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Wachstum: Supersize Me

Über Begleiterschei-nungen des Wachstums

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Die ersten Tage wird Angelika Kresch nie vergessen. „Mein Mann Otto und ich haben im September 1990 mit fünf Mitarbeitern begonnen“, berichtet die Geschäftsführerin der steirischen Remus GmbH. „Seither hat sich alles komplett verändert. Zu Beginn haben wir noch fast alles selbst gemacht. Heute hat Remus 700 Mitarbeiter, drei Werke und ein eigenes Forschungs- und Entwicklungszentrum.“

Mit dem einst gegründeten Betrieb hat Remus heute fast nur noch den Namen gemeinsam. Wissend, dass kleine Zulieferunternehmen in der Automobilbranche oft nur kurze Lebenszeit haben, setzte Kresch konsequent auf Wachstum. Im fünfzehnten Jahr des Bestehens ist das Unternehmen nach eigener Darstellung Weltmarktführer für Sportauspuffanlagen und Abgassysteme und erwirtschaftet 82 Millionen Euro Umsatz. 90 Prozent aller Erzeugnisse gehen in den Export. Beliefert werden Automobilhersteller wie VW, Opel, Mercedes, Saab, Volvo, Mazda und Seat.

Schon einen Monat nach der Gründung von Remus erfolgte der Spatenstich für das erste Werk, ein Jahr später hatte das Unternehmen 100 Mitarbeiter und lieferte seine Auspuffanlagen bereits nach Japan und Singapur.

„Es gab natürlich einen Businessplan und genaue Ziele, wo das Unternehmen in drei und in fünf Jahren stehen soll. Die tatsächliche Entwicklung ist aber viel progressiver verlaufen als erwartet“, sagt Kresch, die sich bald Herausforderungen gegenübersah, die typisch für rasch wachsende kleine oder mittelgroße Unternehmen sind: Neue, zuvor nicht erforderliche Strukturen mussten geschaffen werden, um das Unternehmen den geänderten Bedingungen anzupassen.

Obwohl Kresch und ihr Mann oft 15 Stunden pro Tag im Unternehmen arbeiteten, war es bald unmöglich, das Geschäft als Duo zu führen, und eine zweite Managementebene musste installiert werden, um die Gründer zu entlasten.

Es sollte nicht das letzte Mal bleiben: Inzwischen wurde das Unternehmen bereits dreimal völlig umgekrempelt, bei jedem Mal die Organisationsstruktur grundlegend geändert: „Die erste Reorganisation wurde bei 50 Mitarbeitern notwendig, die zweite bei 150 Beschäftigten, und die dritte, als wir rund 400 Mitarbeiter hatten“, berichtet Kresch. Mit der ständig wachsenden Mitarbeiterzahl sei es notwendig geworden, Abteilungen zu definieren, Abteilungsleiter zu bestimmen, ein strukturiertes Controlling zu etablieren – und sich parallel dazu selbst mehr und mehr aus dem Tagesgeschäft zurückzunehmen.

Kresch gibt zu, dass ihr das Loslassen nicht ganz leicht fiel: „Als Chef ist die Versuchung groß, alles besser wissen zu wollen. Wir haben aber durch das Wachsen viel gelernt. Dinge, die noch vor ein paar Jahren meine Aufgabe waren, werden heute von anderen betreut.“

Bei ihrer Entwicklung unterstützt wurden die Auspuffspezialisten von der Steuerberatungskanzlei der ersten Stunde. „Wir sind in dieser Hinsicht sehr konservativ“, meint Kresch, die auch bei der weiteren Expansion auf das im Lauf der Jahre geflochtene Beraternetzwerk setzt – vom Steuerberater über den Wirtschaftsprüfer bis zum Patentanwalt. „Gute Berater sind eine Sache. Viel schwerer ist es aber oft, die richtigen Mitarbeiter zu finden“, weiß die Unternehmerin. „Jemand, der in einem Team mit 50 Leuten hervorragende Arbeit leistet, ist nicht unbedingt auch in einem Team mit 700 Mitarbeitern gut.“

Personalprobleme. Diese Einschätzung teilt auch Attila Dogudan, Gründer und Vorstand der Wiener Do & Co Restaurants und Catering AG. „Und eine gute Nummer zwei ist nicht unbedingt eine gute Nummer eins“, ergänzt Dogudan. „Ich habe schon mehrmals gedacht, ein Mitarbeiter habe das Zeug zum Geschäftsführer für England oder die USA, und dann erlebt, wie er von der Entwicklung des Unternehmens überfordert wurde.“

In 24 Jahren hat Dogudan ein international bekanntes Unternehmen mit Niederlassungen in zwölf Ländern geschaffen. Doch auch er hat klein begonnen, mit einem Delikatessenladen im Restaurant seines Vaters. Aber schon 1983, als er mit drei Mitarbeitern und einem alten VW-Bus ins Catering-Geschäft eingestiegen war, träumte er davon, eines Tages an der Spitze eines internationalen Unternehmens zu stehen. „Wir haben schon damals als Wirtshaus Produktentwicklung betrieben“, erinnert sich Dogudan, „die ersten 15 Jahre war das Unternehmen aber immer zu klein für das, was ich eigentlich wollte.“ Doch allzu lange musste er nicht auf seine Chance warten: 1987 machte er die Bekanntschaft von Niki Lauda und belieferte bald die damalige Lauda Air mit seinen Menüs.

