsgeschäft auch anmutet, so global ist sein Anspruch auf Geltung.

532 Bürger hat der Vatikan, davon sind 483 Geistliche. Sein Bevölkerungswachstum (1,15 Prozent im Jahr) hat demnach nichts mit der Geburtenrate zu tun. Die vatikanische Staatsbürgerschaft wird nur für die Dauer des Amtes verliehen. Selbst Johannes Paul II. ist immer noch (auch) polnischer Staatsbürger.

Der Heilige Stuhl ist eines der letzten Refugien der verstaatlichten Wirtschaft und einer der letzten reklamefreien Orte der Welt. Sonst hat er fast alles: eine Verfassung (absolute Wahlmonarchie), einen Nationalfeiertag (den 22. Oktober), eine Hymne und eine weiß-gelbe Fahne. Es gibt eine Radiostation, die in 48 Sprachen sendet, einen Hubschrauberlandeplatz, einen Bahnhof, von dem aus Johannes Paul II. ein paarmal ans Meer fuhr, eigene Euro-Münzen sowie eine Diplomatenakademie, in der seit dem 18. Jahrhundert die für ihre Raffinesse berüchtigten Auslandsvertreter ausgebildet werden. Und es gibt die „Sacra Rota“, das Gericht: Mit legendärer Langsamkeit entscheiden hier 20 Priesterrichter über jährlich 1200 Ehe-Annulierungen. Bei Scheidungen katholischer Aristokraten geht es etwas schneller.

Als Armee dienen die etwa 100 Angehörigen der farbenprächtigen Schweizergarde, die Papst, Paläste und Eingangstore schützen. Die Hellebarde tragen sie nur bei der „Thronwache“ neben dem Altar, ansonsten bedienen sie sich moderner Schnellfeuerwaffen. Das „Corpo di Vigilanza“, 55 Polizisten, die für die innere Sicherheit zuständig sind, nimmt sich in seinen schlichten dunkelblauen Uniformen daneben vergleichsweise unscheinbar aus. Ihren Hauptzweck erfüllen die Wächter – den Vatikanstaat vor Neugier der Außenwelt abzuschirmen. Der Blick durchs Schlüsselloch, der Tritt auf vatikanisches Territorium gelingt nur wenigen. Der Petersplatz ist Italien, der Petersdom gehört zwar zum Heiligen Stuhl – weiter als bis zum Altar kommen Besucher jedoch nicht. Die Audienzhalle wurde so gebaut, dass der Papst beim Empfang der Gläubigen auf vatikanischem Boden sitzt, die Besucher hingegen außerhalb.

Was rar ist, ist begehrt: Ein vatikanischer Ausweis, ein Konto bei der Vatikanbank, ein vatikanisches Autokennzeichen sind im römischen Alltag prestigiöse Insignien. Sie berechtigen zum steuerfreien Einkauf im einzigen vatikanischen Supermarkt und zum billigen Tanken an der einzigen Tankstelle.

Allen übrigen Sterblichen bleiben nur zwei Zutrittsmöglichkeiten: entweder eine Privataudienz beim Papst oder ein ärztliches Attest, das, an der Porta Sant’Anna vorgewiesen, den Weg zur vatikanischen Apotheke erlaubt. Deren jährlicher Umsatz ist unbekannt. Aber sie führt Caverject, ein beliebtes Medikament gegen männliche Erektionsstörungen, das es in Italien nicht zu kaufen gibt.

II. Ein Mann und seine Welt
Vieles geht nicht mehr – und das muss wehtun, einem wie Johannes Paul II. besonders. Mehr als eine Million Kilometer legte er einst auf seinen Reisen zurück. Solange es ging, wehrte er sich dagegen, seinen Aktionsradius schrumpfen zu lassen; wo es nicht mehr ging, half der Hubschrauber, das Papamobil, der Rollstuhl.

Doch dieser Tage ist seine Welt eng geworden: das Bett, die Privatkapelle, nur wenige Schritte vom Schlafzimmer entfernt. Die Dachterrasse, auf der er früher nach dem Essen spazieren ging, ist schon unerreichbar weit weg, ebenso das Fenster seines Arbeitszimmers, wo er vor Kurzem noch Sonntagmittag mit beinahe lautloser Stimme das Angelusgebet sprach.

