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Von zweiter Hand in den Mund

Von zweiter Hand in den Mund

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Oft werden wir von den Ausübenden anderer Berufe aus falschen Gründen beneidet. Wie ereignisreich sei doch unser Job, wie viele interessante Menschen lernten wir doch kennen, wie viele Neuigkeiten erführen wir aus erster Hand, welche verborgensten Geheimnisse würden uns anvertraut, und wie hochintelligent müssten wir sein, um blitzschnell diese heiße Kost der Leserschaft als Augenschmaus servieren zu können.
Diese goldenen Worte glaube ich gern, denn es kann kein größeres Labsal geben, als einem Landeshauptmann zum zweiundvierzigsten Mal bei der Eröffnung eines Radweges zuschauen zu dürfen; um solchen Knüllern wenigstens einigermaßen nervenschonend begegnen zu können, haben wir uns allerdings ein gewisses Klischeema zurechtgelegt. Die verschiedenen Kategorien (Ressorts) befehlen ihrer Arbeit spezifische Imperative: so wünscht der noble Kulturredakteur: Rede, Wendung!; der durchblickende politische Redakteur verfügt: Schlag, Zeile!; und der blut-und-boden-ständige Lokalredakteur diktiert: Stich, Wort!

So schreiben wir alle in verlässlich monotoner Stereotypie vor uns hin, um aber der langen Weile einen kurzen Sinn zu geben, haben wir uns angewöhnt, uns auf völlig unbekannten, noch von keines Menschen Sinn je wahrgenommenen Gemeinplätzen zusammenzurotten; alle verblüffend, enthüllen wir, dass Ärzte aufopfernd sind, Helfer selbstlos, Suchen fieberhaft und Täter eiskalt. Würden diese Adjektiva nicht ständig auf unseren Händen liegen, wäre die Leserschaft ob unser gedanklichen Armut nicht bloß verzweifelt, sondern völlig verzweifelt – sie wäre von der karstigen Berichterstattung nicht etwa enttäuscht, sondern maßlos enttäuscht; ihr Vertrauen in uns wäre nicht erschüttert, sondern total erschüttert – und unsere Auflage wäre nicht restlos ausverkauft.

Anderseits müssen wir Begriffe und Ereignisse, die für die Lesenden unerwartet, wenn nicht gar überraschend sind, in eine vertraute Dimension rücken, damit die Adressaten der Nachricht diese sofort in ihr Denkmuster einordnen können. So kann etwas nur so brav wie ein Kreuz sein, so fromm wie ein Lamm, so klug wie ein Neunmal, so fidel wie ein Quietsch oder ein Kreuz, sauer wie ein Stink, besoffen oder nüchtern wie ein Stock, satt wie ein Nimmer, und selbstverständlich ist immer was neu wie ein Funkelnagel, voll wie ein Sternhagel und wild wie ein Fuchsteufel.

Was uns tagtäglich begegnet, ist uns nicht alles einerlei, ist nicht so mir nichts, dir nichts, erhebt sich beträchtlich über den geläufigen Durchschnitt. Um signifikant riskante Höhen differenziert beschreiben zu können, begeben wir Wordaholics uns in die sprachliche Superlatiefe.

So ist ein herausragender Mensch natürlich nicht irgendein ordinärer Star in seiner Disziplin, sondern ein Super-Star, wenn nicht gleich ein Mega-Star. Sein Auftreten ist ein Mega-Event, das herzustellen Veranstalter, die dem Mega-Trend folgen, bemüht sind. Gottes Schöpfung der Welt war bestimmt ein Mega-Hype. Wenn bei Skirennen nicht einer um eine Minute führt, ist dessen Ausgang ein Hundertstelsekunden-Krimi. Wenn eine Fußballmannschaft nach zehn Minuten nicht mit neun zu null vorne liegt, gleicht das Match einem Thriller.

Irgendeiner in unserer Branche hat einmal herausgefunden, dass es nicht nur den Begriff Buch gibt, sondern
auch das Ding Drehbuch; mitreißender allerdings klingt
ein Handlungsablauf, wenn er Szenario genannt wird, schreckenerregend, wenn „sich ein Horrorszenario dar-
bot“ – damit kriegt mühelos jedes gängige Glatteis was Gespenstisches. Da es ebenfalls modisch geworden ist, etwas Tradiertes gegen was eben erst Geschaffenes „alt aussehen“ zu lassen, warte ich sehnsüchtig auf den Satz: „Das neue Einkaufszentrum in Kiegritzbatschen lässt die Pyramiden wirklich alt aussehen.“

Nichts auf der Welt allerdings ist dem hellwachen, quicklebendigen, kreativen Journalisten so widerlich wie die ewigen Phrasenschmeichler, nichts verabscheut er mehr als „abgedroschene Redewendungen“. Er sieht seine Welt stets neu, er findet sich in ihr argusäugig und luchsohrig zurecht, er vermittelt sie der atemlosen Leserschaft, der schon nach wenigen Silben auch noch die Spucke wegbleibt, mittels hauchzarter Prosa oder wagnerianischer Wortgewalt. Diese Welt macht uns, die wir den kollegialen Kaskaden nachsinnen, ein kleinwenig beklommen, denn sie ist trist ausgestattet. Es wimmelt in ihr von Lokalen, die nach „billigem Parfum riechen“, viele ihrer Personen „erlauben sich einen üblen Scherz“, ihre Handlungsweisen erinnern an „einen geschmacklosen Film“, die aufregendsten Akzente noch werden gesetzt „wie in einem schlechten Kriminalroman“ – ein Elend, wohin wir schauen.

Womit haben es sich unsere Zeitzeugen verdient, dass sie sich nie wohlduftende Lokale leisten, sich geschmackvolle Filme ansehen, originelle Witze hören und vor allem gute Kriminalromane lesen durften?

Ganz anders sind da die atemberaubenden, geistreichen, fantasievollen Journalistinnen. Sie würzen die Buchstabensuppe mit Salz und Pfeffer. Aber total.