Mit 1200 Mitarbeitern und weiteren 400 bis 500 Teilzeitkräften ist Dogudan heute längst dem Segment Klein- und Mittelbetriebe entwachsen. Die während der Anfänge gezogenen Lehren, sagt er, hat er aber nicht vergessen. „Die Kultur ist für mich das eigentliche Kapital eines Unternehmens. Im stetigen Wandel ist sie das wichtigste Asset“, ist Dogudan überzeugt. „Für jede Unternehmensgröße gibt es eine andere Organisationsform. Wenn ein Unternehmen wächst, ist es daher auch zwingend notwendig, die Organisation zu ändern. Die Stärken, die einen groß gemacht haben, darf man dabei aber nie vergessen.“

Alleinentscheider. Obwohl Dogudan meint, dass er in all den Jahren keinen einzigen Tag mit der Organisationsform seines Unternehmens wirklich zufrieden gewesen sei und er sich ständig frage, ob er auch nichts übersehen habe, erweckt er nie den Eindruck, als sei Wachstum, als sei Größe für ihn eine Bürde. Und er ist durchaus überzeugt, die Weichen für die Unternehmensentwicklung stets selbst stellen zu können – externe Berater hat er jedenfalls noch nie konsultiert. „Welchen Rat könnte man mir auch geben“, fragt Dogudan. „Die Theorie kenne ich selbst und das Geschäft besser als jeder andere. Die meisten Berater sind ohnehin nur Berater geworden, weil sie keinen anderen Job gefunden haben.“

Ein Unternehmen hält er grundsätzlich für ein dynamisches Gebilde, das permanentem Wandel unterworfen ist. „Alles, was jetzt ist, muss nicht so sein, wie es ist“, meint Dogudan, „es gibt für alles Lebenszyklen, auch für die Organisation von Unternehmen.“ Manchmal ist freilich auch Dogudan unschlüssig, wenn er vor der Aufgabe steht, sein Unternehmen wieder einmal umzugestalten, und dann entwickelt sich das Unternehmen, wie er sagt, nur seitwärts.

Auch Kuno Haas und Reinhard Kepplinger, die Eigentümer und Gesellschafter des auf ökologische Produkte spezialisierten Unternehmens Grüne Erde, das mit 230 Mitarbeitern einen Umsatz von rund 30 Millionen Euro erwirtschaftet, sind von den Fähigkeiten und der Nützlichkeit externer Berater nicht unbedingt überzeugt. „Mein Partner und ich haben das Unternehmen 1993 vom Gründer übernommen“, erinnert sich Kepplinger. „Als Betriebswirte konnten wir uns die Geschäftsführung so aufteilen, dass wir keinen Berater konsultieren mussten.“ Die Aufgaben des Steuerberaters und des Wirtschaftsprüfers habe der damalige dritte Geschäftsführer übernommen. Kepplinger: „Wir waren drei Freunde, die das Potenzial des Unternehmens gesehen und es gemeinsam versucht haben.“

Interne Unterstützung. Der ursprüngliche Kleinbetrieb ist in den vergangenen zehn Jahren stark gewachsen, hat Filialen in Berlin, Düsseldorf, München, Nürnberg, Stuttgart, Wien, Linz und Graz eröffnet und steht gerade an der Schwelle zum Großunternehmen. Sämtliche wichtigen Entscheidungen haben Haas und Kepplinger bisher im Alleingang getroffen, dafür aber den Abteilungs- und Projektleitern sowie den Mitarbeitern im Unternehmen mehr Verantwortung übertragen. „Der Gründer Karl Kammerhofer war der Typ von Unternehmer, der immer und überall war und stets das Sagen hatte. Als das Unternehmen noch klein war, war das auch sinnvoll“, meint Kepplinger. Seit die 100-Mitarbeiter-Grenze überschritten wurde, seien aber andere Strukturen notwendig geworden.

Außer Haus geben die Grüne-Erde-Chefs, unter deren Führung das Unternehmen vom kleinen Ökotextil-Anbieter zu einem ansehnlichen Versandhaus für biologische Heimtextilien, Möbel und Kosmetik gewachsen ist, Aufträge aber bis heute nur selten. „Es kann sein, dass ich falsch liege, aber ich denke, dass Outsourcing in vielen Bereichen langfristig teurer kommt, als Aufgaben mit eigenen Mitarbeitern selbst zu lösen“, meint Kepplinger. „Wir sind eben manische Selbermacher.“

