Fahrprüfung

Verkehrsplanung. In den Bereichen der Mobilität tüfteln Forscher zurzeit an den großen Entwürfen der Zukunft

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Von Alfred Bankhamer

Ein gemütliches Frühstück mit Melange und einem Kipferl im Café Museum in Wien, um dann zeitgerecht vor der anvisierten Ausstellungseröffnung im Centre Pompidou zu Mittag in Paris noch einen Café au Lait zu genießen: Was bisher selbst kaum mit dem Flugzeug möglich ist und zwei Transfers zu den weit außerhalb liegenden Flughäfen samt Einchecken, Sicherheitskontrollen und Wartezeiten erfordert, könnte laut den Verkehrsexperten vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) bald auf dem Landweg möglich sein. Mit der neuesten Generation von Hochgeschwindigkeitszügen, dem "Next Generation Train“ (NGT), würden Fahrgäste mit bis zu 400 Kilometern pro Stunde in Doppelstockwagen durch die Landschaft gleiten. Die Forscher haben in einem groß angelegten Projekt für den NGT sogar schon einen Fahrplan entwickelt: Abfahrt vom neuen Wiener Hauptbahnhof beispielsweise um 8 Uhr, Ankunft in Paris Est um 11.47 Uhr.

Die Fahrzeit Wien-Paris soll dank des neuen, energieeffizienten Hochgeschwindigkeitszugs nur noch drei Stunden und 47 Minuten betragen - statt der heutigen zwölf Stunden. Und dabei macht der Zug sogar noch halt in Salzburg (um 8.49 Uhr), in München (9.17 Uhr), Stuttgart (9.59 Uhr) und Straßburg (10.26 Uhr). Pro Tag könnte es 16 direkte Verbindungen von Wien nach Paris geben. Diese Strecke haben die Verkehrsplaner zur Prüfung unterschiedlicher Szenarien gewählt, da dort das größte Potenzial vermutet wird. Und zwar weniger auf der Gesamtstrecke als zwischen den bislang typischen Kurzflugdestinationen wie München-Paris oder Stuttgart-Wien. Aber selbst auf der Gesamtstrecke Wien-Paris sollen den Berechnungen zufolge in naher Zukunft 450.000 anstatt bisher 37.000 Reisende pro Jahr den Zug nützen.

Damit würde das gute alte Dampf- oder besser E-Ross dem Flugzeug selbst noch bei Entfernungen von mehr als 1000 Kilometern ernsthafte Konkurrenz bieten können. Die Bahn hat nämlich einen großen Vorteil: Die Bahnhöfe befinden sich im Gegensatz zu den Flughäfen im Zentrum von Städten. Und genau in diesem Lagevorteil wittern die Experten des DLR ihre große Chance. Vom Karlsplatz bis zum neuen Hauptbahnhof in Wien sind es per U-Bahn nur rund zehn Minuten. Der Weg vom Gare de l’Est bis zum Centre Pompidou ist sogar noch kürzer. Wer hingegen beispielsweise das Flugzeug von Wien nach München nützt, könnte in Zukunft schon mehr Zeit mit Transfer- und Wartezeiten verbringen, als die gesamte Zugfahrt nach München mit einer Stunde und 17 Minuten dauert.

Um all die Anforderungen und Auswirkungen solch schneller Zugverbindungen, deren Realisierungschancen sowie das Fahrgastpotenzial ausloten zu können, haben die Verkehrsexperten des DLR ein umfassendes Modell mit mehreren Szenarien sowie ein technisches Konzept für den Zug erstellt. Dabei soll der Zug selbst - ein 202 Meter langer Doppelstockzug mit reichlich Komfort für 800 Passagiere - sogar deutlich weniger Energie pro Fahrgast verbrauchen als die heutigen Hochgeschwindigkeitszüge.

Wie ernst das Projekt NGT samt der notwendigen, zum großen Teil völlig neu zu schaffenden Schieneninfrastruktur genommen wird, zeigt, dass gleich acht Institute des DLR daran arbeiten. Geforscht wird unter anderem an der notwendigen Aerodynamik, dem Antrieb, an Sicherheitssystemen, Schallvermeidung und Komforterhöhung. "Wir wollen die weltweit führende Rolle der deutschen Bahnindustrie durch Innovationen nicht nur halten, sondern noch weiter ausbauen. Dazu sind die Erfahrungen aus Luft- und Raumfahrt bei Hochgeschwindigkeitszügen sehr wichtig“, sagt Joachim Winter, Projektleiter des NGT beim DLR.

Ob der für Wien-Paris erstellte Fahrplan tatsächlich jemals in Kraft treten wird, ist eine andere Frage. Ein Szenario sieht deshalb nicht den Neubau, sondern die Nutzung der bestehenden Hochgeschwindigkeitsstrecken wie beispielsweise Wien-Wels vor. Da würde der Zug immerhin nach gut fünf Stunden mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 196 Stundenkilometern in Paris ankommen und besonders bei den Zwischendestinationen schneller als die Flugverbindung sein.

Das Forschungsinstitut DLR selbst wird keine Züge bauen. "Wir stellen aber unsere Forschungsergebnisse schon während der Projektlaufzeit der Bahnindustrie durch Kooperation für Neuentwicklungen zur Verfügung“, erklärt Winter. "Der Nutzen des NGT für den Zugverkehr ist die hinzugewonnene Verkehrsleistung, die bei gleicher Sicherheit für die Fahrgäste wesentlich komfortabler, energieeffizienter und leiser erbracht wird.“