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Vom Wesen des Wünschens

Vom Wesen des Wünschens

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Ein guter Tag beginnt mit schlechteren Formeln: „Wie geht’s?“ – „Danke. Man lebt.“, und geht weiter mit einer mittelmäßigen Lüge: „Einen schönen Tag wünsch ich Ihnen noch.“

Den Teufel tun Sie. Denn abgesehen davon, dass Sie es sich wie die meisten Menschen abgewöhnt haben, dem andern einen „guten Tag“ zu wünschen, weil diese leere Grußformel selbst den Wurschtigsten schon als zu plan erschien und sich genauso gedankenlos durch „Juhu!“, „d’ Ehre!“ oder halt nur noch „Taag“ ersetzen ließe – „gut“ schließt da übertriebene Fürsorge oder gar eine störende ethische Auflage ein –, abgesehen davon also, dass Ihre Wortwahl eher ans Wetter als ans Wohlbefinden gerichtet ist, ist es Ihnen schnurzegal, welch Tag dem Gegrüßten beschieden sein mag.

Wenn Sie ihm nicht insgeheim ohnehin die Pest an den Hals wünschen oder seiner ganzen Sippschaft die Räude bis in die achte Generation, so haben Sie in den meisten Fällen nicht das geringste Interesse daran, dass sein Tag glücklich verläuft: Ob er mit Durchfall vor einer besetzten Bedürfnisanstalt zappelt, ob ihm vor einem ersten Rendezvous die Brieftasche gestohlen wird, ob die Erbtante vom Totenbett wieder aufersteht – es kratzt Sie nicht.

Wenn Sie an diese Person überhaupt denken, dann häufig ganz gegenteilig: Wenn ihr heute ein Stein auf den Schädel fällt, dann sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass Ihnen so was auch passiert, erheblich. Auch der Sammelwunsch ist deshalb so beliebt: Wenn Sie jemandem „alles erdenklich Gute, ein gesundes, gesegnetes und erfolgreiches neues Jahr“ sowie „die allerbesten Wünsche für die gesamte liebe Familie“ entbieten, so sind Sie erstens sicher, nichts ausgelassen zu haben, was die gesellschaftliche Konvention verlangt, zweitens dessen gewiss, dass nicht „alles“ eintreffen kann; weil Sie sich „Erfolg“ dumpf als einen endlichen Kuchen vorstellen, von dem Sie sich in diesem Jahr selbst eine ordentliche Schnitte abschneiden wollen, soll er sich mit dem Segen einer nur kleineren Bauchoperation zufrieden geben und sich von der Familie trösten lassen, wenn er geschäftlich eine Pleite erlebt. Darüber hinaus deutet so ein Sammelwunsch auf die denkbar höflichste Art an, dass man nicht vorhat, den Betreffenden in absehbarer Zeit gottbehüte auch noch sehen zu müssen.

Die Konvention, die so schwachsinnig konstruiert ist, dass jeder Mensch sich über das ihm „aufrichtig“ Gewünschte zu freuen hat, obwohl er weiß, dass er mangels Mutes des andern statt mit einem Stock mit einer Phrase erschlagen wird, verbietet wahre Wünsche.

Niemandem wird in den Sinn kommen, Ihnen Anfang Jänner eine Karte zu schicken, auf der draufsteht: „Liebes Unikum, pass auf deine Leber auf und sauf weniger in diesem Jahr, rauch bitte keine so bestialisch stinkenden Zigarren mehr, nimm dir noch ein paar Fahrstunden, sonst steig ich in dein Auto nicht mehr ein, mach dich nicht gleich an, wenn dich dein Partner weiterhin betrügt, bleib gelassen, denn wir sind alle in derselben Krise, fang endlich damit an, deine schrecklichen Kinder zu erziehen, und halt mir deine vertrottelten Brüder vom Leib. Mit all diesen Bitten bewaffnet, wünsch ich dir ein halbwegs klasses Jahr.“

So viel unerhörte Ehrlichkeit passt nicht zum Wünschen. Denn zum einen setzt sie beim Wünschenden voraus, sich selbst einzubringen, also schon viel über eigene Vorlieben und Abneigungen preiszugeben – und wer, dank zahlloser Statistiken gläsern gewordene Mensch wagt noch, die letzte Maske abzunehmen? –, zum andern würde dem bewünschten Sezierten auffallen, dass er ungleich mehr Spreu als Weizen zu bieten hat, und das erschüttert sein Ego, das ein seriösfarbiges Wunschkartenhaus zum Jahreswechsel neuerlich gestärkt hat.

Eingebürgert hat sich in jüngerer Zeit die kryptische Telefon-Formel: „Ich wünsch dir noch was“, und wenn es nicht, wie meistens, bloß schmerzblödes Geplapper ist – dem Idioten-Idiom „Mahlzeit!“ nicht unähnlich –, so kann das trotz hörbar lächelnder Stimme durchaus lebensbedrohlich sein.

Denn schließlich ist auch der Fluch ein Wunsch, wenngleich kein frommer. Wenn in einem Gebäude Hexen und Kobolde, Geister und Gespenster ihr Wesen treiben, dann liegt über dem Haus ebenso ein Fluch, wie es „verwunschen“ ist. Drum sagen wir, auch wenn was danebengegangen ist, „Verwünscht!“ (vulgäre Naturen sogar „Verflixt“).

Obwohl dem Wünschen Unehrlichkeit immanent ist („Frohes Schaffen“ ist wenigstens deutlich hämisch), sind Leute immer noch froh, sich ihre „Wunschvorstellung“ durch ein „Wunschkind“ oder einen „Wunschkandidaten“ verwirklicht zu haben, wünschen „ad multos annos“ oder (denksparsam), „dass deine Wünsche in Erfüllung gehen“, und sogar, am Theater verpönt, „viel Glück“ – das ist halt ihr Vogerl. Georg Christoph Lichtenberg wünschte noch: „In dein Betragen – Welt, in deinen Beutel – Geld, Witz unter deinen Hut, Feuer in dein Blut“, aber würden heute „geheimste Wünsche wahr“, leerte sich die tabula rasant.

Alles Gute!