Johannes Paul II. ließ grüne Brokatvorhänge aufhängen, nachdem er die päpstlichen Gemächer nach seinem Amtsantritt gründlich entrümpelt hatte. Er zeigte Besuchern bereitwillig, wie er dahinter lebte. Die Öffentlichkeit hat erfahren, dass ihn sein Privatsekretär, Stanislaw Dziewicz, morgens um 6.30 Uhr mit einem Glas Orangensaft weckt. Dass er am liebsten Krautsuppe und Käsekuchen isst und mit Wasser verdünnten toskanischen Rotwein trinkt und Gäste mit Hingabe bewirtet.

In den vergangenen Jahren sind die Mahlzeiten einsamer geworden. Heute können nur noch seine engsten Betreuer ihn verstehen, wenn er spricht. Er schlafe viel, heißt es. Seit Beginn seiner Lähmungen beobachteten Mitarbeiter immer wieder, wie Karol Wojtyla während ihres Vortrags einnickte. Diese Privataudienzen mit der Kurie sind das eigentliche Regieren des Papstes, der Vortrag verlangt eine Antwort. Kann ein Papst nicht antworten, muss die Entscheidung warten.

„So wie im menschlichen Leib einzig das Haupt die Vollgewalt der Sinne besitzt“, schrieb einer seiner Vorgänger, Innozenz III., so besitze in der Kirche, dem „mystischen Leib Christi“, allein der Papst die Vollgewalt über alle Entscheidungen. Wenn aber der physische Leib nicht mehr kann, wer entscheidet dann?

Rom-Besuchern wird am Petersplatz das Licht im päpstlichen Arbeitszimmer gezeigt, das abends bis elf oder zwölf Uhr hell erleuchtet ist. Die Lampe lässt man brennen, auch wenn der Papst längst schläft.

III. Die Macht – wer im Vatikan regiert
Der Vatikan ist eine christliche Theokratie – die einzige der Welt. Erst 1944, in seiner Weihnachtsansprache, akzeptierte Papst Pius XII. die Idee, dass Demokratie eine Möglichkeit für die unerlöste Welt sein könnte – bloß nicht für die Kirche. Dort gilt Gewaltentrennung als moderner Firlefanz: Der Papst ist Legislative, Exekutive und Jurisdiktion zugleich.

Johannes Paul II. wollte sich von Anfang an in der über die Jahrhunderte gewachsenen Bürokratie nicht verlieren, weiß Thomas Reese, einer der versiertesten amerikanischen Vatikanexperten: Er hat das Gros der unübersichtlichen Abteilungen ihrer Routine überlassen und wichtige Aufgaben auf wenige „Superminister“ verteilt, Männer seines Vertrauens.

Formal ist der Kardinalstaatssekretär, das Äquivalent eines Premierministers, der Zweite nach dem Papst. Auch real ist Staatssekretär Angelo Sodano der starke Mann im Vatikan: Der 77-jährige Piemonteser, der sich seine Sporen auf schwierigen Missionen in Südamerika und im Ostblock verdient hat, koordiniert seit 14 Jahren die Kurie und gibt der vatikanischen Politik die Richtung vor – zur völligen Zufriedenheit des Papstes.

Als ebenso einflussreich gilt der gleichaltrige, aus Marktl am Inn stammende Theologe Kardinal Joseph Ratzinger, der seit einem Vierteljahrhundert die Kongregation für die Glaubenslehre führt, die Nachfolgeinstitution der „Heiligen Inquisition“. Zwar werden Ketzer heute nicht mehr auf den Scheiterhaufen geschickt, und auch den „Index“, die Liste jener Schriften, die Katholiken nicht lesen dürfen, gibt es nicht mehr. Aber der konservative Ratzinger ist Chefideologe, der über die Rechtgläubigkeit der Schäfchen wacht und aufmüpfige Kleriker maßregelt.

Beide, Ratzinger und Sodano, hätten schon in Pension gehen können, weil sie älter als 75 sind. Doch Johannes Paul II. ließ sie nicht gehen. Er beförderte Ratzinger sogar zum Vorsitzenden des Kardinalskollegiums und damit zum formellen Leiter der Übergangsverwaltung nach dem Tod des Kirchenoberhauptes.

Dieser Zweierspitze gesellt sich ein Dritter hinzu: Der Italiener Giovanni Battista Re ist Chef der Behörde für Bischofsernennungen. So verfügt er über ein weltweites Personalwissen, das ihm erlaubt, Kirchenpolitik strategisch zu planen. Zwar darf ausschließlich der Papst die Bischöfe ernennen. Aber Re serviert dem Pontifex die Vorschläge unterschriftsreif.

