Von China bis Capri

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Das internationalisierte Denken fängt jetzt schon im Kleinen an: Da zitiert Wirtschaftsminister Martin Bartenstein in der ORF-„Pressestunde“ „den besten Pensionsexperten auf deutschem Boden“, wo er doch eher den deutschsprachigen Raum gemeint hat. Ist er am Ende im großdeutschen Idiom ausgerutscht? Aber nicht doch: Das ist bloß die Globalisierung des kleinen Mannes.

Die Großen packen es größer an. Bundespräsident Heinz Fischer reiste nach Indien. Er freute sich über die viele Arbeit, die jetzt dort erledigt wird und nicht mehr im sozialverkrusteten Europa, unterstützte seinen hundertköpfigen Wirtschaftstross, damit weiter im Ausland investiert wird und nicht in Österreich.
Also hoch die globale Solidarität!

Wolfgang Schüssel zog das Menschenrechtsparadies China vor. Er hatte auch eine Wirtschaftsdelegation im Gepäck mit möglichst viel Kapital, das möglichst schnell aus der Republik verschwinden will.
Aber keine Bange: Die Zentrale bleibt in Wien, die Telefonzentrale.

Dazwischen globaler Körpereinsatz: Karl-Heinz Grasser macht einen Arbeitsbesuch in Capri. Red Bull in der blauen Grotte. Eine Exportoffensive und eine Rückkehr des Heimatlosen an seine politischen Wurzeln. Spatenstich bei Tirols bekanntestem Ausfuhrartikel. Trilaterale Gespräche mit Flavio und Briatore.
Karl-Heinz Esgehtnochgrasser!

Deutschglobal: Der SPD-Bundesvorsitzende Franz Müntefering hat die erste wirtschaftspolitische Diskussion in diesem Jahrtausend begonnen. Der Vorgesetzte von Gerhard Schröder, des „Genossen der Bosse“, kritisiert „die Macht des Kapitals“, beschimpft Finanzinvestoren als „Heuschrecken“, die „kurzatmig“ um des Profites willen „den Staat aushungern wollen“.

Man könnte meinen, den Sozis sei die Streitkultur wiedergegeben worden, wäre der Zweck der Übung nicht zu offensichtlich: Wählerfang. Alles sehr flach inszeniert: Auch Kanzler Schröder war eben erst in China (Dezember 2004) und in Indien (Oktober 2004), um deutschen Konzernen die Bauplätze für ihre Fabriken zu planieren. Müntefering war als Verkehrsminister noch 1999 ein pragmatischer Privatisierer.

Jetzt meint Münte – neben Schröder der mächtigste Deutsche – gar, dass es eine deutsche „Nationalmoral“ geben müsse: eine Wirtschaftspolitik, die deutschen Wohlstand und deutsche Arbeitsplätze höher hängt als das Volkseinkommen und die Jobs außerhalb der Bundesrepublik.

Das ist nicht weiter überraschend. Aber immerhin pikant: Die Linke besinnt sich auf ihre zentrale Aufgabe – die Kapitalismuskritik – und verrät im selben Atemzug einen ihrer Grundwerte – die internationale Solidarität.

Stand der Diskussion in Österreich: Sie ist mal wieder nicht zu Stand gekommen.
Liegt wohl einerseits an der Unfähigkeit der SPÖ zur populistischen Opposition. Dabei hätte es Alfred Gusenbauer leichter, weil er – anders als die SPD – nicht seine eigene Politik kritisieren müsste. Das liegt andererseits an der Unwilligkeit der ÖVP, die nun einmal eine Beamten-, Krämer- und Bauernpartei ist und damit ungefähr so manchesterliberal wie das Opus Dei.

Im Grunde lässt sich die gesamte Globalisierungsentwicklung auf eine sichere Antwort und auf zwei offene Fragen reduzieren, somit nur auf eine Wahrscheinlichkeitsaussage über die Zukunft der Welt.

Die sichere Antwort: Die Globalisierung der Weltwirtschaft wird nicht zu stoppen sein. Wie auch? Wer versucht es überhaupt? Die Industrieunternehmen werden weiterhin überproportional außerhalb unserer Welt investieren. Das Geld wird dorthin fließen, wo die Arbeit billig ist und – schöner Nebeneffekt – wo das solcherart produzierte Wachstum auch noch neue Kaufkraft schafft. Wer da nicht mitspielt, hat auf jeden Fall verloren.

Die offenen Fragen sind somit lediglich: Wird der Rest der Welt wachsen, um uns eines Tages auf unserem Wohlstandsniveau einzuholen? Oder wird auf der einen Seite gewachsen und auf der anderen geschrumpft, bis sich der Chinese und der Österreicher, der Inder und der Deutsche irgendwo in der Mitte des globalen Wohlstandsgefälles treffen?

Gesichert ist also: In Indien und China entstehen neue Jobs, in Wien und in Capri nicht. Allenfalls (bestenfalls) wird es zur Verlagerung eines Jobs von Wien nach Capri kommen. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.