Wahlvorstellungen bei der EU-Wahl 2009

Wahlvorstellungen bei der EU-Wahl 2009: PLUS: Häufig gestellte Fragen zur EU

PLUS: Häufig gestellte Fragen zur EU

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Von Josef Barth, Gernot Bauer, Marianne Enigl und Otmar Lahodynsky

Bei den Nationalratswahlen 2008 waren 6.332.931 Österreicher wahlberechtigt. Bei der EU-Wahl am 7. Juni – der insgesamt vierten seit dem Beitritt 1995 – sind es laut Wählerevidenz 6.362.526 Personen. Die Differenz machen Bürger anderer EU-Staaten aus, die sich in österreichische Register eintragen ließen und dadurch mitentscheiden, welche 17 Abgeordnete Österreich in den kommenden fünf Jahren im EU-Parlament vertreten. Allerdings leben in Österreich allein 130.000 Deutsche, was rund zwei Prozent aller Wahlberechtigten entsprechen würde. Sepp aus München oder Wiebke aus Schwerin könnten, wenn sie wollten, also Einfluss auf das Wahlergebnis nehmen. Doch offensichtlich sind die EU-Bürger in Österreich politisch ebenso desinteressiert wie die Einheimischen – ausgerechnet zum 20. Jahrestag des Falls des Eisernen Vorhangs. Bei den EU-Wahlen 2004 lag die Wahlbeteiligung bei 42,4 Prozent. Mehr ist wohl auch heuer nicht zu erwarten. Es ist ein kontinentales Phänomen, dass die Wahl zum Europäischen Parlament, der einzigen direkt gewählten supranationalen Institution weltweit, in nahezu allen Mitgliedsländern meist von nationalen Themen dominiert wurde. In Österreich waren es Wirtschaftskrise, Reichensteuer, Armenhilfe und der Evergreen Immigration inklusive Sicherheit und Kampf der Kulturen. Und wenn doch über die EU diskutiert wurde, dann meist in Form po­pulistischer Pauschalkritik bis zur Negation der Union und ihrer Institutionen – fraktionsübergreifend.

Da es inhaltlich also nationale Wahlen sind, urteilen die Österreicher am 7. Juni auch über das neue rot-schwarze Duo an der Staatsspitze, Kanzler Werner Faymann und Vizekanzler Josef Pröll. Nie lässt sich Frust dabei leichter ablassen: Die Selektion der EU-Abgeordneten gilt hierzulande fälschlicherweise noch immer nicht als ernsthafte Wahl, sondern als folgenlose staatsbürgerliche Fingerübung. Das kann den treuesten roten oder schwarzen Stammwähler zum Seitensprung nach rechts verleiten und eine unreife große Koalition verunsichern. Die erste bundesweite Wahl unter dem Regime Faymann-Pröll wird so auch zum Stresstest für die Großparteien.

Brüssel simpel

Warum soll man an den Wahlen zum ­Europäischen Parlament überhaupt ­teilnehmen?
Es ist die einzige Institution, die direkt von den EU-Bürgern gewählt wird. Das Europaparlament entscheidet in den meisten Bereichen gleichberechtigt mit dem EU-Rat der jeweiligen Fachminister über neue Regelungen. Das Europaparlament hat ­zuletzt eine Reihe von bürgernahen Regelungen beschlossen: niedrigere Handy- und Datenroaming-Gebühren, Entschä­digungen für Verspätungen (Flugzeuge, Bahn, Busse und Schiffe), Anfang Mai auch erste Regelungen zur Kontrolle der ­Finanzmärkte. Man wählt somit auch die künftige Orientierung bei der EU-Gesetzgebung mit.

Ist der Nationalrat nicht wesentlich ­wichtiger als das EU-Parlament?
Mehr als 75 Prozent aller im Hohen Haus in Wien beschlossenen Gesetze haben eine europäische Vorgeschichte. Und während das Europaparlament 85 Prozent aller Gesetzesvorschläge abändert oder gar ablehnt, beschließt der Nationalrat 85 Prozent der Regierungsvorlagen ohne jede Änderung. Für das EU-Parlament gelten strengere Regelungen zu Anwesenheit, Unvereinbarkeit, Transparenz der finanziellen Interessen der Abgeordneten, Arbeit von Lobbyisten usw.

