Viel Harmonie mit wenig Substanz: Koalitionäre Eröffnungsbilanz der Regierung
Wenn Angela Merkel Nicolas Sarkozy besser verstehen will, schaut sie sich alte Filme mit Louis de Funès an. Das berichtet der Spiegel. Laut dem Hamburger Nachrichtenmagazin versucht die nüchterne, cool kalkulierende deutsche Bundeskanzlerin, mithilfe der cholerischen Zappel-Figuren des französischen Komikers (Louis und seine außerirdischen Kohlköpfe, Balduin, das Nachtgespenst, Oscar, der Korinthenkacker) den Charakter des sprunghaften, hyperaktiven französischen Staatspräsidenten zu begreifen.
Wenn Werner Faymann und Josef Pröll einander besser verstehen wollen, setzen sie auf Besuchsdiplomatie. Vergangenen Dienstagnachmittag stellten sich Kanzler und Vizekanzler den Parlamentsklubs ihres jeweiligen Koalitionspartners zur Fragestunde. Der eine, Pröll, erteilte amikal Auskunft über Budget und die Glaubensfrage Rapid oder Austria; der andere, Faymann, beantwortete Fragen zu EU und Kronen Zeitung. Nicht alle Parlamentarier waren von der interkoalitionären Zwangsbeglückung restlos begeistert wer hat schon gern einen fremden Kapitän in der Mannschaftskabine. Nach außen wurde freilich Begeisterung transportiert. Die Botschaften Faymanns und Prölls: Neuer Stil, Zeichen für den guten Willen, Entschluss zur guten Zusammenarbeit. Oder wie es der ÖVP-Abgeordnete Michael Ikrath süßlich formulierte: Alles Honig und Grießschmarren.
Es ist ein seltsames Paar, das Österreich seit dem 2. Dezember regiert: zwei Politiker mit hohem Wohlfühlfaktor, die dem geplagten Publikum fast zwanghaft beweisen wollen, dass eine große Koalition auch ein Dauer-Honeymoon sein kann. Während die Einschläge des globalen Wirtschaftsgewitters immer näher an Österreich herankommen, sind Faymann und Pröll damit beschäftigt, sich als politische Lebensmenschen zu inszenieren.
Die vorweihnachtliche Frohbotschaft der Demoskopen für das harmonische Duo: Ihr Stil kommt gut an. Das nach monatelangen Koalitionsquerelen, einem heftigen Wahlkampf und wochenlangen SPÖ-ÖVP-Verhandlungen geschlauchte Publikum zeigt mehrheitlich Vertrauen in die neue Republiksführung. 59 Prozent der Österreicher trauen laut einer Umfrage des OGM-Instituts für profil Werner Faymann und Josef Pröll zu, das Land sicher durch die Krisenzeiten zu steuern. Die unverbindliche Beschwichtigungsrhetorik des neuen Bundeskanzlers in den vergangenen Wochen wirkt. Faymann will wie ein Feuerwehrmann vorgehen: So viel Löschwasser wie notwendig, um den Brand zu löschen, es kann auch mehr sein. Niemand wisse zwar, was noch alles auf einen zukommt. Man solle die Bürger nicht anlügen, doch man dürfe nicht ständig an Untergangsszenarien arbeiten. Faymanns Kommunikationsstrategie: lieber nichts als Falsches sagen.
Dass die gewollte Einigkeit auf Dauer die Betriebskultur der neuen großen Koalition bestimmt, glauben freilich nur 50 Prozent der Österreicher ein indirektes Votum gegen die Regierungsform große Koalition: Denn bei den Wahlen am 28. September hatten SPÖ und ÖVP gemeinsam 55 Prozent der Stimmen erhalten. 47 Prozent der Österreicher sind der Meinung, die Harmonie zwischen Rot und Schwarz sei bald wieder vorüber. Wobei die Anhänger der Sozialdemokraten deutlich optimistischer sind als jene der Volkspartei: 69 Prozent der SPÖ-Sympathisanten glauben an die Fortsetzung des Kuschelkurses, bloß 50 Prozent im schwarzen Lager. ÖVP-Obmann Josef Pröll ist es offenbar noch nicht gelungen, die Parteibasis mit dem neuerlichen Regierungspartner SPÖ zu versöhnen. In den kommenden Monaten will der frisch gekürte Bundesparteiobmann wieder auf Tour durch die Bundesländer gehen, um bei den Funktionären um Verständnis zu werben. Erste Station war Freitag vergangener Woche Salzburg, wo er gemeinsam mit Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner bei Bevölkerung und Funktionären vor Ort Stimmungsaufhellung betrieb. Pröll: Wir müssen den Kontakt zu unseren Landesorganisationen pflegen und das nicht nur telefonisch.
