Verwirrung der Gefühle

Verwirrung der Gefühle

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Das war eine aufregende Woche. Eine Woche, in der ein großer historischer Bogen gespannt wurde. Vom europäischen Gedenken an das Ende des Weltkrieges bis zum Beschluss des Nationalrats, die EU-Verfassung anzunehmen. Beziehungsreiche Ereignisse, die ein helles Licht auf den gewaltigen Fortschritt warfen, den Europa in diesen sechs Jahrzehnten gemacht hat. Dennoch kam so recht Feierstimmung nicht auf. Vor allem auch in Österreich nicht.

Die Jubelfeiern wurden europäisch gut organisiert. Diesmal sogar vereint: Nicht nur trafen sich zum gemeinsamen Gedenken die ehemaligen Kriegsfeinde, die inzwischen seit Jahrzehnten im Rahmen der EU verbündet sind und sich gerade auf den Weg zu einer europäischen Staatsbildung machen – die Verfassung ist ein Schritt in diese Richtung.

Diesmal waren die Deutschen nach Moskau eingeladen. Und es feierten mit den Russen, die die Hauptlast des Kampfes gegen Hitler trugen und mit 27 Millionen Toten die meisten Opfer brachten, nicht nur ihre Erzfeinde im Kalten Krieg, die Amerikaner, sondern auch jene Länder, die nach dem Weltkrieg von Moskau jahrzehntelang unterjocht wurden und jetzt nach dem Ende der Teilung Europas in der EU ihre Heimat gefunden haben: Die polnischen und tschechischen, die ungarischen und teilweise sogar die baltischen Repräsentanten nahmen auf dem Roten Platz gemeinsam mit dem ehemaligen KGB-Agenten Wladimir Putin die Parade der russischen Armee ab. Fantastisch!

Bei uns versammelte sich das offizielle Österreich und erinnerte in Mauthausen in eindrucksvoller Weise an die Befreiung der Häftlinge der Nazi-Vernichtungslager, der Shoah-Überlebenden.

Das Pathos der Befreiung sprang aber auf das Volk nicht wirklich über. Warum nicht?
Zunächst: Trotz aller familiärer und schulisch-medialer Vermittlung – für viele Junge ist all das tatsächlich längst versunkene Geschichte, die sie nur wenig interessiert.

Aber das ist nicht alles. Die Ambivalenzen des Jahres 1945 sind auch nach sechs Jahrzehnten nicht verschwunden. Haben die Österreicher, die in der Deutschen Wehrmacht kämpften, nicht doch den Krieg verloren? Zumindest subjektiv? Für viele unter ihnen und für viele Familien, in denen die Söhne, Väter und Brüder an der Front gefallen waren, wurde das vielfach nicht als Befreiung, sondern als Niederlage empfunden. Nicht zuletzt aus der Diskrepanz zwischen der offiziellen Version, dass wir ein Opfer der Nazis waren, das dann 1945 befreit wurde, und dem gänzlich anderen Empfinden breiter Teile der Bevölkerung, hat Jörg Haider lange Zeit sein politisches Kapital geschlagen.

Zur Verwirrung der Gefühle trägt auch anderes bei:

Der populäre und in der österreichischen Psyche fest verankerte Figl-Satz „Österreich ist frei“ wurde 1955 gesprochen und nicht 1945. Der Nationalfeiertag ist nicht der 8. Mai, sondern der 26. Oktober, an dem man sich über die Befreiung von den Befreiern – die vollständige Unabhängigkeit des Landes – freut. Die Demokratie, die 1945 in Österreich wieder etabliert wurde, war nicht erst durch die Nazis 1938, sondern schon vier Jahre zuvor durch den klerikalen Eigenbaufaschismus zerstört worden. Der österreichische Antinazi-Widerstand – einer der Gründungsmythen der Zweiten Republik – war schwach und obendrein vor allem ein kommunistischer Widerstand. Der durchschnittliche nicht jüdische und nicht regimekritische Österreicher – ob nun Nazi, Mitläufer oder vollends unpolitisch – erlebte den Alltag in der Hitlerdiktatur trotz Krieg lange Zeit als nicht besonders unerträglich. Er profitierte vielfach materiell von den Raubzügen der Nazis gegen die heimischen Juden und in den eroberten Territorien. Unmittelbar nach dem Krieg aber herrschte bitteres Elend. Und zumindest seit 1947, als der Kalte Krieg begann, erschien der Erzfeind der Nazis, der Bolschewismus, wieder als der große Widersacher.

Hier soll keine Schuldzuweisung betrieben werden. Aber eins ist schon klar: Die politischen Eliten Österreichs – selbst in diese Dilemmata verstrickt – waren lange Zeit nicht bereit und fähig, durch öffentliche Debatten und gezielte Aufklärung die Bevölkerung aus diesen ihren emotionalen Ambivalenzen und Aporien herauszuführen.

Diese österreichischen Eliten waren auch in den vergangenen Jahren nicht imstande, den Bürgern Europa nahe zu bringen und die Leute an die EU heranzuführen. Es ist abenteuerlich, wie wenig hierzulande über die europäische Verfassung, die nun der Nationalrat ratifiziert hat, öffentlich gesprochen wurde. Und so passiert es, dass der schwer marode Rechtspopulist aus Kärnten – gestützt auf die Boulevardpresse – doch noch ein wenig punkten kann, wenn er sich darüber empört, dass das Volk nicht befragt wird, wenn es um so wichtige Entscheidungen geht.

Es funktioniert nach dem gleichen Schema. Die österreichische Politik ist fremdbestimmt, eine Verschwörung der Siegermächte von 1945 gegen das Volk: Mit diesen dumpfen unterschwelligen Sentiments hat Haider in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich Politik gemacht. Nun sind die Österreicher – so wird suggeriert – wieder fremdbestimmt: von Brüssel, wo seit 1995 die EU-Bürokraten mithilfe ihrer Wiener Handlanger gegen unsere Heimat Politik machen.
Nur gut, dass Haiders Charisma verblasst und er nur mehr ein Schatten seiner selbst ist.