Wer wird im Herbst Kommissions­präsident?
Das hängt vom Ergebnis der Europawahlen ab. Sollte die Europäische Volkspartei (EVP) die größte Fraktion bleiben, wird der Portugiese José Manuel Barroso wohl für weitere fünf Jahre im Amt bleiben. Die Sozialdemokraten (PSE) haben bisher keinen Kandidaten nominiert.

Wer wird Österreichs EU-Kommissar?
Auch das hängt vom Wahlergebnis ab. Obwohl Bundeskanzler Faymann diesen Posten der ÖVP überlassen hat, könnte er ­unter Druck geraten, falls Österreich ein SPÖ-affines Dossier angeboten werden sollte. Chancenreichste ÖVP-Kandidaten: Wilhelm Molterer, Benita Ferrero-Waldner und Ursula Plassnik.

Ist die EU ein Hort von Bürokraten?
Die EU-Kommission beschäftigt mehr als 27.000 Mitarbeiter, zusammen mit allen EU-Institutionen sind es einschließlich der befristeten Planstellen rund 40.000, darunter einige tausend Übersetzer und Dolmetscher – für die Aufgaben einer Union mit 27 Staaten und 500 Millionen Bürgern eigentlich nicht so viel. Großstädte wie Paris oder Wien beschäftigen weit mehr Beamte.

Wen ruft US-Außenministerin Hillary Clinton in Brüssel an? Gibt es die schon von Henry Kissinger geforderte Telefonnummer von „Europa“?
Ja, aber mehrere, denn noch sind die Zuständigkeiten für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik geteilt: Koordinator im EU-Rat ist der Spanier Javier Solana. Er hält engen Kontakt zum jeweiligen Ratsvorsitzenden, derzeit ist dies der tschechische Außenminister Jan Kohout. Der Job der derzeit für Außen- und Nachbarschaftspolitik zuständigen EU-Kommissarin, Benita Ferrero-Waldner, wird eingespart, sofern der Reformvertrag von Lissabon in Kraft tritt. Dann gibt es erstmals eine Art „EU-Außenminister“, der zugleich Vizepräsident der EU-Kommission sein wird. Ihn wird ein eigener Diplomatischer Dienst unterstützen.

Bekommt die EU eine eigene Armee?
Schon jetzt nimmt die EU an militärischen Operationen – meist unter UN-Mandat – teil: vom Balkan bis zum Tschad. Im Aufbau sind – auch mit geplanter Beteiligung des Bundesheeres – zehn so genannte „battle groups“ mit je 1500 Soldaten aus jeweils zwei oder mehreren EU-Ländern für humanitäre Einsätze, aber auch friedenserhaltende Missionen in Drittstaaten. Eine schnelle Eingreiftruppe mit bis zu 60.000 Soldaten – parallel zu den NATO-Strukturen – ist erst im Planungsstadium. Die Teilnahme an militärischen Operationen ist jedem EU-Land freigestellt.

Wie viele Länder wird die EU noch ­aufnehmen?
Derzeit wird nur mit Kroatien und der Türkei über den Beitritt verhandelt. Die Länder des West-Balkan haben eine Beitrittsperspektive zugesichert bekommen. Auch Island überlegt wegen der Finanzkrise einen offiziellen Antrag. Für Staaten wie die Ukraine, Moldawien und Länder am Kaukasus wird eine eigene Partnerschaft ohne Beitrittsoption aufgebaut, ebenso wie mit Ländern Nordafrikas (Mittelmeer-Union).

Kann ein Land aus der EU ­aus­treten?
Ja, die Abwicklung wird durch den Vertrag von Lissabon erstmals klar geregelt. Aber derzeit überlegt kein einziges Mitgliedsland ernsthaft einen Austritt, weil selbst größere Staaten Aufgaben wie Klimaschutz, Energieversorgung bis zur Bewältigung der Finanz- und ­Wirtschaftskrise nicht allein lösen können.

Wofür gibt die EU das meiste Geld aus?
Das EU-Budget beträgt derzeit rund 130 Milliarden Euro. 45 Prozent davon werden für benachteiligte Regionen und die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit ausgegeben, 43 Prozent für die voll gemeinschaftlich abgewickelte Agrarpolitik und ­Fischerei. Die Verwaltung macht knapp sechs Prozent aus.