Und was ist mit der „polnischen Mafia“, über deren Macht so viel gemunkelt wird? „Man kann tatsächlich von einer Polonisierung der Kurie sprechen“, sagt Sandro Magister, Vatikanspezialist des italienischen Magazins „L’Espresso“. Polen seien immer schon sehr stark in der vatikanischen Verwaltung vertreten gewesen. Mit der Ankunft Wojtylas habe sich ihr Anteil noch vergrößert. Sie tummeln sich in fast allen Ministerien – und auch in der unmittelbaren Umgebung des Papstes.

Die sechs polnischen Nonnen, die sich als Haushälterinnen um sein leibliches Wohl kümmern, diskutieren mit dem Heiligen Vater nicht nur fromme Themen, sie sagen auch ihre Meinung zu Politik und Wirtschaft – so zumindest erzählt es der italienische Ex-Premier Giulio Andreotti, der oft zum Mittagessen geladen war.

Der wohl prominenteste Exponent der polnischen Lobby ist Stanislaw Dziwisz, die graue Eminenz. Dziwisz ist nicht nur Privatsekretär des Pontifex, sondern auch „maestro di camera“: Der Pole entscheidet wer wann und wie lange zum Papst vorgelassen wird, und wird deswegen „heiliger Zerberus“ genannt. Um dessen eher informelle Position im Hierarchiegerangel zu stärken, hat der Papst seinen Landsmann zu höheren Ehren befördert, als den Sekretären früherer Päpste zuteil wurden: Dziwisz ist dem Rang nach Erzbischof, der Vermutung aller „Vaticanisti“ nach ist er sogar Kardinal. Johannes Paul II. soll ihn zuletzt „in petto“ ernannt haben – also ohne seinen Namen bekannt zu geben.

IV. Glanz, Geld und Gloria
Die Finanzgebarung des Papstes war über die Jahrhunderte hinweg Anlass zu Skandalen. Der extravagante Lebensstil der Päpste in der Renaissance, der von den Kirchenfürsten entfaltete Prunk, die Finanzierung des Petersdoms durch den Ablasshandel führten einst zur Abspaltung der Protestanten. In jüngerer Zeit, unter dem amerikanischen Bischof Paul Macinkus, gab es die Affären der Vatikanbank, die sich in ein wüstes Finanzgestrüpp von kriminellen Bankrotteuren, rechtsradikalen Freimaurerlogen und Mafiosi verstrickte. All das nährte immer wieder Gerüchte über versteckte Schwarzgelder, Geldwäsche oder die geheime Teilhaberschaft an multinationalen Konzernen.

Wie es wirklich um den päpstlichen Reichtum bestellt ist – darüber wissen nicht einmal die vatikanischen Finanzbehörden Bescheid. Bekannt ist, dass die Bürger des Kirchenstaates ein durchschnittliches Nettomonatseinkommen von rund 3000 Euro beziehen. Verglichen mit Italien, sagt Kardinal Sergio Sebastiani, der päpstliche Finanzchef, „sind die unteren Beamten besser bezahlt, die oberen schlechter“. Die Kardinäle führen ein eher bescheidenes Leben. Ihnen sind Dienstwagen der Golf-Klasse vorgeschrieben, und der Heilige Vater, bargeldlos aus Tradition, fuhr die längste Zeit, wenn er nicht gerade mit seinem Papamobil unterwegs war, unbeirrt den alten Mercedes von Paul VI., Baujahr 1966.

Inzwischen ist es gelungen, ein wenig Licht ins Dunkel der Finanzen zu bringen: 230 Millionen Euro gab der Vatikan zuletzt pro Jahr für seine Büros und Ministerien aus, in denen 2650 Menschen arbeiten. 52 Millionen erhielt der Heilige Stuhl durch Spenden und Erbschaften, und auf 5,7 Milliarden Euro wird das Guthaben der Vatikan-Bank geschätzt, die sich nach den Macinkus-Skandalen modernisiert hat und offenbar zu einer überschaubareren und risikoärmeren Gebarung übergegangen ist. Die Wirtschaftsjournalisten von „Milano Finanza“ hoben den

Papst kürzlich auf die Liste der zehn erfolgreichsten Investoren des Landes. Gemessen an der Milliarde Menschen, die der Kirche angehören, fällt das Budget ihrer Zentrale nicht allzu groß aus. Im Verhältnis zu seinen Bürgern ist der Vatikan aber der reichste Staat der Welt, berechnete das italienische Wirtschaftsmagazin „Economy“. Dazu kommen noch die unermesslich wertvollen Kunstgegenstände und Immobilien. Buchhalterisch haben die allerdings zwei wesentliche Nachteile: Die Peterskirche oder die Sixtinische Kapelle sind nicht zu Geld zu machen, und ihre laufende Erhaltung kostet Unsummen.