Schöpfergeist. Doch so schwungwoll der 40-jährige Vizekanzler sein Amt auch angeht die Österreicher trauen der roten Truppe mehr zu. Laut profil-Umfrage erwarten sich 34 Prozent der Bevölkerung mehr Reformlust von der SPÖ als von der ÖVP. 27 Prozent sind der Meinung, die ÖVP werde sich besser schlagen. Als im Jänner 2007 das Kabinett Alfred Gusenbauer zum Dienst antrat, glaubten jeweils 27 Prozent an die Reformkraft von SPÖ und ÖVP. Optimismus angesichts der neuen Regierung versprüht der verfassungsmäßige Oberboss und ordnende Schöpfergeist der großen Koalition: Heinz Fischer. In einem Interview mit den Salzburger Nachrichten freute sich der Bundespräsident über eine Regierung, die sich bemüht, aus den Fehlern vergangener Jahre zu lernen. Fischer: Natürlich gibt es große Aufgaben, die vor dieser Regierung stehen. Aber der erste Schritt ist gelungen.
Größere Sprünge sind freilich nicht zu erwarten. Auf eine Staatsreform verzichteten Faymann und Pröll aus Rücksicht auf ihre Landeshauptleute im Vorhinein. Pröll: Die Realverfassung steht dem entgegen. Das Konjunkturpaket gegen die Wirtschaftskrise und die Unterstützungsmaßnahmen für die heimischen Banken hatte noch die Vorgängerregierung unter Alfred Gusenbauer und Wilhelm Molterer entwickelt. Ihre Nachfolger setzen es fort. Die rot-schwarze Eröffnungsbilanz ist insgesamt freilich ernüchternd: viel Gefühl, wenig Substanz. Vor allem die Neulinge patzten. Gesundheitsminister Alois Stöger, SPÖ, überraschte Freund und Feind in seinem ersten Interview mit der Ankündigung, über eine Verbreiterung der Beitragsgrundlage für die Sozialversicherung nachdenken zu wollen. Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl, wie Stöger Oberösterreicher, reagierte für seine Verhältnisse furios. Es sei eine Frivolität ersten Ranges, wenn der Ressortchef unmittelbar nach Amtsantritt neue Belastungen für die Beitragszahler ankündige. SPÖ-Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek forderte forsch eine gesetzliche 40-Prozent-Frauenquote in Aufsichtsräten österreichischer Kapitalgesellschaften und blitzte beim Koalitionspartner prompt ab. Sozialminister Rudolf Hundstorfer erkannte plötzlich die Nachteile der so genannten Hacklerregelung, die Büroangestellte beim Pensionseintritt gegenüber Schwerarbeitern besserstelle. Als ÖGB-Präsident hatte er noch vehement gefordert, die Hacklerregelung unbefristet zu installieren. Darüber hinaus stiftete Hundstorfer mit einer nebulosen Ankündigung, neue Steuern nicht ausschließen zu können, Verwirrung. Wissenschaftsminister Johannes Hahn, an sich ein Routinier, geriet in Erklärungsnotstand, da im Forschungsbereich über Nacht zwei Milliarden Euro weniger als ursprünglich vorgesehen budgetiert wurden. Und Bawag-Richterin Claudia Bandion-Ortner gelang das Kunststück, schon vor ihrem Amtsantritt als Justizministerin Wirbel auszulösen. Der Grund: Mit Georg Krakow soll ausgerechnet der Staatsanwalt im Bawag-Prozess zu Bandion-Ortners Kabinettschef aufsteigen.
Für das Publikum freilich eine Petitesse. Es will in erster Linie unterhalten werden, und sei es durch Ortners viel beschriebene Brillensammlung. Der Effekt: Ohne einen Tag im Amt liegt die designierte Justizministerin in der Beliebtheit der Österreicher auf dem vierten Platz, geschlagen nur von Bundespräsident Heinz Fischer, Josef Pröll und Nationalratspräsidentin Barbara Prammer. Direkt hinter Bandion-Ortner rangiert Werner Faymann. Insgesamt zeigen sich die Österreicher mit ihrer Regierung versöhnt. Nur Verteidigungsminister Norbert Darabos kämpft mit Imageproblemen. Dessen neue Agenden als Sportminister dürften sich freilich bald positiv auf die Beliebtheitswerte auswirken.
SPÖ-Chef Werner Faymann kann beruhigt in die Weihnachtsferien gehen. Laut Umfragen liegt die SPÖ bei 34 Prozent. Bei der Nationalratswahl hatten die Sozialdemokraten nur 29 Prozent erreicht. Josef Prölls ÖVP kommt derzeit auf 28 Prozent, am 28. September reichte es bloß für 26 Prozent. Könnten die Österreicher ihren Bundeskanzler direkt wählen, würden 26 Prozent für den SPÖ-Vorsitzenden stimmen, 23 Prozent für den ÖVP-Obmann.
In der Gunst der Österreicher hat die angewandte Harmonie Faymann und Pröll bisher genutzt. Dass sie den Vertrauensvorschuss der Bevölkerung für politische Großtaten nutzen wollen, versuchte der Kanzler in seiner Regierungserklärung vor zwei Wochen zu verdeutlichen: Wenn zwei Parteien sich in allen Fragen einen gemeinsamen Nenner zum Ziel machen, dann ist ihre Kraft nicht nur mit zwei, sondern mit vier zu multiplizieren. Da verstand wahrscheinlich nicht einmal mehr Josef Pröll seinen Spezi.
Von Gernot Bauer