Chaostheorien

Verkehrsplanung. Wie Forscher den ständigen Staus in Großstädten begegnen wollen

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Von Alfred Bankhamer

Die größte Herausforderung für Verkehrsplaner im urbanen Gebiet ist der unregelmäßige Verkehrsfluss. Zu Stoßzeiten, etwa auf Wiens berüchtigter Südosttangente, gehört der Stau zum Alltag. Falls noch ein Unfall oder ein paar Baustellen dazukommen, ist das Verkehrschaos perfekt. Laut Schätzungen der Europäischen Kommission kosten Staus und überlastete Straßen die europäische Wirtschaft rund 100 Milliarden Euro pro Jahr. Kein Wunder, dass dieses brisante Thema eine Vielzahl von Verkehrsplanern beschäftigt.

"Das Konzept einer staufreien Stadt wird natürlich nie ganz erreicht werden“, sagt die Verkehrsexpertin Katja Schechtner, Leiterin für dynamische Transportsysteme beim Austrian Institute of Technology (AIT). Um beispielsweise den Straßenverkehr in Spitzenzeiten durchgehend staufrei zu halten, müssten Straßen extrem breit sein - was baulich unmöglich ist.

Stattdessen will man vermehrt auf kluge Lenkung der Verkehrsströme setzen. Deshalb werden in vielen Städten schon heute über Verkehrsmanagementzentralen Verkehrsinformationen in Echtzeit geliefert, um den Menschen die schnellste Route mit dem optimalen Verkehrsmittel zu liefern. An innovativen Telematik- und Informationssystemen sowie neuen Verkehrsmodellen wird weltweit intensiv gearbeitet. Dabei mangelt es nicht an Verkehrsdaten und Prognosemodellen. Die große Kunst ist jedoch, all die Verkehrsmittel optimal abzustimmen und die Informationen an die Passagiere zu bringen.

Dank zahlreicher Maßnahmen wie Verkehrsflussmessungen in Echtzeit, Analysen und Simulation von Menschen- und Verkehrsströmen, die das AIT und zahlreiche andere Forschungseinrichtungen in mehreren nationalen und internationalen Projekten durchführen, lassen sich zuverlässige Prognosen über Reisezeiten oder Kapazitätsauslastungen treffen. Dazu werden beispielsweise Mautdaten der automatischen Erfassungssysteme genützt, um einen multimodalen Echtzeitverkehrs-und Reiseinformationsservice zu entwickeln.

Ein Ziel ist es, das Mobilitätsverhalten der Nutzer zu ändern. Damit ausreichend viele Leute vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen, müssten diese noch deutlich attraktiver werden. Ein wichtiger Punkt im so genannten multimodalen Verkehr ist die Harmonisierung der unterschiedlichen Verkehrsträger, um Anschluss-und Umstiegszeiten zu verringern. Immerhin arbeiten nun mehrere Projektgemeinschaften daran, dass die für Fahrgäste oft unverständlichen Systembrüche - etwa zwischen ÖBB, Busunternehmen und städtischen Verkehrsbetrieben - gekittet werden.

Als informative Schnittstelle sollen sich besonders die neuen Smartphones durchsetzen, die den Verkehrsteilnehmern die zeitsparendste Route vorschlagen. Dies ermöglicht etwa die neue Smartphone-App "emixer“ für die Städte Brünn, Bukarest, Florenz, München, Oslo und Wien. Entwickelt wird diese Lösung im EU-Projekt In-Time mit 22 internationalen Partnern. Als österreichischen Beitrag hat das AIT die Evaluierung der Reisezeitinformationen in unterschiedlichen Testregionen durchgeführt. In Zukunft sollen aber nicht nur Handys zu persönlichen Reisebegleitern werden, auch Bus-und Bahnstationen sollen als multimediale Treffpunkte dienen, die über interaktive Displays weit mehr Verkehrsinformationen liefern als bisher.

"Es bringt aber gar nichts, nur ein Verkehrsmittel zu optimieren“, erklärt Katja Schechtner. "Es geht um das Zusammenspiel aller.“ Besonders auch Radfahrer und Fußgänger müssen in multimodalen Konzepten einbezogen werden. "Es muss immer eine Balance zwischen den individuellen Zielen, wonach jeder möglichst rasch und bequem sein Ziel erreichen will, und den gesamtgesellschaftlichen Zielen gefunden werden, nämlich kosteneffizient, sicher und umweltschonend.“

In einigen Bereichen von Städten wird noch dazu das gewohnte Bild gängiger Reglementierungen verschwinden. Das schon länger erprobte Konzept "Shared Spaces“ erzielt besonders in kleineren Städten wie Gleinstätten, Velden und Vöcklabruck durch das Entfernen von Ampeln, Straßentafeln und Straßenmarkierungen erstaunliche Effekte. Die Verkehrsteilnehmer suchen ohne die üblichen Orientierungshilfen verstärkt den Blickkontakt. Die Folge: deutlich weniger Unfälle und höhere Durchflussgeschwindigkeit mit in Summe geringeren Höchstgeschwindigkeiten. Im Herbst wird auch in Graz ein "Shared Space“ eröffnet.