V. Finstere Mächte
Dan Browns Bestseller „Das Sakrileg“ schwelgt in Vermutungen, die längst schon viele hegten: Die Geschichte der katholischen Kirche, heißt es da, sei eine Geschichte von Verschwörungen. Das Geheimnis, dass Jesus und Maria Magdalena Kinder gehabt hätten, sei von der Amtskirche verdrängt und mit Gewalt unter der Decke gehalten worden – und mit ihm die gesamte weibliche Seite des Christentums.

Dass in zugigen Klostergängen und in verwinkelten Archiven finstere Mächte über Geheimnisse wachen und Intrigen gegeneinander aushecken, ist eine Projektion, die logisch aus der Natur der Settings erwächst. Ganze Heerscharen von Abtrünnigen und ausgestoßenen Insidern bedienen die Öffentlichkeit seit Jahren mit immer neuen Aufdeckungen über brutale Machtkämpfe und vertuschte Gewalttaten im Vatikan – bis hin zum Mord.

Vor einigen Jahren sorgte ein anonymes Enthüllungsbuch für Aufsehen, das den bis heute ungeklärten Dreifachmord im Milieu der Schweizergarde zu enträtseln versucht: 1998 waren der eben ernannte Chef der Garde, Alois Estermann, seine Frau Gladys und der junge Gardist Cedric Tornay in Estermanns Dienstwohnung erschossen aufgefunden worden. Die vatikanischen Behörden bemühten sich, den Fall so schnell wie möglich ad acta zu legen, sprachen von einem „Wahnsinnsanfall“ des jungen Gardisten mit anschließendem Selbstmord und schweigen seither.

Gerüchten ließ das viel Raum. Das Buch „Ihr habt getötet“ deckt einen angeblichen Machtkampf zwischen Opus Dei und den Freimaurerlogen auf und behauptet, ranghohe Geistliche hätten das Blutbad befohlen. Von „Netzwerken“ und „Seilschaften“ ist in diesem Diskurs ebenso oft die Rede wie von „Clans“ und „Geheimbünden“. Kann es denn Zufall sein, dass Papst Johannes Paul I., der den Logen den Kampf ansagte, nach nur 33 Tagen im Amt verstarb? Wird da nicht Gift im Spiel gewesen sein? Und wie war die Geschichte von Emanuela Orlandi, der jungen Tochter des Vatikanpförtners, die 1983 unter ungeklärten Umständen verschwand? Erwartete sie von einem „mächtigen Kardinal“ ein Kind – oder hatte sie eher beim Papstattentat zwei Jahre zuvor eine „mysteriöse Rolle“ gespielt?

Insbesondere das Opus Dei wird gern als allmächtige Sekte dargestellt. Tatsächlich hat dieser katholische Klub, der von seinen Mitgliedern unter anderem erwartet, sich selbst zu geißeln, unter Johannes Paul II. einen Aufschwung erlebt. Viele Bischöfe Lateinamerikas gehören dem „Werk Gottes“ an, ihr Gründer Escriva de Balaguer wurde heilig gesprochen, und mit Joaquin Navarro-Valls fungiert ein Opus-Mitglied als offizieller Sprecher des Vatikans. Doch die Macht des „Werkes“ werde maßlos überschätzt, meint Hansjakob Stehle, der Doyen des deutschsprachigen Vatikanjournalismus: „So wie früher die Jesuiten, so dämonisiert man heute das Opus Dei.“

Wahrscheinlich ist, dass im Vatikan Machtpolitik betrieben wird wie in jedem anderen politischen Gefüge. Wahrscheinlich ist auch, dass sich geistliche Würdenträger, die sich auf eine höhere Macht im Jenseits berufen, nur ungern weltlicher kriminalistischer Aufklärungsarbeit unterwerfen. Sicher jedoch ist, dass Verschwörungstheorien der katholischen Kirche indirekt nützen: Wer geheimnisvoll ist, erscheint mächtig – oft mächtiger, als er tatsächlich ist.