Sogar das EDV-System, das die Scharnsteiner Zentrale mit der Tischlerei in Kärnten, der Stoffproduktion in Vorchdorf und den Filialen in Österreich und Deutschland verbindet, hat das Unternehmen selbst entwickelt – ein auf Apple-Computern laufendes System, das in einer von Windows-Netzwerken und SAP-Lösungen geprägten EDV-Landschaft eine Ausnahmeerscheinung darstellt. Bei jeder weiteren Expansion droht das System endgültig zu kippen, doch Kepplinger steht dazu. „Bisher sind wir damit ganz gut gefahren“, meint er, „genauso wie mit der eigenen Agentur im Haus, die sich um die Werbung und die Produktion der Kataloge kümmert. Ich sehe es auch als eine Möglichkeit, die eigene Identität zu bewahren.“

Über die Größe, bis zu der sich ein Unternehmen zur Gänze von einer Zentrale in Österreich aus steuern lässt, ist das Salzburger Unternehmen Skidata AG längst hinausgewachsen. 1977 gegründet, ist Skidata heute Weltmarktführer für elektronische Zutrittssysteme, erwirtschaftet mit 450 Mitarbeitern einen Umsatz von rund 90 Millionen Euro und ist in 27 Ländern mit eigenen Niederlassungen vertreten.

Die Unternehmensgründer Günther Walcher und Kurt Wallerstorfer hätten sich diese Entwicklung wohl nie träumen lassen. In den Anfangsjahren erfüllten sie sämtliche Funktionen selbst – von der Putzfrau bis zum CEO. Doch das Unternehmen wuchs schnell, und bald hatte Skidata mehr Mitarbeiter als Mitbewerber. Sechs Jahre nach der Gründung stieg Constantia-Chef Herbert Turnauer als Hauptgesellschafter ein, und dies war genau der Kick, den das Unternehmen brauchte. Von einem Tag auf den anderen war es kein Problem mehr, bei den Banken Geld für Produktentwicklung zu bekommen.

Die mittlerweile zur Schweizer Kudelski-Gruppe gehörende Skidata AG wurde im Lauf der Zeit mehrmals neu strukturiert, um für die jeweils nächsten Wachstums- und Expansionsphasen gewappnet zu sein. Dabei seien gelegentlich auch Fehler begangen worden, räumt Unternehmenssprecher Alfred Stelzer ein. So sei in den Anfangsjahren anstelle der Kundenbedürfnisse die Technik viel zu stark in den Vordergrund gestellt worden.

Viel gravierender seien aber die organisatorischen Fehlentwicklungen gewesen, die sich nach der Aufteilung des Unternehmens in drei voneinander unabhängige Bereiche eingeschlichen hätten. „Jede Division hatte einen eigenen Ein- und Verkauf, einen separaten Division-Manager, eigenes Personal und ein eigenes Budget“, erklärt Stelzer die frühere Struktur, die durch bloße Vergrößerung des einstigen Kleinbetriebs entstanden war. Naturgemäß hatten die einzelnen Gruppen, obwohl für sich genommen erfolgreich, oft aneinander vorbeigearbeitet und Produkte oft doppelt oder dreifach entwickelt, da es an der Kommunikation haperte. „Solche Fehler können wir uns nicht mehr leisten“, postuliert Vorstandsmitglied Robert Weiskopf.

Fehleranalysen. Aufgedeckt wurde diese Ressourcenverschwendung durch einen externen Unternehmensberater, wie ihn auch das steirische Unternehmen Seidel Elektronik GmbH immer wieder zu Rate zieht, um die nächsten Entwicklungsschritte konkret planen zu können. Seidel Elektronik fertigt in Deutschlandsberg mit 235 Mitarbeitern elektronische Steuereinheiten für Schweißroboter, Motorenprüfstände, medizintechnische Analysegeräte und Kasino-Spielautomaten.

Rechnet man die rund 60 ständig beschäftigten Leiharbeiter hinzu, dann gilt Seidel Elektronik bereits als Großunternehmen, das sich anderen Herausforderungen als früher gegenübersieht. „Bei uns hat bisher alle zwei bis drei Jahre eine Organisationsanpassung stattgefunden“, erklärt Franz Jöbstl, Geschäftsführer des 1993 aus der Assmann-Konkursmasse hervorgegangenen Unternehmens.

1996, als Seidel Elektronik 150 Mitarbeiter hatte, war der erste größere Eingriff notwendig. Die Produktion wurde neu organisiert, einzelne Arbeitsschritte definiert und eine auf SAP basierende Software-Lösung für das gesamte Unternehmen eingeführt. „EDV-technisch wäre es nicht mehr möglich gewesen, mit den Insellösungen zu arbeiten, die wir davor im Einsatz hatten. Und auch im Sinne des Qualitätsmanagements, das unsere Kunden von uns fordern, ist ein professionelles EDV-Management unbedingt notwendig geworden“, erklärt Jöbstl, für den die Entwicklung des Unternehmens noch lange nicht abgeschlossen ist. „Es gibt immer etwas zu tun, und ich bin überzeugt davon, dass es notwendig ist, auch bei den weiteren Maßnahmen wieder die Hilfe externer Berater zu suchen.“

Denn seiner Meinung nach gelte es, dabei auch einen Umstand zu bedenken, der auf Kleinbetriebe und Großkonzerne gleichermaßen zutreffe. Jöbstl: „Wenn man ständig im Unternehmen steht, wird man leicht betriebsblind.“

Von Peter Sempelmann