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Verschleiert

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Christian Rainer sieht mich, wegen meiner Kommentare zum Kopftuch für muslimische Frauen, „Hand in Hand“ mit der FPÖ.1) Das impliziert, auch bei Anerkennung der unterschiedlichen Motivation, eine ideologische Nähe zum rechten Eck, so nach dem Motto: Die Gründe sind egal, was herauskommt, ist der Wunsch nach staatlicher Bevormundung statt Meinungs- und Bekleidungsfreiheit. Dagegen verwahre ich mich. Die freie Kleiderwahl wird nicht von denen beschnitten, die gegen – geschlechtsspezifische – Bekleidungsvorschriften sind, sondern von den Bekleidungsvorschriften. Und gerade im Interesse der Meinungsvielfalt muss es möglich sein, differenziert zu argumentieren, statt kurzerhand in die Nähe eines politischen Lagers gerückt zu werden, das nicht nur anders motiviert ist, sondern auch ganz andere Ziele verfolgt.

Worum geht es? Nicht darum, das Kopftuch generell zu verbieten. Sondern um die Frage, ob es im öffentlichen Dienst getragen werden soll, und um die Frage, welche Hilfestellung unsere Gesellschaft Frauen und Mädchen geben muss, die das Kopftuch nicht aus eigenem Antrieb tragen, sondern aus Gehorsam einem Umfeld gegenüber, das ihre Bürgerinnenrechte beschneidet. Und in der Folge geht es um die Frage, ob wir uns eine erneute Debatte um die Zulässigkeit mühsam erkämpfter Frauenrechte oktroyieren lassen. Freiheit kann nicht das Ignorieren der bestehenden Gesetzeslage bedeuten. Die österreichische Verfassung bekennt sich zu einer Gleichstellung der Geschlechter. Spezielle Bekleidungsvorschriften für ein Geschlecht widersprechen diesem Gleichstellungsgebot, daher drückt ihre Befolgung dessen Missachtung aus. Und deshalb ist das Tragen des Kopftuchs im öffentlichen Dienst zumindest fragwürdig, weil es eine Absage an einen Verfassungsgrundsatz darstellt.

Ein anderes Kapitel ist der private Bereich. Frauen müssten sich unterordnen „dürfen“, schreibt Rainer. Aber das ist nicht das Problem, übrigens auch nicht das der Musliminnen, die auf dem Schleier bestehen – gerade sie wehren sich ja dagegen, als unterdrückt angesehen zu werden.

Das Problem sind diejenigen, die sich unterordnen müssen. Mädchen, die auf Geheiß ihrer Familien nicht am Schwimmunterricht, nicht an der Turnstunde, nicht an Skikursen oder Klassenausflügen teilnehmen dürfen. Frauen, die nicht ohne Ehemann, Bruder oder Sohn aus dem Haus dürfen. Kranke Frauen, deren Behandlung davon abhängt, ob der Ehemann sie ins Spital bringt und ob er erlaubt, dass männliche Ärzte sie untersuchen. Mädchen, die von ihren Brüdern misshandelt werden, wenn sie mit einem Jungen im Kino waren. All das gibt es. Hier bei uns. Und selbstverständlich hat der Staat nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, sich einzumischen, wenn das Familienleben so aussieht, dass Frauen daran gehindert werden, die ihnen hierzulande zustehenden Rechte in Anspruch zu nehmen.
Wegzuschauen, solange diese Frauen es nicht schaffen, in ihrer Zwangslage nach Hilfe zu rufen, davon auszugehen, dass Wehrlosigkeit Einverständnis bedeutet, wäre verantwortungslos.

Natürlich bedeutet das Tragen des Schleiers nicht automatisch, dass eine Zwangs- und Notlage vorliegt, aber dass die Einhaltung des Schleiergebots häufig mit äußerst rigiden familiären Verhältnissen einhergeht, ist nicht zu übersehen. Ein Schleierverbot wäre in solchen Fällen keine Lösung. Aber dass die Debatte vom Sinn und Hintersinn des Schleiers ausgeht, hat einen Grund.

Es hat viele Jahre gebraucht, bis in Österreich ein – übrigens vorbildliches – Gewaltschutzgesetz etabliert wurde. Es hat Jahrzehnte gebraucht, um im öffentlichen Bewusstsein zu verankern, dass familiäre Gewalt keine Privatsache ist und dass unter Gewalt alles fällt, was Menschen in ihrer Integrität und Würde verletzt und beschneidet.
Hinter diesen Erkenntnisstand sollen und wollen wir nicht zurückfallen.

Wenn das Islamische Bildungs- und Kulturzentrum in Wien eine Schrift zur „Kopftuchfrage in Europa“ verteilt, in der behauptet wird, dass der Hidschab, also der Schleier, „am besten in der Lage dazu ist, Reinheit, Würde, Anstand, Treue und Keuschheit einer Frau auszudrücken“, weswegen ein Hidschab-Verbot Frauen den „Schutz gegen sexuelle Übergriffe verwehren“ würde, dann ist das die alte Täter-Opfer-Umkehr, gegen die wir uns dreißig Jahre lang verzweifelt gewehrt haben. Keusche Frauen werden nicht sexuell belästigt, weil sie sich keusch kleiden. Eine Frau, die sexuell belästigt oder gar vergewaltigt wird, hat durch unkeusche Kleidung provoziert. Es hat lang gedauert, bis dieses Denkmuster zumindest nicht automatisch unwidersprochen blieb.

Nun soll es mithilfe des Hidschab wieder etabliert werden? Davor zu warnen und sich dagegen zu wehren, dass ohnehin noch nicht tief verwurzelte Freiheiten und Frauenrechte neuerlich infrage gestellt werden, muss erlaubt sein.
Bassam Tibi, international renommierter Islam-Wissenschafter und selbst Muslim, schreibt in seinem Buch „Europa ohne Identität“2), es gelte, die „kulturelle Moderne“ Europas und ihre „aufklärerischen Implikationen wie Menschenrechte und säkulare Demokratie gegenüber vormodernen Kulturen zu verteidigen“. Das sei „Aufklärungsarbeit und von Euro-Arroganz oder gar Euro-Rassismus klar zu unterscheiden“. Ich denke, daran kann man sich orientieren.

Die Menschenrechte definieren den Menschen als freies, selbstbestimmtes Individuum. Und: Frauenrechte sind Menschenrechte.