VI. Der Kampf um die Nachfolge
Für die meisten Medien war es im Oktober 1978 klar: Der Genueser Erzbischof Giuseppe Siri, der Wunschkandidat der mehrheitlich traditionalistischen Kurie, wird dem lächelnden Kurzzeit-Papst Johannes Paul I. nachfolgen. Die Reformer präsentierten ihren liberalen Kardinal aus Florenz, Giovanni Benelli. Keiner der beiden konnte jedoch die geforderte Zweidrittelmehrheit im Konklave hinter sich bringen.

Da fragte der Wiener Kardinal Franz König den Warschauer Primas Stefan Wyszynski: „Warum wählen wir nicht einen Polen?“ Der erschrak: „Das würde den Kommunisten gefallen, mich aus Polen wegzuhaben!“ König: „Nein, ich meine Wojtyla, den Erzbischof von Krakau.“ Darauf der Primas: „Wieso den? Der ist doch ganz unbedeutend!“

Diese Geschichte hat der österreichische Kirchenfürst einmal Hansjakob Stehle erzählt. Und der sieht diese kleine, aber folgenschwere Konversation als symptomatisch: Papst-Nachfolger sind nicht vorauszusagen. Bisher sind bei keinem Konklave die in der Öffentlichkeit gehandelten Favoriten gewählt worden. Wieder bestätigte sich der alte vatikanische Spruch: „Wer als Papst ins Konklave zieht, kommt als Kardinal wieder heraus.“

Dass die „vaticanisti“ seit Monaten emsig auf die Suche nach möglichen „papabile“ gehen, hat einen einfachen Grund: Es ist ihr Job. Manche glauben, fündig geworden zu sein. So sorgte ein Artikel des amerikanischen „Time“-Magazins vor wenigen Wochen für Aufsehen: Kardinal Josef Ratzinger werde der Nachfolger von Karol Wojtyla, hieß es da. Die große Mehrheit aller wahlberechtigten Kardinäle, so die Begründung, wurde von Johannes Paul II. ernannt. Diese würden sich auf jenen Mann einigen, der wie kein anderer sein konservatives Denken verkörpere: auf Ratzinger.

Diese Analyse sei irreführend, argumentiert Sandro Magister von „L’Espresso“: „Ratzinger ist ein Symbol-Kandidat, wie wir dazu sagen. Viele Kardinäle nennen auch im Gespräch mit mir seinen Namen. Doch sie meinen damit nicht so sehr seine Person, sondern die kirchenpolitische Richtung, die er anführt – die dogmatisch starke Kirche.“ Stehle jedoch glaubt nicht, dass eine dogmatische „Wojtyla-Fraktion“ in der Nachfolgefrage das Sagen haben wird. Zwar könne man zwischen konservativen und progressiven Kardinälen unterscheiden. Doch Fraktionsbildungen im eigentlichen Sinn gebe es, so Stehle, nur rudimentär. Die 120 Kardinäle seien über die ganze Welt verstreut, viele treffen einander beim Konklave das erste Mal, und ihre Interessen könnten unterschiedlicher nicht sein: Manche repräsentieren unterdrückte Kirchen kleiner Minderheiten, andere staatsnahe Kirchen in katholischen Ländern. Es gibt arme und reiche Kirchen, in den verschiedensten Kulturen. Manche Kirchenfürsten sind innerkirchlich Dogmatiker, sonst aber Reformer. Andere denken theologisch liberaler, pochen aber kirchenpolitisch auf Tradition.

In der Gruppe feierlich ornierter alter Männer, die im Konklave zusammenkommt, ist Raum für Dynamik, die sich erst aus der Situation heraus entwickelt: Entscheidend, so der Experte Reese, sei es, „dass ein Kandidat von Wahlgang zu Wahlgang stetig dazugewinnt“, dann könne er Unentschlossene auf seine Seite ziehen. Für Überraschungen wird gesorgt sein.

VII. Weißer Rauch
Im Mittelalter war es nicht ganz einfach, den Tod eines Papstes zweifelsfrei festzustellen. Es oblag dem Camerlengo, ans Totenbett zu treten, den Papst zu fragen, ob er schlafe, und ihm dabei dreimal mit dem Hammer auf die Stirn zu schlagen. Heute begnügt er sich damit, dem Toten den Fischerring vom Finger zu ziehen und ihn, wie auch das päpstliche Siegel, zu vernichten. Dann werden die päpstlichen Gemächer versiegelt.

