Viele Fragen

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Diesmal: viele Fragen und kaum Antworten.

1. Die EU-Wahl ist vorbei, aber nach wie vor beschäftigt es mich, warum Josef Broukals Sager, es bliebe den Regierungsparteien unbenommen, dem Nationalsozialismus nachzutrauern, so viel mehr öffentliche und mediale Empörung ausgelöst hat als die Tatsache, dass in die Uniräte vor kurzem schlagende Burschenschafter eingezogen sind (zwei von ihnen waren bei Studentendemonstrationen in Handgemenge verwickelt, wurden aber durch außergerichtliche Regelungen vom Vorwurf der Gewaltanwendung befreit), deren ideologische Positionen den Schluss zulassen, dass zum Nachtrauern kein Grund besteht.

2. Frau Vera rief in ihrer gleichnamigen ORF-Fernsehsendung am 3. Juni auf, für den gebrochenen Vater (so das Insert) zu spenden, dessen halbwüchsige Tochter kürzlich verhungert ist, weil ihre – vom Vater geschiedene – Mutter Wahnideen bezüglich gesunder Ernährung entwickelt hatte.

Es liegt mir fern, über einen Mann zu urteilen, den ich nicht kenne. Allerdings frage ich mich, ob die Aufmerksamkeit, das warme Mitgefühl und die Hilfsbereitschaft, die ihm nun zuteil werden, nicht noch viel besser in die Mutter investiert gewesen wären, früher, als alle Kinder noch lebten und bevor es zu spät war.

Den Zeitungen entnehme ich, dass die Mutter seit sechs Jahren Alleinerzieherin von fünf Kindern war. Das muss nicht zwangsläufig zum Verlust der geistigen Gesundheit führen, aber dass so eine Situation belastend und massiv überfordernd gewesen sein könnte, liegt auf der Hand.

Ja, das Jugendamt hat eh nachgeschaut, und der Gemeindearzt hat mit dem Bürgermeister gesprochen, aber behördliche Zwangsmaßnahmen gegen Erziehungsberechtigte sind nun einmal etwas, was man nicht so rasch einleitet ...
Zu Recht. Vor der Entmündigung von Eltern schreckt man völlig berechtigt zurück. Aber wie wär’s mit ein bisschen mehr Zuneigung, Wärme, Zuwendung, Fürsorge und praktischer Unterstützung nicht nur für gebrochene Väter nach spektakulären Unglücksfällen, sondern auch – oder besser: vor allem – für überlastete Mütter in ihrem ganz alltäglichen Unglück eines erschöpfenden Alltags?
Stattdessen meist: Unverständnis und Ignoranz.

Die Mutter sei eine ganz eine Seltsame gewesen, erzählte eine Nachbarin nach dem Tod des Mädchens in einem Radiointerview. Ihre armen Kinder, die hätten nämlich nix Süßes kriegen sollen!

Ja, an so einer ist im Nachhinein alles pathologisch, sogar der an sich vernünftige Wunsch, dass Kinder nicht mit Süßigkeiten vollgestopft werden mögen.

3. Im „Kurier“ fand sich wenig später, nämlich am 13. Juni, zur Feier des Vatertags die neuerdings übliche Klage, dass immer mehr Kinder ohne männliche Bezugspersonen aufwachsen müssten, was ein mehrfach erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen, Suizid, Alkohol- und Drogenkonsum bedeute.
Ganz abgesehen davon, dass diese Behauptung, wie man weiß, seriös nicht haltbar ist: Warum, zum Teufel, überlegt man sich denn nicht vernünftige Unterstützungsmaßnahmen für die viel zitierte Ein-Eltern-Familie, sondern begnügt sich stattdessen damit, zuzuschauen, wie Mütter und Kinder strampeln und hampeln ohne Unterstützung, um genüsslich zu resümieren, ohne Männer bleibe der Karren eben im Dreck stecken?

Was wären denn die Lehren, die aus dieser Behauptung gezogen werden sollen? Jeder Mann im Haus ist besser als keiner? Wie er ist, ist wurscht, Hauptsache, er ist ab und zu da? Schlucken Sie alles, damit er bleibt? Campieren Sie heulend auf seiner Schwelle, damit er wiederkommt? Was immer Sie tun und wie sehr Sie sich auch bemühen, es bleibt wertlos, wenn Sie keinen haben, der Sie aufwertet?
Oder heißt die Message schlicht und einfach: Ätsch!?

4. „Pressestunde“ im ORF-Fernsehen, ebenfalls am
13. Juni. Zu Gast ist Dr. Gertrude Tumpel-Gugerell, Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank. Was hält sie von Frauennetzwerken?
Frauennetzwerke seien gut für gegenseitige Ermutigung und zum Informationsaustausch, antwortet Tumpel-Gugerell, aber sie ersetzten keine Führungspositionen für Frauen.

Interviewerin Hannelore Veith: Müsse man Frauen mehr Mut machen?
Tumpel-Gugerell: Es gäbe mittlerweile viele gut ausgebildete Frauen. Man müsse bloß adäquate Posten für sie haben.

Interviewer Ronald Barazon: In den USA seien die Frauen ja viel präsenter in der Wirtschaft, obwohl sie dort auch Kinder hätten und alle diese Probleme mit der Schule und so ... Vielleicht doch eine Mentalitätssache?
Eher, sagt Tumpel-Gugerell trocken, eine Frage der Organisierbarkeit des Alltags.
Die Interviewer wechseln das Thema.

Die Zuschauerin bleibt staunend zurück. Dass man einer wie ihr nicht zuhört, wenn sie sagt, die mangelnde Präsenz von Frauen sei keine Folge von fehlendem Networking, unterdrückten Ambitionen oder einer speziell österreichischen Hausmütterchenmentalität, sondern auf strukturelle Defizite und schlechte Rahmenbedingungen zurückzuführen – daran ist sie gewöhnt.
Aber dass es nicht einmal Frau Tumpel-Gugerell gelingt, sich verständlich zu machen, hätte sie nicht erwartet! Verblüffend.
Und eigentlich auch wieder nicht.