Wahlen '06: Parteien ändern ihre Strategien

Wahlen 2006: Schnitzeljagd

Der Wahlkampf hat ohne Vorwarnung begonnen

Drucken

Schriftgröße

Der eine mag sein Schnitzel golden-knusprig, der andere lieber etwas heller oder blassgelb. Im Wirtshaus Fino in der Wiener Innenstadt präsentiert der Kellner bei Bedarf einen kleinen Fächer mit Farbschablonen: Der Gast kann sein Schnitzel nach optischem Gusto bestimmen. Ein Gag – für ÖVP-Generalsekretär Reinhold Lopatka allerdings neben der Weinkarte des Lokals der Höhepunkt der roten „bonzenhaften Abgehobenheit“. Denn im Fino habe laut einem Bericht der „Tiroler Tageszeitung“ SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer vor einigen Wochen seine sozialdemokratischen Gewerkschaftsbosse getroffen – Schnitzel und Wein inklusive –, um über das Wahljahr zu plaudern. Doch damit nicht genug. „Jetset-Sozialist“ Gusenbauer, so die Rechercheergebnisse von Hobbydetektiv Lopatka, verbringe die Karwoche angeblich im spanischen Milliardärsparadies Marbella.

Die SPÖ konterte erregt. Die ÖVP betreibe eine „Schmutzkübelkampagne“, zeterte Klubobmann Josef Cap. Wolfgang Schüssel arbeite an der „Berlusconisierung“ Österreichs: Wer nicht für die ÖVP sei, werde diffamiert.

Der Osterfriede zwischen den Großparteien fiel heuer aus.

Wenn die Fouls härter werden, geht eine knappe Partie ihrem Ende zu. Der kommende Ministerrat am 20. April besiegelt inoffiziell die 22. Legislaturperiode. Was noch parlamentarisch abgehakt werden soll, muss rechtzeitig eingebracht werden (siehe Seite 21).

Die Chancen für eine Verlängerung der schwarzen Regentschaft stehen dank der Bawag-ÖGB-Affäre so gut wie schon lange nicht. In der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts OGM liegen ÖVP und SPÖ mit 38 Prozent gleichauf. Die Grünen erreichen elf Prozent, die FPÖ mit zehn Prozent erstmals seit der Abspaltung ein zweistelliges Ergebnis. Das BZÖ grundelt bei drei Prozent. Meinungsforscher Peter Hajek: „Bei der nach wie vor vorhandenen schlechten Stimmung für die Regierung müsste die größte Oppositionspartei bei der Frage nach den besseren Ideen und Konzepten eigentlich klar voranliegen. Aber beiden Großparteien wird momentan nicht unbedingt überbordende Lösungskompetenz zugeschrieben“ (siehe Kasten links).

Das Fazit: Beide Großparteien schwächeln. Die aggressivste Kleinpartei, die allerdings in Opposition bleiben wird, zieht an. Die Folge: Aus heutiger Sicht würde allein eine große Koalition aus ÖVP und SPÖ über eine sichere Mehrheit verfügen. Offen ist, welche Partei Erster und wer Kanzler einer großen Koalition wäre.

Der Politikwissenschafter Fritz Plasser ortet nach den jüngsten Geschehnissen einen Rückschlag für die Titelambitionen des roten Herausforderers: „Es ist evident, dass Gusenbauers Chancen auf das Kanzleramt einen ordentlichen Dämpfer bekommen haben.“

Schüssels Bonus. In der Pattsituation zwischen den Großparteien werden die Persönlichkeiten der Spitzenkandidaten zu noch wichtigeren Faktoren. Wolfgang Schüssels Amtsbonus als Bundeskanzler könnte im Duell um den ersten Platz für die entscheidenden Prozentpunkte sorgen. Plasser: „Solange die SPÖ drei, vier Punkte vor der ÖVP lag, wurden die Imagedefizite Gusenbauers überdeckt. Da der Vorsprung der SPÖ geschmolzen ist, werden die Schwächen des SPÖ-Vorsitzenden wieder sichtbarer.“

Aus einer Position der Stärke ist die SPÖ im Verlauf von zwei Wochen in die Defensive geraten. Die Taktik, die ÖVP als hartherzige Truppe darzustellen, greift vorerst nicht mehr. Das neoliberale Böse trägt plötzlich auch Rot. „Aus diesem Eck lassen wir die SPÖ nicht mehr heraus“, kündigt ein hoher ÖVP-Politiker an. „Wann immer die SPÖ uns soziale Kälte vorwirft, werden wir ‚Bawag‘ antworten.“

Zum Schauplatz des schwarzen Scherbengerichts soll das Parlament werden. Ein Unterausschuss des Rechnungshofausschusses wird ab sofort die Bawag-Affäre untersuchen. Praktischerweise muss dieser laut Geschäftsordnung seinen Bericht spätestens nach sechs Monaten vorlegen, also im Oktober, dem wahrscheinlichen Höhepunkt des Wahlkampfs.

Zur taktischen Schwächung der SPÖ kommt die spürbare Entfremdung vom ÖGB. Von Präsident Rudolf Hundstorfer abwärts versuchte kein Spitzengewerkschafter, die Verärgerung über Alfred Gusenbauer zu verbergen, nachdem der SPÖ-Chef dem ÖGB via ORF-Mikrofon den Verkauf der Bawag empfohlen hatte. Bis zum 1. Mai, dem Tag der Arbeit, werden die Irritationen kaum aus der Welt sein. Doch zumindest nach außen wollen Sozialdemokraten und Gewerkschafter bei der Parade auf dem Wiener Rathausplatz Einigkeit demonstrieren. „SPÖ und Gewerkschaften dürfen sich auf keinen Fall auseinander dividieren lassen“, warnt der oberösterreichische SPÖ-Chef Erich Haider. Das peinliche Thema Bawag werden allerdings weder Gusenbauer noch die Genossen Gewerkschafter in ihren Ansprachen ausklammern können – ein Fixtermin für Reinhold Lopatka.