Mit dem Tod eines Papstes geht immer auch eine ganze Ära der Macht zu Ende: Denn fast alle Kardinäle verlieren, ebenso wie der Staatssekretär, in diesem Moment ihre Ämter in der Kurie.

Das Konklave, das frühestens am 15., spätestens am 20. Tag nach dem Tod beginnt, ist ein streng ritualisiertes Zeremoniell, das wenig Rücksicht auf die Befindlichkeiten der oft greisen Würdenträger nimmt. Es muss im Vatikan stattfinden, was manchmal gefährlich war: 1623, in einem sehr heißen Sommer, starben acht Kardinäle und 40 ihrer Assistenten an Malaria.

Die Platznot in den Gemäuern des apostolischen Palastes hat sich verschärft, seit die Zahl der Kardinäle angewachsen ist. Die kargen Zellen, mit Bett, Stuhl, Betschemel und kaum Waschgelegenheit, waren ein Anreiz, die Papstwahl schnell hinter sich zu bringen. Ebenso wie andere Druckmittel, die Papst Gregor X. im 13. Jahrhundert einführte: Nach drei Tagen ohne Entscheidung wird das Essen auf einen Gang pro Mahlzeit reduziert, nach acht Tagen auf Wasser und Brot.

Erst Johannes Paul II. zeigte sich barmherziger. Für die Wahl seines Nachfolgers wird das Wohnhaus der Vatikanangestellten geräumt – alle Bewohner müssen ausziehen, ihre Suiten werden an die Kardinäle verlost. Auf dem Weg zur Sixtinischen Kapelle dürfen sie allerdings mit niemandem sprechen. Für „Tischdienst und Hygiene“ sind nur wenige Personen zugelassen, für Notfälle zwei Ärzte.

Wahlberechtigt sind alle Kardinäle unter 80 Jahren, die sich per Eid zu vollständiger Geheimhaltung verpflichten. Nach der Eucharistie ziehen sie in feierlicher Prozession in die Sixtinische Kapelle ein. Techniker suchen die Kapelle nach Wanzen ab, mit dem Ruf „Extra omnes“ („Alle raus“) werden alle Übrigen des Raumes verwiesen. Wer einmal drin ist im Konklave, darf es nicht mehr verlassen, bis unter dem Fresko des Jüngsten Gerichts von Michelangelo eine Mehrheit gefunden ist. Alle Fenster sind verschlossen, alle Telefone stillgelegt, alle Vorhänge zugezogen.

Eigentlich wäre die Möglichkeit vorgesehen, dass sich die Anwesenden „durch Inspiration des Heiligen Geistes“ auf einen Papst einigen – indem sie, frei und spontan, alle gemeinsam mit lauter Stimme denselben Namen sprechen. In der Praxis jedoch hat sich der Gebrauch von Stimmzetteln als sinnvoller erwiesen. „In verstellter, aber deutlicher Schrift“ sind die Kardinäle angewiesen, den Namen ihrer Wahl zu schreiben und den Zettel in einen mit einem Teller bedeckten Kelch zu werfen. Nach der Auszählung werden die Zettel mit einer Nadel auf eine Schnur gefädelt und verbrannt. Der Zeremonienmeister mischt Chemikalien bei. Der Rauch ist schwarz, wenn es noch weitergeht.

Wenn draußen hingegen der weiße Rauch aufsteigt, auf den die Fernsehstationen, die schon vor Monaten Wohnungen mit Blick auf den berühmtesten Schornstein der Welt anmieteten, gewartet haben, geht alles ganz schnell. Drinnen wird der neue Papst gefragt, welchen Namen er annehmen will. Er geht in ein Nebenzimmer der Sixtinischen Kapelle, das „Zimmer der Tränen“, und legt dort die weiße Kutte der Dominikaner an.

Als Monarch gekrönt wird der neue Papst nicht mehr – Papst Paul VI. hat seine Tiara in den siebziger Jahren an eine amerikanische Bank verkaufen lassen. Die Kardinäle knien vor ihm nieder, draußen ruft der Kardinaldiakon die Worte „Habemus Papam.“

Von Sibylle Hamann, Georg Hoffmann-Ostenhof und Thomas Migge (Rom)
Mitarbeit: Robert Misik