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Von Völkern und Tätern

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Die Antisemiten sind wieder unterwegs. In Europa im Allgemeinen. Und in Österreich und Deutschland im Besondern. Ist das wirklich so?

Vergangene Woche hat Sven Gächter im profil-Leitartikel mit dem Titel „Man trägt wieder Braun“ einerseits über den freiheitlichen Bundesrat John Gudenus geschrieben, der in einem Leserbrief an profil vor kurzem die Abtreibung mit dem Holocaust verglich und erklärte, dass „jetzt zehnmal mehr Unschuldige völlig legal umgebracht werden, als Hitler Juden illegal ermorden lieߓ. Andererseits über Ronald Seunig, den Gründer und Besitzer der Duty-free-Oase Excalibur City, der penetrant Adolf Hitler verteidigt: „Es war nicht alles schlecht.“

In Deutschland wiederum fiel der CDU-Abgeordnete Martin Hohmann unangenehm auf, als er verkündete, man könne „die Juden mit einiger Berechtigung“ als „Tätervolk“ bezeichnen, weil so viele von ihnen an der Spitze der Bolschewisten gestanden seien. Und der deutsche Brigadegeneral Reinhard Günzel, Chef des Kommandos Spezialkräfte, lobte in einem Solidaritätsbrief an Hohmann dessen seltenen „Mut zur Wahrheit und Klarheit“. Er spreche der „Mehrheit unseres Volkes eindeutig aus der Seele“. Ein hoher Funktionär der freiheitlichen Akademiker in Österreich wollte dem deutschen General nicht nachstehen und verteidigte in einer Presseaussendung die haarsträubende Geschichtsinterpretation Hohmanns.

Drücken diese Leute wirklich aus, was das Volk glaubt? Der Publizist Paul Lendvai neigt zu dieser Ansicht: Antisemitismus werde, schreibt er im „Standard“, „anscheinend salonfähig“. Das seien keine Ausrutscher, nicht Entgleisungen: „Der Fall Hohmann ist nur die Spitze des Eisberges.“

Für Österreich mit der Haider-Partei an der Regierung diagnostiziert Sven Gächter Ähnliches: „Die alte Normalität erhebt wieder ihr graues Haupt – eine gespenstische Normalität, die beispielsweise auch ideologischen Käuzen wie Ronald Seunig und John Gudenus eine heimelige Zuflucht bietet.“ Und Gächter fragt bange, wann nach den Käuzen „die Falken aufsteigen“.

Keine Frage: Es gilt wachsam zu sein. Und es ist und bleibt ein historischer Skandal, dass sechzig Jahre nach dem Kriegsende, sechzig Jahre nach Auschwitz judenfeindliche Haltungen gerade auch in den „Täterländern“ hartnäckig weiter existieren und Rassisten öffentliche Positionen einnehmen können. Aber gleichzeitig gibt es doch auch Anlass genug, ein wenig gelassener zu sein.

Alle Umfragen zeigen, dass in den westeuropäischen Ländern der Antisemitismus in den vergangenen Jahren sukzessive und drastisch zurückgegangen ist. Nicht nur das: Die Versuche, mit Antisemitismus Politik zu machen, sind überall jämmerlich gescheitert. Erinnern wir uns an die Wiener Gemeinderatswahlen 2001, als Jörg Haider glaubte, mit seinen judenfeindlichen Auslassungen beim Publikum punkten zu können. Vergeblich: Die FPÖ stürzte ab. Auch Haiders Bündnis mit Saddam, im gemeinsamen Abwehrkampf gegen die Ostküste und den Zionismus, hat ihm bekanntlich bei den österreichischen Wählern nicht genützt.

Der FDP-Politiker Jürgen Möllemann, der mit dem alten Kalauer, wonach die Juden selbst durch ihr Verhalten Antisemitismus produzierten, Wähler ködern wollte, vermasselte seiner Partei im Vorjahr das Wahlergebnis, wurde aus der FDP ausgeschlossen – und nahm sich schließlich infolge einer Korruptionsaffäre das Leben.
Der forsch-rechte General Günzel wurde sofort vom deutschen Verteidigungsminister Peter Struck gefeuert. CDU-Mann Hohmann jedoch wurde von seiner Partei zwar lediglich gerügt und parlamentarisch degradiert – aber jeder weiß, dass seine Karriere damit zu Ende ist.

Da mag Wolfgang Schüssel skandalöserweise geschwiegen oder verharmlost haben, wenn Haider, Stadler und Konsorten Ungeheuerliches von sich gaben. Auch die deutsche Union mag Hohmann möglicherweise nur aus taktischen Gründen nicht stante pede aus der Partei ausschließen: Salonfähig sind diese Figuren letztlich dennoch nicht. Dafür sorgt am Ende doch, trotz rechten und verwirrten Zeitgeistes, die mediale Öffentlichkeit in Europa.

Die sich auch über eine Umfrage von Eurostat erregt hat. Da wurden die EU-Bürger gefragt, von welchem Land die größte Gefahr für den Weltfrieden ausgehe. Und siehe da: In fast jedem europäischen Land wurde Israel – noch vor dem Iran und Nordkorea – an die Spitze gesetzt. Der Kommission, welche die Umfrage in Auftrag gegeben hat, war das peinlich. Sie distanzierte sich von den Meinungsforschern und deren Ergebnissen. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles interpretiert sie so: Die Untersuchung zeige, „dass der Antisemitismus in Europa tiefer verwurzelt“ sei als zu jeder anderen Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

Man kann gewiss besorgt darüber sein, dass in der arabischen Welt die Feindschaft gegenüber Israel ideologisch vielfach aus Europa importierte klassisch antisemitische Formen annimmt. Dass aber die europäischen Mehrheiten, die heute der israelischen Politik kritisch gegenüberstehen, antisemitisch motiviert wären, ist mehr als fraglich.

Man solle doch bedenken, meint Peter Melvyn, Sprecher der jüngst in Wien gegründeten Sharon-kritischen Gruppe „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden“, „dass die Sorge der Europäer vielleicht berechtigt ist“.

Es ist ja kein Geheimnis, dass – neben den Suizid-Terroristen von Hamas und Dschihad – vor allem die israelische Rechtsregierung alles daransetzt, mögliche friedliche Lösungen des Nahost-Konflikts zu sabotieren. Und dass die weitere kriegerische Eskalation in dieser so wichtigen Region den „Weltfrieden“ bedroht, ist evident.