Die SPÖ-Spitzen müssen darauf bedacht sein, ihr Verhältnis zum ÖGB bald wieder kollegial zu gestalten. Rund die Hälfte der SPÖ-Funktionäre sind Gewerkschafter. Ohne ihren Einsatz kann Alfred Gusenbauer nicht Kanzler werden. Doch von den Siegeschanchen des SP-Vorsitzenden scheinen nicht einmal die wichtigsten roten Kapazunder überzeugt zu sein. Der starke Mann in der SPÖ, der Wiener Bürgermeister Michael Häupl, räsoniert in Interviews offen über die Perspektive weiterer vier Jahre fernab der Regierung. „Ich würde es nicht für das extremste aller Unglücke halten, wenn die SPÖ weiter in Opposition bleibt, auch wenn ich mir das nicht wünsche“, so Häupl in den „Oberösterreichischen Nachrichten“. Und in „News“ empfahl er seiner Partei, im Falle einer Niederlage nicht in eine Koalition mit Schüssel zu gehen.

Der Bundeskanzler – ganz Staatsmann – soll in kleinem Kreis davor gewarnt haben, den ÖGB durch Dauerfeuer zu sehr zu schwächen. Denn damit würde auch die Sozialpartnerschaft beschädigt, was wiederum die schwarze Wirtschaftskammer um Präsident Christoph Leitl wenig goutieren würde.

Die Eleganz der Distanz. Während der zweithöchste Mann in der ÖVP, Klubchef Wilhelm Molterer, gezielte Attacken gegen die SPÖ reitet, zieht es der Parteiobmann vor, in Distanz vom Wahlkampfalltag als Staatsmann zu posieren und zu punkten.

In der zweiten Halbzeit der österreichischen Präsidentschaft will die Regierung mit einer Reihe von prestigeträchtigen Großveranstaltungen glänzen. Im Mai findet der EU-Gipfel mit den lateinamerikanischen und karibischen Staaten in Wien statt. 60 Staats- und Regierungschefs werde anreisen, darunter prominente Politiker wie Mexikos Präsident Vicente Fox und Brasiliens Staatschef Luiz Inacio „Lula“ da Silva. Eine Teilnahme von Kubas Staatschef Fidel Castro am Wiener Gipfel erscheint eher unwahrscheinlich. Ebenso unsicher ist auch der mögliche Besuch von US-Präsident George W. Bush beim regulären Gipfel der EU mit den USA im Juni in Wien.

Schüssels Mitte-rechts-Experiment aus dem Jahr 2000 dürfte angesichts der Umfragedaten des BZÖ nach sechseinhalb Jahren beendet sein. Nach den missglückten Wahlprognosen der italienischen Umfrageinstitute schöpfen manche BZÖler allerdings wieder Hoffnung. Parteichef Haider erklärte die Demoskopie flugs zum „Instrument der politischen Propaganda“. Doch selbst wenn den Orangen der Wiedereinzug in den Nationalrat über ein Grundmandat in Kärnten gelingt – Macht, Ämter und Regierungswürden sind verloren.

Im Gegensatz zu Jörg Haiders Ankündigung, den BZÖ-Spitzenkandidaten erst im Mai zu präsentieren, könnte es nun doch schneller gehen. Nach Ostern dürfte das Casting in die entscheidende Runde gehen. Nachdem sich der frühere Klubobmann Peter Westenthaler – noch – ziert, gilt Herbert Scheibner als Favorit (siehe profil 15/06). Der derzeitige orange-blaue Fraktionschef soll intern bereits seine Bereitschaft zur Kandidatur erklärt haben. Fraglich ist, ob Scheibner – oder gegebenenfalls Westenthaler – für die verbleibende Zeit bis zur Wahl als Vizekanzler in die Regierung wechseln würde. Amtsinhaber Hubert Gorbach trat jedenfalls bereits die Flucht nach vorne an. Er würde, ließ der Vizekanzler im „Kurier“ wissen, seinen Posten zugunsten eines BZÖ-Spitzenkandidaten räumen. Schon in den vergangenen Wochen hatte sich Gorbach leicht nervös bei Parteikollegen nach seinem weiteren Schicksal erkundigt.

Rote Nervosität. Nervosität scheint sich auch langsam in den Reihen der SPÖ breit zu machen. Von Alfred Gusenbauer wird nun verstärkte Angriffslust erwartet. Oberösterreichs SPÖ-Landesparteichef Erich Haider forderte in den „Salzburger Nachrichten“ einen raschen Start des SPÖ-Vorsitzenden in den Wahlkampf: „Ich erwarte, dass bis zum 1. Mai die ersten Parolen, Themen und Schwerpunkte da sind.“ Die Bawag-Affäre, so Haider, habe die SPÖ „wirklich gebremst“. Nun gehe es darum, die Partei wieder „aus der Lähmung“ herauszubekommen.

Haider weiß, wovon er spricht und wie schnell sich das Wahlglück aufgrund externer Faktoren wenden kann. Seinen fulminanten Erfolg – plus elf Prozentpunkte – bei den Landtagswahlen im September 2003 verdankte der oberösterreichische SPÖ-Chef nicht allein eigenem Talent, sondern vor allem einem von der Bundesregierung aufgelegten Elfmeter: dem ausgerechnet zu dieser Zeit angesetzten Verkauf der Voest.

Mitarbeit: Josef Barth
Von Gernot Bauer und Otmar Lahodynsky